„Es kann zur Obsession werden, durch Bücher zu leben. Ich gebe zu, sie zu haben”, sagt der Autor des meistverkauften Bands von Gedichten auf dem rumänischen Markt im Jahr 2023. „Rețaua” heißt sein Beststeller, der für das Bauen eines „Tempels der Liebe” wirbt, der „ewig widerstehen wird”. Studiert hat Petru Trăscăian (48) Philosophie und Politikwissenschaften, und beruflich zählt er zum Team der Humanitas-Buchhandlung in Hermannstadt/Sibiu. Der Zauber im Buchhändler-Alltag? „Die große Herausforderung besteht darin, dem geeigneten Menschen zur geeigneten Zeit das geeignete Buch zu geben”, schwärmt Petru Trăscăian im Gespräch mit Klaus Philippi. „Eine Erfüllung, die ich schon oft erlebt habe.” Auch manche Täuschungen des Weltgeschäfts, von denen er sich nicht blenden lässt, kommen dabei gesund zur Sprache.
An überschaubaren Orten wie Hermannstadt sind Arbeitsplätze im staatlichen und freien Kultursektor grundsätzlich rar. Gesetzt der Fall, dass eine in genau dieser Branche tätige Person sich mit dem Gedanken trägt, bei Ausschreibung einer vakanten Stelle in der Humanitas-Buchhandlung ihr Glück zu versuchen – wie darf, kann und soll man sich das Arbeiten als Buchhändler vorstellen?
Für alle, die Bücher lieben, ist es eine absolute Freude, von ihnen umgeben zu sein. Die Genugtuung eines jeden Bibliothekars und Buchhändlers, einfach. Man weiß aktuell über Neuerscheinungen Bescheid und kann Bücher auch ausleihen. Für mich besteht eine der größten Freuden in der Begegnung mit Menschen. Das Glück eines Buchhändlers ist die Chance kulturellen und intellektuellen Gesprächs.
Wie hoch fällt die Gewichtung des gestalterischen Anteils an so einem Arbeitsplatz aus, wenn man der Welt von draußen hinter der Ladentüre Bestimmtes bieten kann?
Das gesellschaftliche Hauptproblem schlechthin ist der Abdruck des Kapitalismus als Ausdruck von Profit. Aus Gier danach neigen wirtschaftliche Entitäten dazu, die Wichtigkeit des Menschlichen zu vernachlässigen; unlängst habe ich in San Francisco Werbeplakate eines Unternehmens gesehen, das sich dem Imperativ verschreibt, nicht mehr Menschen anzustellen, sondern seine Arbeit von Bots und künstlicher Intelligenz leisten zu lassen. Das Handeln mit Büchern ist für mich jedenfalls immer noch der Ort, wo der inmitten von Büchern beschäftigte Mensch dir Vorschläge macht. Hier muss ich unbedingt Maria Moga nennen, die Legende des Buchhandels in Hermannstadt. Von ihr habe ich gelernt, mich am Gespräch mit dem jeweils anderen Menschen zu erfreuen. Doch, es stimmt: Als Buchhändler kannst du einem Buch Größe geben. Leider verdunkeln Vorurteile diesen Beruf, was sehr schade ist. Ein guter Buchhändler macht ein Buch zum Bestseller, bindet treue Kundschaft an die Buchhandlung und bildet Interesse am Buch überhaupt.
Nach welchen Kriterien werden Bücher sortiert, wenn man ständig neue hereinbekommt?
Verzeichnisse werden bei uns nicht angelegt. Alle Bücher erhalten dieselbe Chance. Klar aber hat jeder von uns persönliche Vorlieben und schlägt gewisse Büchertitel verstärkt vor. Es ist nicht möglich, wirklich alle Bücher gleichermaßen in den Vordergrund zu rücken. Obschon du das als Buchhändler versuchst, weil, wie ich sagte, jede Einrichtung wirtschaftlich leben können muss. Auch uns gibt es nur wegen des Profits auf dem Markt. Wir geben acht auf Trends. Ein guter Buchhändler ist wie ein Seismograph, hat ein Gespür für das intellektuelle und literarische Gesellschaftsbedürfnis und beteiligt sich öffentlich daran, durch Reaktion auf Erwartung und Schüren von Neugierde.
Woran hat man als beruflicher Kenner der Szene seine Freude an Buchvorstellungen?
Höhepunkte sind es zuallererst für die Autoren. Wir stellen ihnen den Raum zur Verfügung und sorgen für die adäquate Stimmung. Wobei die Begegnungen mit Schriftstellern wie Mircea C²rt²rescu, Horia-Roman Patapievici oder mit Radu Vancu im Keller unserer Humanitas-Buchhandlung in Hermannstadt ohne Frage Fixpunkte meiner Laufbahn sind.
