Zwischen den Spitzenvorhängen dringt der knallblaue Himmel eines späten Novembernachmittags ins Zimmer des Ferienhauses. Draußen rauschen die kahlen Äste der Bäume geheimnisvoll im Wind, eine gestreifte Katze springt von einem Fenstersims und landet in einem Meer von rotgelben Herbstblättern. Wir schließen die Holztür des Hauses Nr. 1 hinter uns. Inzwischen hat sich der Himmel dunkel gefärbt und liegt wie ein riesiges Indigo-Papier über den Hausdächern. Im Ferienhaus gegenüber, bei Nummer 4, brennt das Licht. Vor mehreren Jahren konnte es seinen prominentesten Gast empfangen: König Charles, ein großer Fan Siebenbürgens.
Von den Ferienhäusern bis zum Schloss Kálnoky brauchen wir etwa 10 Minuten zu Fuß. Als wir das eiserne Tor zum Schlosshof öffnen, ist es schon stockdunkel. Wir müssen aufmerksam sein, um nicht über einen Stein oder Ast zu stolpern. Am Anfang wundern wir uns, dass es weit und breit keine einzige Lichtquelle gibt. Doch dann schauen wir hinauf. Und freuen uns. Wenn es nicht so dunkel wäre, könnte man die vielen Sterne am Himmel nicht sehen. Es ist so, als ob wir plötzlich in eine Märchenwelt eingetreten wären. Und dann öffnen wir die Tür, die zum Weinkeller des Schlosses führt, und stehen plötzlich inmitten eines Meers aus Kerzenlichtern. Etwa 40 andere Gäste sind schon eingetroffen. Auf Tischen steht schon die Vorspeise, dazu kann man Wein bestellen. So schön kann ein Novemberabend im siebenbürgischen Miklósvár (rum. Miclo{oara), knapp eine Autostunde von Kronstadt entfernt, sein: Wir sind im Schloss eines Grafen und werden mit einem Konzert bei Kerzenlicht und einem dreigängigen Abendessen verwöhnt.
Musiker aus der Region und Gerichte, die von Dorfbewohnern zubereitet wurden
Graf Tibor Kálnoky begrüßt die Gäste und erzählt in einem perfekten Rumänisch, dass der Ort, an dem wir uns befinden, früher ein Jagdschloss war. Im Weinkeller fanden vor mehreren Jahrhunderten häufig Konzerte und Feiern statt. „Das wollen wir wieder einführen. Wir dachten zuerst an Klassik-Konzerte, aber unsere Kinder meinten, man sollte die Klassik auch mit moderner Musik kombinieren. Also bieten wir heute Abend Covers von Taylor Swift, Lady Gaga und Agnes Obel an“. Zu den Musikabenden, die jeden zweiten Samstag stattfinden, werden Musiker aus der Region eingeladen. Diesmal die Musiker Löfi Gellért (Violine) und Kertész János (Klavier). Und das Abendessen wird von Leuten aus dem Dorf gekocht.
Graf Kálnoky hat stets neue Ideen. Vor ein paar Jahren hat er sich lustige Werbespots ausgedacht, um die Ferienhäuser im Dorf bekannt zu machen. Dann dachte er an ein spezielles Gericht, das im „Stone Pub“, einem Lokal das auch als Rezeption dient, meistens im Sommer funktioniert und direkt an der Hauptstraße liegt, serviert werden soll. Diesmal will er mehr Leben in das ehemalige Jagdschloss bringen. Die Räume sollen sich wieder mit Menschen füllen, so wie es vor Jahrhunderten war. Das Schloss soll wieder ein Treffpunkt für Kulturbegeisterte, Künstler und Leute aus der Region sein, ein Zentrum des Gemeinschafts- und Kulturlebens. Und ein Ort, wo sich die Gäste wie zu Hause fühlen. Die Ideen mögen verschieden sein, doch Kálnokys Konzept, eine Zeitreise in die siebenbürgische Vergangenheit zu ermöglichen, bleibt unverändert.
Bei allen Konzerten sind der Graf, seine Frau Anna und manchmal auch seine Söhne anwesend, heißen die Gäste willkommen, setzen sich kurz an alle Tische, um sich mit ihnen zu unterhalten.
