Das Kulturerbe der deutschen Minderheit in und aus Rumänien ist aufgrund der Spätfolgen des Zweiten Weltkrieges bleibend existentiell gefährdet. Durch damalige Enteignungen, Deportationen und Aussiedlung ist jene Ethnie nicht in der Lage, aus eigener Kraft ihre Kultur zu erhalten und fortzuführen. Der rumänische Staat stellt im Rahmen seiner Obhutspflicht u.a. über das Departement für Interethnische Beziehungen an der Rumänischen Regierung (DRI) einige kulturelle Fördermaßnahmen sicher. In Deutschland erfolgt das über die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM). Nun ist von jener Stelle ein Diskurs entfacht worden, dessen Ausstrahlung bis nach Rumänien wirkt.
Man stelle sich vor, der Kulturminister Rumäniens würde veranlassen, bei der „Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien“ im Namen das „Deutsche“ zu streichen. Unwillkürlich würden sich damit Erinnerungen an die Zeit kommunistischer Willkür aufdrängen, in der die „Hermannstädter Zeitung“ in „Die Woche“ umbenannt werden musste, da deutsche Ortsnamen an offizieller Stelle fortan unzulässig waren. Inzwischen heißt jene Wochenzeitung längst wieder so wie früher und die Zeiten, in denen das Deutschsein von Regierungsseite verpönt war, sind vorbei. Tatsächlich?
Betrachtet man Aktionen und Vorhaben der zuständigen Beauftragten der deutschen Bundesregierung Claudia Roth (Bündnis90/die Grünen), entsteht der Eindruck, sie betreibe mit ihrem geplanten Rahmenkonzept zur Erinnerungskultur (siehe ADZ vom 25. März: „Eine Frage der Erinnerung“) eine revisionistische Geschichtskonzeption. Sie greift den Begriff einer deutschen Täternation auf, der bereits 2003 als Unwort des Jahres galt und interdisziplinär wie auch international als unzulässige Kollektivschuldzuweisung abgelehnt wird. In Überwindung der nationalstaatlichen deutschen Erinnerungskultur postuliert sie: „Deutsche Geschichte ist auch die Geschichte der Vorfahren derjenigen, die zu uns gekommen sind.“ Abgesehen von jener fachlichen Unwahrheit ordnet sie die deutschen (Spät)Aussiedler und deutschen Vertriebenen mit ihren Nachkommen in eine von „Mobilität und Migration geprägte Einwanderungsgesellschaft“ ein – eine Geschichtsklitterung. In diesem Tenor wurde das in ihrem Geschäftsbereich angesiedelte Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa (BKGE) unter Streichung des Zusatzes „der Deutschen“ kurzerhand umbenannt. Ist „deutsch“ etwa ein missliebiges Fremdwort zum wegschämen?
Fragwürdige Änderungen
Betroffene Akteure versuchten die Beweggründe obiger Namensnennung im Herbst 2023 zu verstehen, während neue Projektanträge für 2024 gestellt worden sind. Als es auch dort zu ungünstigen Änderungen kam, intensivierte sich der Gesprächsbedarf - auf Seite der Betroffenen. Schließlich wurde besagte Namensänderung von der parlamentarischen Opposition CDU/CSU zum Anlass genommen, die erwähnten Tendenzen im deutschen Bundestag schriftlich zu hinterfragen. Seit dem 3. April 2024 liegt das 21-seitige Antwortschreiben vor und die Suche nach konkreten Erklärungen geht weiter.
Die Dachorganisation, der Bund der Vertriebenen (BdV), lud für den 9. April zum Jahresempfang nach Berlin ein. Neben Fachleuten einschlägiger Geschichtsinstitute und Museen sowie Repräsentanten von Partnerorganisationen wie dem DFDR mit Dr. Paul-Jürgen Porr kamen auch Vertreter aus Ministerien und demokratischer Parteien, wie z.B. die Aussiedlerbeauftragte der Bundesregierung Natalie Pawlik (SPD). Dem Festredner der Vorjahres, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), folgte nun der oppositionelle Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz (CDU). Doch von Bündnis90/die Grünen kam niemand und so konnte der gesuchte Dialog erneut nicht erfolgen.