„Die Literatur ist die alleinstehendste aller Künste”, hat Radu Vancu hier mindestens einmal schon zu denken gegeben. „Sie wird im Alleinsein gestaltet und alleine gelesen.” Was sind die Schatten und der Zauber während Stunden des Alleinseins als Buchhändler?
Sicher gibt es auch Verwaltungsaufgaben zu erledigen und Regale zu befüllen. Sobald jedoch all das getan wurde, setzt das Magische ein. Der wahre Zauber geschieht, glaube ich, wenn ein Kunde nach einem Buch seiner Wahl sucht, aber vor lauter Überangeboten die Orientierung verliert und du als ein Buchhändler ihn an das Regal begleitest, um im sofort nächsten Augenblick das Gewünschte für ihn zu greifen.
Umgeben sind wir nicht nur von Büchern, sondern auch Kriegen und Kunstraub, und das seit Menschengedenken. Hitler hat 1933 umgehend nach seiner Wahl und Machtergreifung den Befehl zur Bücherverbrennung erteilt. Unser Rumänien heute ist ein freies Land, Bücher sind ohne Einschränkung erlaubt. Alles, was man gerne lesen möchte, darf man auch. Doch um den Kulturkonsum in Rumäniens gesellschaftlicher Breite steht es sehr schlecht. Wie gefährlich ist Nicht-Lesen?
Eine sehr vielschichtige Frage. Die europäischen Statistiken zeigen deutlich, ja, dass wir in Sachen Kulturkonsum den hintersten Platz belegen. Ein alter und längst chronischer Missstand. Wenn ich nicht falsch informiert bin, haben wir als Staatsgesellschaft in Rumänien seit Beginn des Jahrtausends zwei Jahrzehnte lang pro Person nur drei Lei monatlich für Kultur ausgegeben. Die Gefahr ist klar und sichtbar. Wir leben in einer Epoche, wo digitale Endgeräte unsere Zeit konfisziert haben: die Diktatur von Bildschirmen und Social-Media. Gekämpft wird um unsere Aufmerksamkeit, um letztlich Profit zu erzielen. Das ist es, was wir nicht durchschauen. Seriöse wissenschaftliche Studien belegen, dass das Aufkommen digitaler Endgeräte den Verlust von Konzentrationsfähigkeit mit sich bringt. Betroffen ist davon sehenden Auges auch die Denkfähigkeit. Alles auf dieser Spur von Automatisation hat sich progressiv entwickelt. Unser Paradigma ist das gleiche wie das von Eskimos, auf die sich Nicholas Carr in seinem Buch „The Glass Cage. Automation and Us” bezieht, das 2014 gedruckt und im selben Jahr in rumänischer Übersetzung vom Verlag Publica herausgegeben wurde („Cu{ca de sticl². Automatizarea {i noi”): Eskimos, die sich an die Nutzung des GPS gewöhnt haben, finden bei Ausfall der Batterie den Heimweg nicht mehr und verlieren in der endlos weißen Weite ihr Leben. Sie, die sich seit jeher am Sternenlauf und Himmelskörpern insgesamt orientiert hatten.
Uns fällt es zunehmend schwerer, in Gespräche einzusteigen und zu vernünftigen Schlüssen zu kommen. Stattdessen begnügen wir uns mit völlig unlogischen Syllogismen und stehen als Menschheit tief in der Krise.
Wie eng ist so ein Rückschritt mit demokratischer Übersättigung verknüpft?
Es betrifft den Unterschied zwischen Wohlstand und dem, was er bringt. Demokratie setzt eigentlich Demokratisierung von Kultur voraus. Die Geschichte zeigt uns, dass Lesen und Schreiben bis zur Erfindung und Patentierung des Buchdrucks allein Würdenträgern und gewissen Berufen vorbehalten waren. Das wiederum, was wir heute teils damit anfangen und demokratisch nennen, deutet, finde ich, auf ein trügerisches Verständnis vom Leben hin. Die von virtuellen Netzwerken erzeugte Wirklichkeit, in der nicht wenige Leute leben, ist künstlich und verschafft mühelosen wie oberflächlichen Zugang zum Echten. Wenn von den US-amerikanischen Fernsehzuschauern einer der jüngsten Auflagen der Olympischen Spiele 40 Prozent der Meinung waren, die Gymnastik-Übungen nachmachen zu können, hängt das Wirklichkeitsbild schief. Diese Vorstellung, Wirklichkeit einfach so kreieren zu können und dafür kein Wissen zu brauchen, führt weg von der Natürlichkeit. Außerdem sind die Social-Media-Netzwerke für endloses Scrollen gemacht, es gibt kein Drücken auf den Pausenknopf. Bei den klassischen Massenmedien wie Zeitung, Fernsehen und Rundfunk gab es stets eine Unterbrechung oder ein Ende der Information. Der Mensch von heute dagegen ist verstärkt der Gefahr von Schizoidie ausgeliefert.
