Den Namen Dr. Carl Wolff verbinden die meisten wohl zu allererst mit dem gleichnamigen Verein der Diakonie der Evangelischen Kirche, der in Hermannstadt/Sibiu unter der Leitung von Ortrun Rhein seit 30 Jahren ein vorbildliches Alten- und Pflegeheim sowie zwei Hospize betreibt. Nach dem Exodus der Siebenbürger Sachsen in den 90er Jahren sollte das Pilotprojekt die Not der verbliebenen alten und kranken Menschen lindern. Derselbe Mann hat aber auch die in München ansässige Carl-Wolff-Gesellschaft inspiriert, die „mit Visionen, Werten und Zielen“ im Sinne des Namensgebers Geschäftsleute „aus Siebenbürgen sowie allen Ländern, in denen Siebenbürger Sachsen beheimatet sind“, vernetzen und Synergien schaffen will. Wer war dieser Carl Wolff, von dem Altbischof Christoph Klein behauptet: „Die Siebenbürger Sachsen und vor allem die Hermannstädter haben ihm so viel zu verdanken, wie nur wenigen Persönlichkeiten vorher und nachher.“
„Und wo steht seine Statue?“, möchte man fragen, nach den geballten Informationen über diesen wahrhaft vorbildlichen Geist, der Hermannstadt in Zeiten schwerer Krisen wieder „mit dem Gesicht in Richtung Zukunft orientiert hat“, wie Ingenieur Marcel Stanciu im Elektrizitätswerk Zoodt/Sadu so treffend formuliert. Drei Tage Gedenken an Carl Wolff (11.-13. Oktober 2024) zum Anlass seines 175. Geburtstags führen uns durch die wichtigsten Stationen seines Lebens, an Orte, an denen er wirkte - und weit über seine Funktionen als Publizist, Bankdirektor, Kirchenmann oder Politiker hinaus Spuren hinterließ, die heute noch spürbar und sichtbar sind. Auch ohne Statue.
Die Macht des Kapitals versöhnend nutzen
Im Spiegelsaal des Forumshauses beginnt der Versuch, zu begreifen, was den Menschen ausmachte, der seine „geballte Kraft eingesetzt hat, um seine ökonomischen und sozialpolitischen Visionen in Realitäten umsetzen zu können, die das Wiedererstarken und Überleben der Siebenbürger Sachsen im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts und in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts erst möglich gemacht haben“, so Historiker Konrad Gündisch. 40 Jahre lang, von 1876 bis 1917, hatte Wolff neben den obengenannten Funktionen auch politische Führungspositionen inne gehabt, fährt dieser fort.
Die aus dem Ausland angereisten Nachfahren von Carl Wolff, Jakob Grohmann und Heinz Rybiczka, erinnern sich schmunzelnd an Familienerzählungen: klein und schmächtig sei er als Junge gewesen, doch habe er schon in der Schule den Spitznamen „Doktor“ verpasst bekommen. Und Briefe signierte er zeitlebens – auch die privaten an seine Kinder – mit „Euer Dr. Carl Wolff“.
Ansonsten sei er bescheiden gewesen – genau wie die Gedenkplatte, die am Tag darauf von Bürgermeisterin Astrid Fodor vor dem Haus seiner Wohnung auf dem Großen Ring enthüllt wird: „Er hatte das Wohl der Allgemeinheit im Auge, so sehr, dass er im Alter von 70, als er nach und nach alle Ämter und Ehrenämter aufgab, auch aus dieser seiner Dienstwohnung hinaus musste“, um in ein bescheidenes Eigenheim am Stadtrand zu ziehen, erinnert Ursula Philippi, Mitorganisatorin der Carl-Wolff-Gedenktage.
Seine Überzeugung, näm-lich „...dass die Macht des Kapitals nur bei Verwendung zum gemeinsamen Nutzen und Besten versöhnend wirkt”, konnte er als Direktor der „Hermannstädter Allgemeinen Sparkassa“ (HAS) zur Genüge demonstrieren. Aus der Bank von anfangs nur lokaler Bedeutung hat er nicht nur ein florierendes Finanzinstitut gemacht, sondern „etwas bewirkt, was großen Respekt abnötigt“, fährt Philippi fort. Denn die Gewinne der Bank gingen nur zu einem kleinen Teil an die Aktionäre. Der Rest floss in Projekte zur Modernisierung der Stadt, „die bis heute wirken“.
