„Bewahre mich, Gott; denn ich traue auf dich.“ So beginnt Psalm 16, den ich Sie bitte, zu lesen. Der Beter hat den Schritt gewagt und sich Gott als dem Herrn unterworfen. Keine andere Absicherung mehr nimmt er in Anspruch, Gott allein ist sein Gut, sein Schutz. Was es konkret heißt, dem Herrn zu vertrauen, darüber klärt uns der 15. Psalm auf. Wer einhält, was dort aufgezählt wird, der verzichtet auf viele Überlebensstrategien und wird angreifbar. Das aber ist der Weg mit Gott sowohl im Alten als auch im Neuen Bund: Er als Ersatz für alle materiellen und ideellen Güter, die uns Schutz verheißen. Der Verzicht auf ein Gemisch von Gott und Mammon zugunsten Gottes allein ist die Wiedergeburt zu einem neuen Leben.
Alle Abhängigkeiten und Bindungen fallen von uns ab zugunsten der einen Abhängigkeit und Bindung an Gott. Das geht bis hin zur Obdachlosigkeit: man ist nicht mehr ein Fuchs in seiner Grube oder ein Vogel in seinem Nest, sondern man wird dem Menschensohn gleich, der in dieser Welt nicht hat, wo er sein Haupt hinlege. Es klingt dramatisch, aber so ist das Leben. Denken Sie nur an die vielen Christen, die ihre Kirche innerlich oder äußerlich verlassen und in die Obdachlosigkeit hinausgehen, weil sie im Hause Gottes Gott nicht mehr finden, dem sie sich doch ergeben haben. Diesen geistlichen Tippelbrüdern, die ohne Gnade aus ihrem Heim verscheucht wurden, bleibt nur der Ruf: Bewahre mich, Gott; denn ich traue auf dich!
Alle pochen auf Toleranz und das Recht zur Meinungsvielfalt in Glaubenssachen und lehnen jene strikt ab, deren Sehnsucht die Einheit im Glauben und Bekennen ist. Ganze Landstriche muss heute ein Frommer durchziehen, ehe er einen Bruder oder eine Schwester findet, die ihm gleich sind in ihrem Gottvertrauen und an denen er sein Gefallen haben kann. Wie zu Zeiten der Apostel freut man sich, wenn man in einem Dorf oder einer Stadt gleichgesinnte Christen findet, und sie erscheinen einem herrlich, wie Heilige auf Erden, von deren Seite man nicht mehr weichen möchte. Auf keinen Fall will man zurück zu jenen, die im Stuhlkreis sitzen und auf die gestaltete Mitte blicken, so als kämen von dort Licht und Weisung.
Noch leiden die geistlich Obdachlosen unter dem Verlust dessen, was sie als Kirche kennen und dessen, was sie sich unter der Gemeinschaft der Heiligen vorstellen. Aber was verloren geht, sind bloß die Formen, die Gott wieder einmal aufbricht, damit der Inhalt ausströmen kann. Christen sollen sich doch ausbreiten wie Salz und Licht, und Gottes Wort soll in die Welt hinaus. Zu konzentriert und abgeriegelt waren Glaube und Lehre in den von Menschen gemachten kirchlichen Systemen und Institutionen. Deshalb zieht Gott seinen Geist zurück aus der Öffentlichkeit und birgt ihn in den Herzen von wenigen und unscheinbaren seiner Kinder. Wer dazugehört, wird es merken und mit großer Freude diesen Schatz bewahren.
Jesus Christus ist wieder in Sandalen und auf der Straße; das Leid der Heimatlosen wird dadurch zur Freude. Der Erlöser lässt die Schriftgelehrten Bücher schreiben und disputieren, während er sich wieder jenen zuwendet, die ihn zum Leben brauchen. Wichtig ist, Christus in uns zu erkennen und ihn hinauszutragen zu den Bedürftigen. So wandelt sich die Straße in liebliches Land und die Vertreibung wird zum schönen Erbteil, weil Gottes Rat dahinter steht und er selber die Schritte seiner Heiligen festigt. Trotz des Einknickens der kirchlichen Strukturen können wir mit den Worten des Psalms Gott zujubeln: „Mein Herz freut sich und meine Seele ist fröhlich. Du tust mir kund den Weg zum Leben.“ Amen.