Der neueste Film „Lumea e a mea“ (Die Welt gehört mir) des 29-jährigen rumänischen Regisseurs Nicolae Constantin Tănase ist kaum ein paar Monate alt – die rumänische Kinopremiere des Spielfilms war am 23. Oktober dieses Jahres – und hat doch inzwischen bereits auf mehreren nationalen und internationalen Filmfestivals diverse Preise und Auszeichnungen erhalten: auf dem Cottbuser Festival des osteuropäischen Films, auf dem rumänischen Filmfestival „Anonimul“ im Donaudelta, auf dem Karlsbader Filmfestival im Rahmen des Wettbewerbs „East of the West“ und last but not least auf dem siebenbürgischen Filmfestival TIFF, wo der Film „Die Welt gehört mir“ auch seine Uraufführung erlebte.
„Die Welt gehört mir“ ist der Gattung der Coming of Age-Filme zuzurechnen, jener Filme also, die Jugendliche an der Schwelle zum Erwachsenenalter, Heranwachsende in der Pubertät, junge Menschen auf dem Weg der Herausbildung einer reifen Identität zeigen. Die interessanteren dieser Coming of Age-Filme, zu denen auch „Die Welt gehört mir“ zu zählen ist, wenden sich nicht nur an die in solchen Filmen beschriebene Zielgruppe der Jugendlichen und jungen Erwachsenen, sondern entwerfen zu gleicher Zeit ein Bild derjenigen Gesellschaft, in der diese Heranwachsenden, ob sie nun wollen oder nicht, ihren Platz finden und einnehmen müssen.
In „Die Welt gehört mir“ ist es die fünfzehnjährige Larisa aus der Schwarzmeerstadt Konstanza/Constanţa, die sich in Schule, Elternhaus, Freundschaft und Liebe behaupten und ihren eigenen Weg zu gehen lernen muss. Während die meisten Coming of Age-Filme einen langen Atem haben und längere Zeiträume umspannen, ist das Hauptkennzeichen dieses sehenswerten Films von Nicolae Constantin Tănase nach dem Drehbuch von Raluca M²nescu seine Atemlosigkeit: Das Erwachsenwerden der Protagonistin drängt sich hier in wenige Tage, ja Stunden zusammen und gleicht eher einem plötzlichen Sturz oder abrupten Fall ins Erwachsenendasein.
Symptomatisch dafür ist bereits der Beginn des Films. Die ins Wasser gestürzte Protagonistin Larisa (grandios verkörpert durch die Debütantin und Schauspielstudentin Ana Maria Guran) treibt im Punkrockoutfit mit Hot Pants und vielfach beringt gleichsam schwerelos im kühlen, dunklen und alle Sinneseindrücke dämpfenden Nass – eine Szene, die sich leitmotivisch im gesamten Film mehrfach wiederholt.
Als Larisa die Tür zu ihrer Wohnung öffnet, wo gerade die Großmutter gestorben ist, stürzt ein gewaltiger Wasserschwall auf sie zu, der sie – surrealistisch, traumhaft, imaginär – mitreißt und ein zweites Mal unter Wasser drückt. Als Larisa, vom Alkohol betäubt, in der Disco tanzt, stürzt sie imaginativ immer wieder in diese betäubende und dämpfende Flut und wird immer wieder aus dieser von helfenden Händen in die tobende Hölle der Discomusik emporgezogen. In der vorletzten Filmszene watet sie langsam ins Schwarze Meer hinein und auf die Morgensonne zu, Tod und Leben gleichermaßen entgegenstrebend.
Und in der letzten Szene des Films, die symbolisch an die erste anknüpft, sieht man die Fluten tsunamigleich vom Meer her in ihre Heimatstadt strömen, so wie in früheren Sequenzen des Films die Stätten von Larisas Demütigung geflutet wurden: der Schulkorridor, das Rektoratszimmer, das Zimmer ihres Geliebten, die elterliche Wohnung. Man kann diese ubiquitäre Präsenz des liquiden Elements motivgeschichtlich auch als Hommage an Tarkowski verstehen: an den sowjetischen Filmregisseur Andrei Arsenjewitsch sowie an dessen Vater, den russischen Lyriker und Übersetzer Arseni Alexandrowitsch.