Auf den Spuren eines großen Geistes wandelnd...
Als Initiator von Finanzinstrumenten, die ausländisches Kapital anzogen, sächsische Landwirte und Unternehmer stärkten und die Abwanderung der Bauern nach Amerika stoppten, als Förderer von Industrie und Verkehr, Elektrifizierung und Tourismus, aber auch von sozialen und hygienischen Einrichtungen, treffen wir in ganz Hermannstadt auf seine Spuren. Beatrice Ungar, Chefredakteurin der Hermannstädter Zeitung, führt uns an den wichtigsten Gebäuden vorbei: Von der ehemaligen Bodenkreditanstalt, heute das Rathaus, 1906 auf Initiative von Dr. Carl Wolff als Direktor der „Hermannstädter Allgemeinen Sparkassa“ eröffnet, geht es in die Strada Mitropoliei Nr. 12 zum ehemaligen Sitz der Zeitung „Siebenbürgisch-Deutsches Tageblatt“, die Wolff, ab 1873 deren Chefredakteur, in die „erste siebenbürgisch-sächsische Tageszeitung auf internationalem journalistischem Niveau“ transformierte, so Gündisch. Sie habe sich an alle deutschsprachigen Leser des damaligen Ungarns gerichtete und sei unter Wolff „zum Sprachrohr der Siebenbürger Sachsen“ avanciert.
Weiter geht es durch den Astra-Park, einst Mülldeponie an der Hermannstädter Stadtmauer, die der von Wolff ins Leben gerufene „Verschönerungsverein“ schließlich sanierte und damit diese Grünanlage schuf. Dann stehen wir vor dem prächtigen Volksbad, eine öffentliche Badeanstalt mit Badewannen, Duschen, einer Wäscherei, Sanatorium mit Sonnendach und Schwimmbad, dessen Bau Carl Wolff initiierte, gedacht war es für Stadtbewohner ohne eigenes Bad. 1904 eröffnet und 2004 vom damaligen Bürgermeister Klaus Johannis wiedereröffnet, wurde es geplant und erbaut vom selben Architekten (Carl Hocheder) wie vom Müllerschen Volksbad in München – ein Hinweis auf die Verbindungen von Dr. Carl Wolff nach München, die sich für sein Wirken als Förderer der Industrie noch als richtungsweisend he-rausstellen sollten...
Der Rundgang endet am „Hotel zum Römischen Kaiser“, einst Sitz der HAS, woran heute nur noch ein verstecktes schmiedeeisernes Dekor im Eingangsbereich erinnert.
Deutsche Pioniere nach Hermannstadt geholt
Das vielleicht bedeutendste Projekt für Hermannstadt, das auf Wirken von Dr. Carl Wolff realisiert wurde, war der Bau des auf Wasserkraft basierenden Elektrizitätswerk in Zoodt 1896 – das dritte Wasserkraftwerk des damaligen Österreich-Ungarns und die dritte Anlage mit Fernübertragung hochgespannten Drehstroms in Europa, betont Marcel Stanciu. Wolff war es gelungen, dafür den Münchner Wasserkraftpionier Oskar von Miller, Begründer des dortigen Deutschen Museums, nach Siebenbürgen zu holen. Wobei die Besonderheit nicht etwa in der Einführung der Elektrizität bestand, betont Stanciu, „die gab es schon in Hermannstadt“, sondern in ihrem Transport über größere Entfernung zur Stadt, was vor allem den dortigen Mittel- und Kleinunternehmen einen heftigen Anschub verlieh und als Modell bzw. Startpunkt für den Ausbau elektrischer Netze in ganz Rumänien diente.
