Florian Kührer-Wielach wird als 33-Jähriger nicht bloß der jüngste, sondern als Österreicher auch der erste nicht in Rumänien geborene Direktor des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas e. V. an der Ludwig-Maximilians-Universität München (IKGS) sein. Seit 2013 dessen stellvertretender Leiter, wurde er zum Nachfolger von Dr. Konrad Gündisch gewählt, der dieses Amt bis zum 1. Oktober kommissarisch innehat. Fremd in Rumänien und Siebenbürgen aber ist Dr. Kührer-Wielach keineswegs: Er studierte ein Jahr lang an der Babeş-Bolyai-Universität in Klausenburg/Cluj, seine mittlerweile mehrfach ausgezeichnete Promotion schrieb er zu Siebenbürgen in der Zwischenkriegszeit. Mit Dr. Kührer-Wielach sprach Hannelore Baier.
Wie kam es zu dem Studienjahr in Klausenburg?
Rumänien habe ich bereits in den 1990er Jahren kennengelernt. Unser römisch-katholischer Pfarrer in Pulkau/Niederösterreich stammte aus der Moldau und hat mit uns als Jugendliche Reisen nach Rumänien unternommen. Land und Leute habe ich also relativ früh kennengelernt. Damals schon lernte ich ein bisschen Rumänisch. Im Zuge meines Geschichtsstudiums musste ich dann die Entscheidung für eine Spezialisierung treffen, und es lag nichts näher, als meine Affinität zu Rumänien und dem Donau-Karpatenraum auszubauen und neben Geschichte Rumänisch zu studieren, was in Wien wunderbar geht. 2004-2005 habe ich dann mit dem Erasmus-Programm zwei Semester in Klausenburg studieren dürfen. Das Jahr in Siebenbürgen war für mich prägend, der Universität Klausenburg verdanke ich sehr viel.
Wo Sie schon da waren, lag es nahe, ein siebenbürgisches Thema für die Dissertation zu wählen. Würden Sie bitte eine Antwort geben auf die im Titel des aus der Promotionsarbeit hervorgegangenen Buches enthaltene Frage „Siebenbürgen ohne Siebenbürger?”
Der Slogan stammt aus der Zeit gleich nach der Vereinigung 1918 und ist ein Kampfspruch der siebenbürgisch-rumänischen Politiker, um sich gegen die Vereinnahmung der von Bukarest aus betriebenen Zentralisierung des Landes zu wehren. Diese Frage der Eingliederung der Region in den rumänischen Zentralstaat ist der eine Aspekt, dem ich in der Dissertation nachgegangen bin. Die andere Frage ist eher eine methodische: Was ist denn Siebenbürgen überhaupt, wie kann man das abgrenzen? Wie beweglich sind diese Grenzen, wer zieht sie auf der Karte oder auch im Diskurs? Das Interessante an der Thematik: Die siebenbürgisch-rumänischen Politiker – Maniu, Vaida-Voievod usw. – haben, obwohl die physischen Grenzen 1918 gefallen waren, in ihrem politischen Diskurs die Grenzen aufrechterhalten und die Karpaten weiterhin als eine Art Zivilisationsgrenze dargestellt. Das wollte ich u. a. in meiner Dissertation zeigen.
Sie waren der Initiator der Ende April in Berlin veranstalteten internationalen Konferenz „Aus den Giftschränken des Kommunismus“, bei der Teilnehmer aus fast allen Ländern des ehemaligen Ostblocks zur Aufarbeitung der von den Repressionsapparaten verfassten Dokumente sprachen. Welches war der Auslöser der Konferenz?
Im IKGS wird schon länger über die Securitate-Akten gearbeitet, die über die deutsche Minderheit in Rumänien angelegt worden sind. Die damaligen Mitarbeiter des IKGS bzw. des Südostdeutschen Kulturwerks, des Vorgängerinstituts des IKGS, hatten bereits früh den Wert dieser Quellen erkannt und schon kurz nach der Wende mit der Bearbeitung dieses Themas begonnen. Diese Konferenz reiht sich also in gewisser Weise in ein längeres Forschungsprogramm ein. Andererseits wollten wir neue methodische Fragen aufwerfen und den Blick für den besonderen Duktus und die – zum Teil nicht gleich ersichtlichen – Inhalte dieser Akten schärfen. Das taten wir in Zusammenarbeit mit Dr. Michaela Nowotnick von der Humboldt-Universität zu Berlin.
Sie kommen gerade aus Katzendorf/Caţa, wo die 30. Siebenbürgische Akademiewoche unter dem Titel „Mythisches Transsylvanien“ stattgefunden hat. Auf dem Programm standen neben Vorträgen auch Ausflüge, Filmvorführungen und Dichterlesungen. Ist der Kontrast da nicht etwas groß zwischen der internationalen wissenschaftlichen Tagung und einer solchen Veranstaltung mit eher populärwissenschaftlichem Ansatz?
Gar nicht! Ich sehe die Aufgabe des IKGS und auch meine darin, einen Bogen zu spannen. Unsere Aufgabe ist es nicht nur, hohe Wissenschaft zu betreiben: Unser Slogan lautet „Bewahren – Erforschen – Vermitteln“, und gerade das Vermitteln ist ein ganz wichtiger Punkt. Vermitteln, wie schön Südosteuropa, der Donau-Karpatenraum, Siebenbürgen sind und dafür auch den Nachwuchs zu begeistern. Dazu ist das Format der Akademiewoche – die wir unterstützen, die aber seit mittlerweile 30 Jahren von freiwilligen Kräften getragen wird – besonders gut geeignet. Deshalb betrachte ich es als genauso wichtig, diese Veranstaltung zu unterstützen, wie große Kongresse zu organisieren.