Der Film „Die Welt gehört mir“ zeigt, bevor seine ungeheure und aufs Ende zustürzende Dynamik einsetzt, zunächst die Lebenswelt Larisas: Sie wohnt gemeinsam mit ihrer Mutter, deren Freund und ihrer Großmutter in einem einfachen Wohnblock in Konstanza. Die Großmutter ist pflegebedürftig und es ist Larisa, die sie wäscht, putzt und füttert und die bislang verhindert hat, dass die Großmutter in ein Pflegeheim ausquartiert wurde. Gewalt ist das Hauptmerkmal der Umgebung, in der Larisa aufwächst. Der Freund der Mutter ist gewalttätig, eine Mitschülerin bedroht und bedrängt sie brutal, weil Larisa ein Auge auf ihren Lover geworfen hat, es herrscht, um Georg Büchner zu zitieren, „in allen menschlichen Verhältnissen eine unabwendbare Gewalt“.
Das Drama nimmt seinen Lauf, als Larisa sich zu wehren beginnt und die Mitschülerin, die sie belästigt und quält, ihrerseits verprügelt. Besagte Mitschülerin ist nämlich die Tochter eines einflussreichen Vaters, der nun alle Hebel in Bewegung setzt, um Larisa zu bestrafen und zu demütigen. Die Englischlehrerin, der Rektor, die Mutter, deren Freund, allesamt üben sie nun marionettengleich Druck auf die junge Larisa aus, die sich, als starke Persönlichkeit, die sie ist, das freilich nicht bieten lässt. Auf die Machtlosigkeit und die Verlassenheit, die sie spürt, reagiert sie zunächst mit Gegengewalt. So zerstört sie in einer grandios gefilmten Szene im Schulrektorat das Aquarium des Direktors. Danach gibt es für sie dann nur noch die Flucht. Nicht von ungefähr lautet Larisas Familienname im Film auch Fugaru.
Als der mächtige Vater der geprügelten Mitschülerin schließlich sogar die Polizei einschaltet, um Larisa verhaften zu lassen, gibt es für sie kein Zurück mehr: weder in die Schule, noch in die elterliche Wohnung. Als Refugium bleibt ihr allein die Freundschaft zu zwei Mitschülerinnen, die noch zu ihr halten. Dann häufen sich aber die Enttäuschungen und Schicksalsschläge. Larisas Freund Florin defloriert sie, will unmittelbar darauf aber nichts mehr von ihr wissen, verlacht und verspottet Larisa sogar noch im Angesicht seiner Kameraden. Die Großmutter, ihre einzige – wenngleich stumme – erwachsene Bezugsperson stirbt. Der Freund der Mutter jagt Larisa aus dem Haus. Als Krawallmacherin wird sie aus der Disco geworfen und danach von ihrem verständnisvollen Begleiter und vermeintlichen Retter nachts am Strand vergewaltigt.
Neben der enormen filmischen und psychologischen Dynamik fasziniert an diesem Film auch das exzellente Sound-Design (Tudor Petre), die hervorragende Musik (Vlaicu Golcea), die grandiose Kameraführung (Petru Tănase) und die glänzende Bildregie (Daniel Kosuth). Sie unterstützen den gewaltigen Sog, in den die Hauptdarstellerin hineingezogen wird und angesichts dessen man unablässig fragt, wie lange sie ihm noch wird widerstehen können. Ob das am Ende mit Larisas Stimme aus dem Off erklingende „Alles wird gut“ ein Satz des Todes oder des Lebens ist, lässt der Film offen, auch dann noch, als der vom Schwarzen Meer hereinbrechende Tsunami bereits die ersten Straßenzüge der rumänischen Hafenstadt zu überfluten beginnt.