Für die einfachen Menschen war die erste elektrische Überlandleitung ein Schock: Wasserkraft, übertragen mit einem dünnen Kabel, die in der fernen Stadt Motoren und Maschinen bewegte und das Leben von Handwerkern, Produzenten und Haushalten revolutionierte. Erstmals hatten Frauen Freizeit, erzählt Stanciu, weil der mühevolle Waschtag wegfiel. Ab sofort las man beim Überwachen der Waschmaschine viktorianische Romane. Ein Käsehersteller, Nutznießer eines elektrischen Rührwerks, warb pittoresk: „Unser Schafskäse wird mit elektrischer Kraft aktiviert.“
Bald folgte die Einführung der elektrischen Straßenbahn und der Anschluss Hermannstadts an das Eisenbahnnetz, was das sächsische Siedlungsgebiet aus seiner verkehrstechnischen Isolation befreite, Handel und Tourismus Tür und Tor öffnete und neue Absatzmärkte erschließen ließ.
Carl Wolff muss neben einem ausgedehnten Netzwerk an nationalen und internationalen Kontakten auch über große Überzeugungskraft verfügt haben: Nicht nur gelang es ihm, die damals führenden technischen Pioniere aus Deutschland zu motivieren, ihre Ideen in Siebenbürgen umzusetzen. Auch so manche unpopuläre Entscheidung hat er als Bankdirektor wohl vor seinen Aktionären durchgesetzt, um seine Visionen für Stadt und Gesellschaft finanzieren zu können. Ein entscheidender Schritt für den Neuaufbau der Landwirtschaft sei die Förderung eines umfassenden Genossenschaftswesens in Form von Raiffeisen- und Konsumvereinen durch Carl Wolff gewesen.
Unterstützung und Vernetzung im Sinne Carl Wolffs
Der Geist von Carl Wolff bewegt Menschen auch heute: im Altenheim wird an Carl Wolffs originalem Schreibtisch ein Kooperationsvertrag zwischen dem hiesigen Verein und der Münchner Gesellschaft durch die beiden Vorsitzenden, Hannelore Baier und Reinhold Sauer, unterzeichnet. Die Unternehmer wollen dem Altenheim „finanziell und beratend“ zur Seite stehen, denn „der soziale Aspekt ist auch Carl Wolff ein großes Anliegen gewesen“, motiviert Sauer. Direktorin Ortrun Rhein erinnert an das heurige 30. Jubiläum des Altersheims und dass „so manche Geräte langsam kaputtgehen“.
Die Spender sollen wissen, wo ihr Geld landet: nicht in einem „Asyl“, wie es auf Rumänisch abschreckend heißt, sondern in „einer Art Zuhause, in dem alte Menschen in Würde ihren Lebensabend verbringen“, auch mit Faschingsfeiern, Sommerfesten, Veranstaltungen und gewohnten traditionellen Speisen. In 30 Jahren wurden in den 106 Betten des Altenheims insgesamt rund 600 Senioren betreut, in den beiden Hospizen seit 2005 in 114 Betten 4900 Menschen, davon 250 Kinder auf Zeit. „Menschen, die Hilfe brauchen, um Schmerz und Seele loslassen zu lernen“, sagt Ortrun Rhein. Und fügt leise an: „Doch die Sorge um die Finanzierung ist größer geworden.“
Für einen lockeren Ausklang des Nachmittags haben sich die Organisatorinnen der Carl-Wolff-Gedenktage – Hannelore Baier, Ursula Philippi, Ortrun Rhein und Beatrice Ungar – noch etwas Besonderes einfallen lassen: Ungar präsentiert „Carl Wolff von A bis Z“ als Power-Point in 59 Bildern und Dokumenten. Rhein erzählt augenzwinkernd von ihrem „ersten Berührungspunkt mit Carl Wolff“ – in der Grundschule, wo der Lehrer den wöchentlichen Gang ins Volksbad empfahl: „da könnt ihr duschen, baden und Haare waschen.“ Oder, dass schon etliche Besucher des Altenheims mit Nachdruck verlangt hätten, „Dr. Carl Wolff persönlich“ zu sprechen und dann „sehr ärgerlich reagierten“, als man ihnen antwortete, dass das leider nicht ginge.... Nach amüsanten Spuren seines Wirkens hatte Philippi literarische Quellen durchforscht: etwa die Frage der Leute, ob „der Strom von so weit her bis in die Stadt denn nicht verdirbt“ oder das Staunen über das „Bimmeln einer winzigen grünen Straßenbahn“.