BdV-Präsident Dr. Bernd Fabritius appellierte in seiner Ansprache: „Wenn Menschen kollektiv entwurzelt werden, bedarf es nachhaltiger Anstrengungen, sowohl die entwurzelte Kultur am neuen Ort als auch die personell geschwächte Kultur am vorherigen Ort lebendig zu erhalten und in die Zukunft zu tragen“. Er forderte für die deutschen Minderheiten eine beherzte und nicht zaghafte Unterstützung und Förderung. Es müsse Schluss sein „mit einer Politik der Kulturförderung, die unsensibel, unhistorisch und oft ideologisch agiert!“
Auslaufende Förderungen
Was als politisch motivierter Appell im Sinne der vertretenen Vertriebenen-, umsiedler- und Aussiedlerverbände klingt, hat tatsächlich handfeste Beweggründe. Durchaus parteiübergreifend wurde beispielsweise vor wenigen Jahren von SPD und CDU/CSU die finanzielle Förderung der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen bis 2024 beschlossen. Im Vorjahr fiel sie in Rumänien mit einer Fachtagung zusammen mit der Stiftung Kirchenburgen und einer Literaturtagung in Temeswar auf. Nun ist die Fortführung solcher Maßnahmen über das Jahr 2024 hinaus nicht gesichert – zum Nachteil des fachlichen Kulturaustausches mit und auch vor Ort in Rumänien.
Ähnliches gilt bereits hinsichtlich der Förderung zum Erhalt der siebenbürgisch-sächsischen Kirchenburgenlandschaft. Beginnend mit Maßnahmen der Vorgängerregierung (CDU/CSU, SPD) hat der Deutsche Bundestag seit 2019 insgesamt 1,09 Mio Euro bereitgestellt. Damit wurden bauliche Maßnahmen, aber auch Dokumentationen mobilen Kulturguts im Bestand der Evangelischen Kirche Rumäniens gefördert. Das Projekt wird von Seiten der BKM Claudia Roth für 2023 als beendet erklärt. Wie allseits bekannt, entspricht das jedoch nicht der Lebensrealität: Der Förderbedarf besteht weiter-hin. Die Fördermittel werden in der siebenbürgischen Kirchenburgenlandschaft schmerzlich fehlen, wo jetzt bereits in Sakralbauten Deckengewölbe, Kirchtürme und tragende Bauteile einstürzen.
Breitflächige Kritik
In ihrem angedachten Rahmenkonzept für Erinnerungskultur lässt Kulturstaatsministerin Claudia Roth erkennen, dass sie in den Herkunftsgebieten wie Rumänien kulturelle Maßnahmen fördern möchte, soweit sie zur Versöhnung betragen – bald 80 Jahre nach Kriegsende. Da kommt die Frage nach ihrem Weltbild auf, hat doch die rumänische Mehrheitsbevölkerung in mehreren Amtszeiten Vertreter der deutschen Minderheit zum Staatsoberhaupt gewählt, in Hermannstadt/Sibiu und anderen Ortschaften zu Bürgermeistern.
Selbst wenn man dem BdV und dessen Präsidenten Bernd Fabritius unbedingt politische Motivation unterstellen möchte – was nicht gegeben ist – so kann auf Wortmeldungen direkt oder indirekt betroffener Institute geachtet werden. Beipielsweise haben sich Leiter von Gedenkstätten in einem Brandbrief zu Claudia Roths Konzept der Erinnerungskultur geäußert, woraus die „FAZ“ und „Die Zeit“ zitieren. Demnach teilen die Fachleute mit: „Das Papier kann als geschichts-revisionistisch im Sinne der Verharmlosung der NS-Verbrechen verstanden werden.“ Die Feuilletonredakteure empfehlen auch hier den Dialog, um „den wolkigen Ideen aus dem Entwurf des Kulturstaatsministeriums Konturen zu verleihen“ (Zeit Online). Ähnlich wie bereits in der ADZ festgestellt, erkennt auch die Süddeutsche Zeitung: „Im Entwurf Roths erscheint Erinnerungskultur als eine Art staatlicher Belehrungsauftrag, den man zeitgemäß um Antikolonialismus und Migrationsgeschichte zu erweitern habe.“ Die Jüdische Allgemeine befürchtet eine „weichspülende Geschichtspolitik“, die als solche wertlos ist. Die FAZ gelangt zu dem Fazit: „Ein Lernort wird zur Schule des Verlernens“.
Das Bundesinstitut BKGE
Speziell zum Streichen des Kennzeichens „deutsch“ im Name des Oldenburger Instituts BKGE stellt der wissenschaftliche Beirat des Leibniz-Instituts für Geschichte und Kultur des östlichen Europas gegenüber Claudia Roth – zitiert in der FAZ – irritiert fest, dass mit der Namensänderung nun zwei Institute die gleiche Bezeichnung tragen. Es bestehe die „Gefahr eines Ansehensverlustes beider Einrichtungen“.
