Am 25. und 26. Oktober fand die wissenschaftliche Tagung des Departments für germanische Sprachen und Literaturen an der Fakultät für Fremdsprachen der Universität Bukarest statt. Zum Abschluss der Tagung las der österreichische Autor Hans Platzgumer auf Einladung der Österreich-Bibliothek „Hugo von Hofmannsthal“ Bukarest aus seinem Roman „Die ungeheure Welt in meinem Kopf“ vor. Die Lesung wurde mit Unterstützung des Österreichischen Kulturforums Bukarest anlässlich seines 25-jährigen Jubiläums durchgeführt und von Prof. Dr. Gabriel Horațiu Decuble moderiert. Die Leiterin der Österreich-Bibliothek „Hugo von Hofmannsthal“ Bukarest, Prof. Dr. em. Mariana-Virginia Lăzărescu, führte mit Hans Platzgumer ein Gespräch für die ADZ.
Sie sind in Innsbruck geboren, leben heute in Bregenz, arbeiten oft in Wien, haben sich aber eine Zeitlang in den USA aufgehalten. Es gibt folgende Aussage von Ihnen: „Mir ist Innsbruck zu eng geworden – in allen Beziehungen: geografisch durch die Berge, und dann auch diese Engstirnigkeit im Kopf, die damals ganz stark fundiert war.“ Welche Bedeutung hatten für Sie diese Stationen, welche Erfahrungen haben Sie dabei gesammelt?
Ich habe meine Heimatstadt Innsbruck mit 17 Jahren am ersten Tag nach meiner Matura verlassen und bin nach Wien gezogen, wo ich heute immer noch lebe. Ich habe in den letzten Jahrzehnten aber eben auch lange in New York, Los Angeles, Hamburg, London, München und anderen Städten gelebt und gearbeitet. Die vielen Ortswechsel waren einerseits als Horizonterweiterungen äußerst wichtig für meine Entwicklung, andererseits waren es in gewisser Weise auch immer Fluchtbewegungen. Mein Leben war von großer Unrast geprägt. Ich tauschte immer wieder die Umgebung aus, teils aus Abenteuerlust, um Erfahrungen zu sammeln, teils auch um vor den Problemen in mir davonzulaufen, vor der ungeheuren Welt in meinem Kopf sozusagen. Inzwischen bin ich 55 Jahre alt und habe andere Techniken entwickelt, anstatt das ewige Umherziehen, habe mehr Gelassenheit gefunden. Grundsätzlich erscheint es mir als Lebensweg ideal, als junger Mensch möglichst viel unterschiedliche Erfahrungen und Eindrücke zu sammeln und diese dann als älterer Mensch zu reflektieren. Es wirft mein ganz persönliches Licht auf die Grundfrage des Daseins: Worum geht es denn überhaupt im Leben? Der Mensch kann nicht rein theoretisch lernen und Wissen anhäufen. Es ist wichtig, auf einen möglichst großen Erfahrungsschatz zurückgreifen zu können, um Wissen mit Praxis zu verknüpfen und Referenzen ziehen zu können. Ich versuche mich daran, es ist ein nie endender Lernprozess.
Anfang der Neunziger haben Sie sich als Musiker mit Ihrer Band H. P. Zinker einen Namen gemacht, die Goldenen Zitronen oder Queens of Japan sind nur einige der zahlreichen Bandnamen, unter denen Sie Musik veröffentlicht haben. Heute sind Sie mit Ihren Büchern „Am Rand“ (2018), „Willkommen in meiner Wirklichkeit“ (2020), „Drei Sekunden jetzt“ (2021), „Großes Spiel“ (2023) u.a. ein preisgekrönter Schriftsteller, wurden 2016 für den Deutschen Buchpreis nominiert, produzieren Hörspiele, kuratieren Festivals und arbeiten als Remixer. Wie kommentieren Sie Ihre Einstellung: „Eigentlich können wir froh sein, wenn wir möglichst viele Spuren eines Lebens in uns haben und nicht am Ende unserer Tage das Gefühl haben, wir haben zu wenig erlebt oder zu wenig gelebt.“
Das Menschenleben ist nun mal eine Herausforderung und anstrengend, für jeden/jede auf seine/ihre Weise oft eine Überforderung. Solange wir die Kraft und die Möglichkeiten dazu haben, empfiehlt es sich, das Leben anzunehmen, irgendetwas daraus zu machen, Dinge zu wagen, uns an diesem und jenem zu versuchen, an manchen Stellen zu reüssieren, an anderen zu scheitern. Ich habe das Leben nur als Achterbahnfahrt kennengelernt. Für andere ist es vielleicht mehr ein gleichförmiges Fließen, ein behutsames Sich-Vorantasten. Nur wenn ich das Leben als Stillstand begreife, als Festhalten an ein und derselben Sache, dann wird die Welt mich irgendwann hinter sich gelassen haben – und diese Erkenntnis ist für niemanden leicht zu verkraften, denke ich. Das Wichtigste, scheint mir, auch das, was ich stets meinen Kindern versucht habe zu vermitteln, ist das Bewusstsein. Wir sollten in jeder Phase, in jedem Moment versuchen, uns darüber bewusst zu werden, was wir tun, was wir anstellen, was wir wollen und was nicht.
Sie haben bis dato viele Romane veröffentlicht, die von den Lesenden und der Kritik äußerst positiv aufgenommen wurden. Wie erklären Sie den Sprung vom Rockstar zur Schriftstellerei?