Faszination Wasserkraftwerk
Was die Elektrifizierung der Region durch das Wasserkraftwerk Zoodt I. damals bedeutete, erläuterte Marcel Stanciu im Museum über dem Turbinenraum – sein persönliches Lebenswerk. Nämlich nicht bloß Beleuchtung, sondern Antrieb von hunderten Wasserpumpen, Motoren, Druckereien... Elektrizität für Haushalte und Betriebe in der Stadt sowie auf dem Land. Noch war die sich in Entwicklung befindliche Industrie von Energiemangel ausgebremst. Nun gab es plötzlich öffentlichen Strom für alle!
Und die Nachfrage stieg laufend. Mehrmals musste das Kraftwerk aufgerüstet werden. Die beiden Heizkessel für Holz, für den Antrieb zweier Turbinen in weniger wasserreichen Wintern gedacht, wichen bald moderneren Konzepten. Von Gleichstrom musste auf den viel teureren Wechselstrom und drei Phasen umgerüstet werden.
Zoodt I. war nicht das erste Wasserkraftwerk des Landes – aber das erste öffentliche. In Pele{ gab es eines zur Versorgung des Königsschlosses; in Karansebesch war die Getreidemühle der Familie Dachler in ein Wasserkraftwerk umgewandelt worden. Was den späteren Wasserkraftpionier Sigmund Dachler bewogen hatte, aus der traditionellen Müllerei auszusteigen und Elektrotechnik zu studieren. 1897 wurde er auf Empfehlung Oskar von Millers Direktor des Elektrizitätswerks Zoodt I. 25 Jahre später gelang es Dachler, mit Schweizer Finanzierung ganz Südsiebenbürgen zu elektrifizieren. Bald war die ländliche Gegend besser mit Strom versorgt als Bukarest. Von hier aus erfolgte die Entwicklung des Stromnetzes für das ganze Land. Wie wichtig die Fachkräfte von Zoodt I. waren, demons-triert eine Anekdote um einen sächsischen Elektroingenieur, der vor der Deportation der Deutschen nach Russland von seinen Kollegen dort eine Woche lang in einem Brunnen versteckt worden war.
Auch was den Bau des Staudamms betraf, wurde in Siebenbürgen Pionierarbeit geleistet. Dank dem Hydraulikexperten Dorin Pavel, Neffe des Dichters Lucian Blaga, der wie Dachler in Winterthur studiert hatte, entstand in Rumänien nach dem Zweiten Weltkrieg der erste gewölbte Staudamm. Dessen Bau der russische Kontrolleur kopfschüttelnd verbieten wollte, als er die geplante dünne Staumauer sah, worauf man ihm die technische Dokumention in die Hand drückte, mit der er sich 24 Stunden einschloss und schließlich doch seinen Segen geb. Nach zweistündiger hochspannender Führung durch das Museum betreten wir den Maschinenraum des Kraftwerks: riesige Turbinen mit dicken Schweißnähten, eine aus Reschitza, die anderen aus Budapest, verbinden uns stampfend und dröhnend eindrucksvoll mit einer anderen Zeit...
Paradiesische Stille dann im Hermannstädter Stadtfriedhof. Andacht mit Stadtpfarrer Kilian Dörr am Grab von Carl und Friederike Wolff: Ein frischer Kranz mit weißen Blüten liegt im Schatten der Eichen und Tannen auf dem Stein. Es wird gesungen. Friedrich Philippi verliest ein Gedicht von Josef Lehrer über Carl Wolff. Es endet treffend mit der Strophe:
„Der Tat den Kranz! Doch Kränze müssen sterben.
So ist die Tat doch selbst der beste Dank.
Wollt ihr den reichen Mann beerben,
teilt nicht sein Gut in tausend Scherben,
schafft so wie er mit Fleiß und ohne Wank.“