Der Institutsleiter des betroffenen BKGE, Prof. Dr. Matthias Weber, hält sich mit öffentlichen Äußerungen zum Vorgehen seiner Dienstherrin natürlich zurück. Er ist seit 1990 in jenem Haus tätig, das er seit 20 Jahren leitet. Zur Terminologie hat er sich in einem Fachaufsatz für den Deutschen Kulturrat bereits 2018 klar geäußert. Weil der Begriff „Ostdeutschland“ längst als Bezeichnung des Gebietes der ehemaligen DDR üblich geworden sei, habe man eine Umschreibung gewählt: „das Oldenburger Bundesinstitut hieß nun für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa – eine Wendung, die sich allmählich durchgesetzt hat.“ Es ginge um die östliche Dimension der deutschen Kultur und Geschichte – selbstverständlich im historischen Kontext der Nachbarländer, von denen losgelöst eine wissenschaftliche Betrachtung gar nicht möglich wäre.
Seit der Institutsgründung 1989 kam das BKGE Aufgaben nach, wie sie im Bundesvertriebenengesetz geregelt sind: zur Sicherung/Förderung von Kultur und Geschichte der Deutschen aus dem östlichen Europa. Jenes Spezifikum wurde mit dem Streichen von „deutsch“ weichgespült. Der frühere langjährige stellvertretende Direktor des BKGE, Dr. Konrad Gündisch (dort altersbedingt 2013 ausgeschieden), erklärt auf Anfrage: Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) hat per Errichtungserlass vom 28.8.2023 die bis dahin geltende Fassung außer Kraft gesetzt und in der Neufassung den Namen des Institutes und unter §3 auch dessen Aufgaben geändert. Der Fokus auf deutsche Kultur und Geschichte wird auf solchem Wege zur Marginalie im Themenkomplex des gesamten östlichen Europas, worin die bisherige Kernaufgabe nunmehr „auch“ behandelt werde, im Sinne von „ferner liefen“.
Zweifellos besteht ein Zusammenhang mit den für 2023 als beendet erklärten Fördermaßnahmen und fehlenden Erhöhungen, die inflationsbedingt und aufgrund allgemeiner Kostensteigerungen einer schmerzlichen Kürzung gleich kommen. Dahingehende Entscheidungen wurden bereits vor den bundesdeutschen Haushaltproblemen im Dezember 2023 angebahnt und getroffen und sind folglich nicht als erforderliche Haushaltsanpassungen anzusehen. Schließlich sind unter §7 auch die Kriterien für die Zusammensetzung des wissenschaftlichen Beirats geändert worden: ohne dem Schwerpunkt auf die Deutschen des östlichen Europas.
Institutionelle versus Projektförderung
Ob Natalie Pawlik (Mitglied des Bundestages für die SPD) als Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten die Sachlage differenzierter betrachtet als der Koalitionspartner Bündnis90/die Grünen? Sie hat auf die Anfrage nicht reagiert. Ihre Wurzeln liegen bei deportierten Wolgadeutschen nahe Kasachstan. Festzustellen ist, dass sowohl das Museum für russlanddeutsche Kulturgeschichte in Detmold, wie auch das Siebenbürgische Museum in Gundelsheim lediglich eine jährlich neu zu beantragende Projektförderung von Seiten der BKM erhalten. Seit Jahren hoffen beide Einrichtungen auf den institutionellen Charakter eines Landesmuseums mit gesicherter Finanzierung, die nicht mehr jährlich beantragt werden muss, wie es eigentlich für dynamische und zeitlich limitierte Projekte vorgesehen ist. Auch die bereits erwähnte Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen wie auch das Siebenbürgen-Institut mit Archiv und Bibliothek warten bei gestiegenen Personal- und Energiekosten auf einen festen Platz im Bundeshaushalt. Nur so können auch grenzüberschreitende Kultur-, Forschungs- und Vermittlungsmaßnahmen mit Partnern in Rumänien langfristig planbar und nachhaltig erfolgen.
Erfahrungen der vergangenen Jahre zeigen: eine bedarfsorientierte Förderung ist mit parteiübergreifendem Konsens möglich. Doch jener muss von allen auch gewollt sein. Nur im Gespräch miteinander wird eine gesellschaftlich tragfähige Lösung erzielt, die nicht beim nächsten Regierungswechsel komplett revidiert wird. Quasi Alleingänge mit ministeriellen Erlassen und Rahmenkonzepten finden gesellschaftlich keine Mehrheit und sind offensichtlich fachlich nicht tragfähig. Leider strahlt ihre Wirkung bis nach Rumänien.