Man kann und muss nicht immer alles erklären. Gerade in der Kunst und in einem Künstlerleben gibt es ständig Verschiebungen. Der Schaffensdrang und die Neugier treiben einen hierhin und dorthin. Niemand weiß, wann einen die Muse küsst und ob sie es überhaupt jemals wieder tut, wenn sie es einmal getan hat. Vor 25 Jahren begann sich meine Aufmerksamkeit durch verschiedene Umstände hin zur Literatur zu verschieben. Ich folgte, wie ich es als Künstler immer tue, meiner Intuition. Das Schreiben ergriff mich, ergriff mich irgendwann mehr als die Musik. Ich bin ein ziemlich vergeistigter Mensch. Auf einer intellektuellen Ebene bot mir die Literatur mehr Entfaltungsmöglichkeiten an als die Musik. Doch es war keinesfalls ein Sprung, vielmehr ein bedächtiges Hi-nübergleiten über Jahre hinweg vom Einen ins Andere.
Im Mai hatte ich die Gelegenheit, Ihrer Lesung in der Österreichischen Gesellschaft für Literatur im Palais Wilczek in Wien beizuwohnen. Präsentiert wurde der Roman „Die ungeheure Welt in meinem Kopf“, erschienen 2024 bei Elster & Salis Wien. Warum wird von der Kritik behauptet, dass dieses Buch aus der Reihe Ihres sonstigen Schaffens tanzt?
Wenn dies behauptet wird, dann ist es wohl am ehesten der Form geschuldet. Formell ist dieser Roman anders als alle anderen, weil er rein aus direkten Reden und Dialogen besteht. Es gibt keinen Erzähler im herkömmlichen Sinn, weder einen auktorialen noch einen Ich-Erzähler, wie ich ihn in den meisten meiner Arbeiten wähle – und das obwohl das Buch mit dem Satz beginnt: „Jetzt erzählen wir deine Geschichte, Sascha.“ Normalerweise fällt mir die Ich-Erzählform am leichtesten, weil ich mich gut in andere Köpfe und die Situationen, in denen sie stecken, hineinfallen lassen kann. Im Grunde aber ist das hier dasselbe. Ich gehe als Schreibender und Sie als Lesende ganz hinein in diesen Kopf, so ungeheuer es auch ist. Inhaltlich ist das Buch genau dort angesiedelt, wo alle meine Bücher spielen: am existenzialistischen Ringen mit der Welt, am Durchhalten oder Nicht-mehr-Durchhalten, an Menschenseelen, die an den Rand gedrängt sind.
Bei Ihren Lesungen haben Sie hervorgehoben, dass der Roman eine Hommage an Franz Kafka darstelle. Können Sie detaillieren, inwieweit diese Behauptung zutrifft?
Ich habe mich sehr viel mit Kafka beschäftigt und mit diesem Buch setze ich ihm mein Denkmal. Er stand Pate dafür, seine Tagebücher inspirierten mich zu diesem Text. Die Hauptfigur ist nahe an Kafka angelegt, ein Seelenverwandter 100 Jahre später. Das universelle Hadern Kafkas wird hier neu beschrieben, neu übersetzt, auch der Trost, den er im Schreiben und im Denken fand. Und ganz direkt mischt sich Kafka mit Originalzitaten ständig ins Geschehen ein. Es ist ein durchaus frecher, ungewöhnlicher Umgang mit dem großen Meister, aber ich bin mir sicher, ihm hätte dieser Ansatz gefallen.
In Wien fand eine teils multimedial begleitete Lesung statt, wobei Sie bei den szenischen Passagen für die weibliche Stimme durch Ihre Tochter Faye Bellet unterstützt wurden. In Bukarest sind Sie bei der Lesung mit einer anderen Stimme, die aufgezeichnet war, ab und zu per Knopfdruck in einen Dialog getreten. Sie verwenden im Roman die direkte Rede. Warum sind Ihnen die verschiedenen Stimmen bei der Lektüre des Romans wichtig, die somit zur Performance wird? Ist das als Reminiszenz aus Ihrer langjährigen Beschäftigung mit der Musik zu deuten?
Ich glaube, das geht auf meine langjährigen Arbeiten im Hörspielbereich und im Theater zurück. Ich habe bislang Dutzende Produktionen in diesem Feld gemacht. Als Autor und als Mensch bin ich jemand, der immer hört. Jedes Geräusch, jeder Satz ist für mich Teil des Spektakels. Beim Schreiben höre ich den Sätzen zu, die in meinem Kopf gesprochen werden. Ich bringe zu Papier, was ich als Klang wahrnehme. Das funktioniert nicht nur als Komponist in Notenschrift und nicht nur als Dramatiker, sondern auch als Prosa-Autor. Und ich bin mir sicher, dass es für Lyrikerinnen und Poeten auch so ist. Kunst ist, zumindest für mich, immer eine sinnliche Erfahrung, nie rein etwas Theoretisches, dem ich mit Distanz begegne.
Mit welchen Eindrücken haben Sie Kronstadt und Bukarest verlassen?
Ich habe dazu einen kleinen Text für die Reihe „Begegnungen“ verfasst, den ich Ihnen hier gerne anhänge und aus dem Sie gerne zitieren dürfen.
Herzlichen Dank für das Gespräch und weiterhin viel Inspiration!