Demokratie bedeutet auch die Kenntnis der eigenen Begrenzungen. Dass wir ein stoisches Erbe und weitere Philosophien für das Leben geprägt haben, ist uns kaum noch bewusst. Dafür glauben wir, den Kampf mit Krankheiten und Tod nicht nur kämpfen, sondern auch definitiv gewinnen zu müssen, also nicht mehr länger von unseren menschlichen Limits konditioniert sein zu wollen. Ich komme zur Geschichte zurück: Hitler hat die Macht des Wissens und auch die des Rundfunks verstanden. Dazu die Macht der Luftfahrt, weil er täglich zu drei politischen Meetings in drei verschiedenen Städten gereist ist. Homosexuelle, Behinderte sowie Bücher jüdischer oder anderweitig unerwünschter Schriftsteller durfte es unter ihm nicht geben.
Das Prinzip gewaltsamen Nicht-Wissens?
Ganz klar. Jedes diktatorische Regime baut auch auf das Verzerren von Realität, auf Schaffung von Verwirrung. Man weiß, dass Hitler genau deswegen ein und dieselbe Stelle mit zwei bis drei Personen besetzte, um das absichtlich herbeigeführte Chaos ausschlachten zu können. Nur für seine engsten Mitarbeiter an der Spitze der Politik galt das nicht. Ansonsten wurden Fakten verborgen, offenkundige Tatsachen verneint und Propaganda getrieben. Kein anderer hat so stark wie Goebbels den modernen Begriff von Propaganda geprägt.
Wie viel hat ein Buchhändler gelesen, der im Handumdrehen das findet, was Käufer für ihre Bildung suchen?
Wir haben nicht Zeit, alles zu lesen, nicht mal für das Durchblättern sämtlicher Bücher. Trotzdem holen wir ständig Informationen über die Neuheiten der Verlage ein und müssen uns lesend ein Bild vom Marktangebot machen. Selbstverständlich gibt es einen Unterschied zwischen formaler Bildung, wie sie in der Schule passiert, und dem Informiert-Sein. Sie schließen einander nicht aus. Beide jedoch sind mit Schwierigkeiten behaftet. Ein Bestseller in Rumänien ist gerade die Übersetzung des Buchs „La religion woke” von Jean-Francois Braunstein, der diese ideo-logische Ausrichtung für eine Kreation besonders US-amerikanischer Universitäten und somit formaler Bildung hält. Wer an so eine Universität studieren geht, kommt unweigerlich in Kontakt damit. Informell dafür ist man frei, zu lesen, wonach einem der Sinn steht.
Was für Geschichten von Kunden, die sich nach und nach zu besessenen Lesern entwickeln, kannst du erzählen?
Oh, da gibt es eine ganze Reihe! Ich möchte nicht rührselig darauf zu sprechen kommen, aber bald tue ich das schon seit zehn Jahren, und habe Kinder in der Buchhandlung wachsen sehen. Unbedingt nicht zu vergessen auch die zahlreichen Bekanntschaften, die ich hier geschlosssen habe, und die Erinnerungen an Büchertitel, die Leute aus anderen Städten hier gesucht, gekauft oder empfohlen haben. Es ist ein ständiger Kulturaustausch. Auch und gerade im Kultursektor wird die Aufgabe des Buchhändlers gerne verkannt. Kultur ohne Bücher geht nicht, und ein Buchhändler hat es in der Hand, kleine Kulturen zu großen reifen zu lassen.
2020 hast du dich unabhängig für ein Mandat als Abgeordneter im Rumänischen Parlament beworben. Weshalb ist es nur bei diesem einen Wahlkampf ohne Neuversuch 2024 geblieben?
Kandidiert habe ich damals, um ein Beispiel möglichst origineller Ideen und Projekte zu geben. Es hat mir das Studieren von sehr viel Information abverlangt, so etwa das Einarbeiten in den Masterplan des öffentlichen Verkehrs. He-rausgefunden habe ich Sachverhalte, die von anderen Kandidaten und den etablierten Politikern jeweils vernachlässigt worden waren. Konzentriert habe ich mich natürlich auf Kultur-Projekte. Mir war schon klar, worauf ich mich einlasse, aber mein Ehrgeiz bestand hauptsächlich darin, zu zeigen, wie eine politische Kampa-gne geführt werden sollte. 2024 habe ich es nicht mehr getan, weil ich in keine Partei passe. Der Hunger nach Macht bei vielen Leuten, die nichts mit eigentlicher Politik am Hut haben, ist groß.
Wodurch taugen Bücher zum Refugium?
Lesen und Schreiben sind eine Form des Flüchtens vor der kruden Realität. Aber das muss austariert vorgenommen werden, um nicht in die Falle von Verzerrung zu treten. Der Wunsch nach Flucht vor Ungerechtigkeit verleitet andernfalls gerne zur Verneinung, was in weitere nicht hilfreiche Situationen führt.