Zu Zeiten des Südostdeutschen Kulturwerks (SOKW) lag der Schwerpunkt auf der Untersuchung der Deutschen in Südosteuropa, zumindest in den Jahren nach der Gründung auch in „fragwürdiger Kontinuität der Volkstumsideologie”, wie es Dr. Gündisch in einem Interview in der ADZ formulierte. Was steht bzw. wird künftig im Mittelpunkt der Forschung liegen?
Ich glaube, da hat sich schon zu Zeiten des SOKW sehr viel bewegt. Es wurde von den Verantwortlichen der letzten Jahrzehnte sehr genau – und aus Überzeugung – darauf geachtet, dass deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas betrieben wird, ohne in irgendeiner Weise in das Fahrwasser einer völlig überkommenen Volkstumsideologie zu geraten. Ich meine, wir sollen auch weiterhin unbedingt den Schwerpunkt auf der deutschen Geschichte und Kultur Südosteuropas behalten und diese – was heute selbstverständlich ist – im Kontext der Region in ihrer ganzen Vielfalt präsentieren. Die deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas hat einerseits eine schwierige Vergangenheit, anderer-seits bedeutet sie aber eine Brücke in Europa. Man findet durch sie in Mitteleuropa viel einfacher gemeinsame Identifikationspunkte. So kann man Menschen die ganze Vielfalt und Faszination der Region näherbringen.
Wird man in Deutschland nicht in die landsmannschaftliche Ecke gedrängt, wenn man sich mit den einst von deutschen Gemeinschaften besiedelten Gebieten Südosteuropas befasst?
Ich sehe bei den landsmannschaftlichen Verbänden großen Willen, sich zu erneuern. Als Wissenschaftler dürfen wir uns nicht von politischen Interessen vereinnahmen lassen. Gleichzeitig sehe ich uns aber hinsichtlich einer gemeinsamen Aufarbeitung von Geschichte und der Präsentation der Region und ihrer Kultur als Partner dieser Einrichtungen, wenn die das wollen.
Welches sind die zur Zeit wichtigsten „Baustellen” des IKGS?
Die in der „Szene” bereits seit Jahrzehnten etablierte Zeitschrift „Spiegelungen“ erscheint nun halbjährlich in einem neuen Layout und mit leicht veränderten redaktionellen Akzenten. Uns sind drei Säulen wichtig, die mitei-nander korrespondieren, nämlich die wissenschaftliche, die literarische und – nun in erweiterter Form – ein Kulturteil, der sich auf essayistische und feuilletonistische Art der Kultur und Geschichte Südosteuropas nähern soll.
Die IKGS–Buchreihe erscheint ab diesem Jahr im Verlag Friedrich Pustet, Regensburg. In der Forschung werden wir, soweit dies einem kleinen Team möglich ist, weiterhin versuchen, den gesamten Donau-Karpatenraum zu bearbeiten. Unter anderem werden die Themen „Alltagsgeschichte” und „interethnische Beziehungen”, die meine Kollegin Dr. Enikö Dacz erforscht, in den Mittelpunkt rücken. Wichtig ist, unsere Forschung in größere Zusammenhänge einzubetten.
Die Bewahrung des Kulturerbes ist eine ebenso wichtige Aufgabe: Unser Archiv ist offen für Vor- und Nachlässe literarischer, kultureller, politischer oder wissenschaftlicher Persönlichkeiten aus diesem Raum, um die Unterlagen zu sichern, zu verzeichnen und der Wissenschaft zuzuführen.
Wie wird – außer über die Universität oder Akademiewochen – versucht, an junge Menschen heranzutreten, um sie für die Problematik Südosteuropas zu interessieren?
Das IKGS unterstützt mehrere Formate, wie zum Beispiel das Nachwuchsseminar der Jahrestagung der historischen Kommission oder das Graduiertenkolloquium zur Kultur- und Beziehungsgeschichte Ostmittel- und Südosteuropas zu Themen dieses Raumes. Für die „Spiegelungen“ versuchen wir, junge Autoren zu gewinnen, um diese einerseits einzubinden und andererseits die Zeitschrift auch für ein jüngeres Publikum attraktiver werden zu lassen. Wir bieten Pre- und Postdoc-Stipendien an, sind in mehrere Austauschprogramme eingebunden, vergeben Praktikumsplätze und laden Gastwissenschaftler ein. Das Interesse am IKGS steigt, sodass uns mittlerweile manchmal die Arbeitsplätze zu wenig werden.
Wie klappt die Verknüpfung und Koordination mit anderen Institutionen in Deutschland, die einen ähnlichen Forschungsschwerpunkt haben?
Das Schöne ist, die Thematik ist so vielfältig, dass wir uns gegenseitig nichts „wegnehmen”, sondern im Gegenteil, wunderbar ergänzen. „Artverwandte” Einrichtungen, wie z. B. das Institut für Donauschwäbische Geschichte und Landeskunde in Tübingen oder das Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa in Oldenburg betrachten wir als Partner. Genauso wichtig aber ist es auch, mit Instituten und Einrichtungen zusammenzuarbeiten, die einen anderen Schwerpunkt haben, um das Thema auch einem breiteren wissenschaftlichen Publikum näherzubringen. Es nützt nichts, nur in der eigenen „Szene” zu bleiben. Diesbezüglich sind wir zum Beispiel Partner des Leibnitz-Instituts für Europäische Geschichte in Mainz, mit dem wir das Projekt „Confessio et Imperium” zu Fragen der Konfessionalisierung im Donau-Karpatenraum realisieren.