Auch am Vormittag frühstückt die Familie des Grafen zusammen mit den Gästen.
Ein Angebot für Kronstädter
Für die Konzertreihe, die im Oktober gestartet ist und sich schon großer Beliebtheit erfreut, hat Kálnoky „agressive Werbung gemacht“ und war bei mehreren Bukarester Fernseh- und Radiosendern zu Gast. „Ein Szekler hat mich im Fernseher gesehen und mir gesagt, ich spreche schlechtes Rumänisch. Man muss aber den Mut haben, zu sprechen. Wenn man Angst hat, Fehler zu machen, redet man überhaupt nicht“, meint Kálnoky. Ungarisch hat er erst mit über 20 Jahren gelernt. Über acht Jahrhunderte verbrachte die Familie Kálnoky in Miklósvár, bis die rumänischen Faschisten sie aus dem Land verwiesen haben. Aufgewachsen in Deutschland, Frankreich und den USA ist Tibor Kálnoky Ende der Neunziger Jahre endgültig in die Heimat seiner Vorfahren zurückgekehrt, um den Familienbesitz wiederaufzubauen. „Unser Angebot richtet sich besonders an Kronstädter. Sie brauchen nur eine Stunde bis nach Miklósvár. Man macht eine Führung durch das Schloss, danach ist ein Konzert mit Prosecco um 16 Uhr. Oder man kommt später, besucht das Konzert mit Abendessen und übernachtet hier“.
Die nächsten Konzerte sind: Game of Thrones (14. Dezember); Christmas Special (25. Dezember 2024); New Year Special (Balladen von Queen und Metallica). Tickets sind über Eventim erhältlich. Die Gäste, die an diesen Konzerten teilnehmen, haben die Wahl zwischen zwei Optionen: ein Konzert mit Prosecco, das um 16.00 Uhr beginnt, oder ein Konzert mit anschließendem Abendessen, das ein siebenbürgisches Menü umfasst und um 19.00 Uhr startet.
Nicht unbedingt Luxus, aber Authentizität
Ein Aufenthalt in Miklósvár eignet sich perfekt für ein Wochenende. Das Jagdschloss der Familie Kálnoky von 1648, das im Kommunismus nationalisiert wurde und eine Weile als Kulturhaus funktionierte um danach zu verfallen, strahlt seit 2017 in neuem Glanz und zieht Touristen aus dem ganzen Land und auch aus dem Ausland an. Im Museum des siebenbürgischen Lebens, das das Schloss beherbergt, stehen Gegenstände aus dem 17. bis zum 19. Jahrhundert zur Schau. Eine Attraktion an sich sind auch die Gästehäuser in Miklósvár, die die Kálnoky-Stiftung verwaltet. Das bedeutet: sorgfältig renovierte Häuser, die in die Landschaft passen und den Charme der vergangenen Jahre nicht verloren haben.
Bemalte Krüge, antike Doppelbetten, Bettwäsche aus natürlichen Fasern, handgefertigtes Gewebe, Wolldecken, gepolsterte Sessel, elegante Spiegel, bestickte Tischdecken, Spitzenvorhänge, Messing-Kerzenständer, handgefertigte Teppiche, bemalte Holztruhen, kleine Nachtlampen oder Kuckucksuhren – in allen Zimmern bemerkt man die Liebe zum Detail.
Der einzige Unterschied zu früher ist, dass jedes Zimmer ein modernes Bad hat und mit Zentralheizung versehen ist. Ein weiterer Anziehungspunkt im Dorf ist die reformierte Kirche von Anfang des 19. Jahrhunderts mit seiner bemalten Holzdecke. Mit szeklerischen Motiven bemalte Kirchenmöbel sind auch wenige Kilometer entfernt in der Kirchenburg in Aiten (rumänisch Aita) zu bewundern. Hier verwaltet die Stiftung des Adeligen auch zwei Pensionen. Wer die Gegend ein bisschen mehr erkunden möchte, kann im Nachbardorf Căpeni die 300 Jahre alte Ulme sehen, die mit ihren 35 Metern Höhe und sieben Metern Durchmesser im Jahr 2011 zum „Baum des Jahres“ gekürt wurde.