Freie Privatstädte: Zukunftsfähiges Modell oder Utopie?

Autonome  Zonen werben mit nahezu unbegrenzten libertären Möglichkeiten

Die zu Honduras gehörende Insel Roatán bietet nicht nur pittoreske Strände. Hier wird seit Jahren das Privatstadt-Modell Próspera entwickelt. | Foto: Kevin Wenning, www.unsplash.com

Weltweit scheint der Staat als Institution in der Krise zu stecken. Mal kritisiert man zu viel staatliches Eingreifen, ein anderes Mal, vor allem in Krisenkonstellationen, wünschen sich die Bürgerinnen und Bürger einen stärker agierenden Staat. Nach über 200 Jahren seit seiner Geburt kann es der Nationalstaat anscheinend niemandem mehr recht machen. Neue Konzepte wie freie Republiken, freie Privatstädte oder unabhängige Siedlungen streben nach mehr Autonomie und Selbstverwaltung. Sie versprechen staatliche Strukturen, ohne selbst Staat zu sein.

Im Jahre 2013 verabschiedete der mittelamerikanische Staat Honduras ein Gesetz, das sogenannte „ZEDE“ auf seinem Staatsgebiet ermöglicht. Hinter dem Akronym verbirgt sich die spanische Bezeichnung „Zonas de Empleo y Desarrollo Económico“  (Zonen für Arbeit und wirtschaftliche Entwicklung). Sie steht für eine radikale und zukunftsorientierte Idee. In diesen Zonen sollen weder die Gesetzgebung noch das Recht Honduras’ gelten, sondern eigens bestimmte Regeln. Für viele mögen derartig autonome Zonen auf einem Staatsgebiet futuristisch oder gar utopisch wirken.

Auf der nördlich von Honduras gelegenen karibischen Insel Roatán ist ein Experiment entstanden, welches diese Bedenken widerlegen will. Die freie Privatstadt Próspera, in der nicht Politiker und Staatsbeamte die Regeln schreiben, sondern Unternehmer. Hinter dem Projekt steckt das US-Unternehmen Honduras Próspera Inc. Die Einwohner von Próspera unterschreiben einen Vertrag: Für das Aufenthaltsrecht sollen Ausländer 1300 US-Dollar und Honduraner 260 US-Dollar pro Jahr bezahlen. Tatsächlich wurden bereits mehrere Gebäude auf dem Komplex errichtet. Auch einige Start-up-Unternehmen haben sich angesiedelt. Wie viele Einwohner die Privatstadt aufweist, ist nicht ganz klar. Der Staat Honduras ist dort quasi abgemeldet. Nach anfänglichem Enthusiasmus regt sich deutliche Kritik seitens des Staates gegen das Projekt. Der Einfluss korrupter Politiker bei der Verabschiedung des Gesetzes wirft ebenfalls Fragen auf. Über die Rücknahme des Gesetzes und die Entziehung der Privilegien für die Siedlung Próspera entscheiden mittlerweile nationale Gerichte.  Próspera ist bei Weitem nicht das einzige derartige Projekt weltweit. Die Idee, alternative Welten zu erschaffen, scheint trotz kritischer Stimmen im Trend zu sein.

Zu den bekanntesten vergleichbaren Siedlungsprojekten gehört „NEOM“. Dabei handelt es sich um eine auf über 26.000 Quadratkilometern Fläche von Saudi Arabien geplante Megastadt, die sich vom Nordwesten des Landes über Jordanien bis nach Ägypten erstrecken soll. Das futuristisch anmutende Bauprojekt soll über 500 Milliarden US-Dollar kosten.

Ein weiteres interessantes Beispiel in Europa ist „Liberland“, ein Mikronation-Projekt zwischen Kroatien und Serbien. Obwohl es sich technisch gesehen nicht um eine „Freie Privatstadt“ handelt, verfolgt es ähnliche Ziele in Bezug auf minimale Regierungseinmischung und maximale persönliche Freiheit.

Was sind „Freie Privatstädte“?

Autonome (Wirtschafts-)Zonen sind nichts Neues. Die Genueser Familie Grimaldi gründete beispielsweise den Stadtstaat Monaco. Die Portugiesen oder Briten schufen dem Handel dienende Stadtstaaten wie Macau, Hongkong oder Singapur. Eine Vielzahl von Stadtstaaten oder Kleinstfürstentümer waren Ergebnisse politischer, wirtschaftlicher oder technologischer Umbrüche.

Sogenannte „Freie Privatstädte“ werden als relativ innovatives Konzept präsentiert, welches vom deutschen Unternehmer Titus Gebel populär gemacht wurde. Gebel, der als intellektueller Kopf der Privatstadtbewegung im deutschsprachigen Raum gilt, beschreibt sie als Städte, die wie private Unternehmen geführt werden. Die Grundidee besteht darin, dass ein privater Betreiber eine Stadt oder Zone gründet und betreibt, wobei er Dienstleistungen wie Sicherheit, Infrastruktur, Gesundheitsversorgung und Bildung anbietet. Im Gegenzug zahlen die Bewohner eine vertraglich festgelegte Gebühr für diese Angebote. Der Betreiber der „Freien Privatstadt“ fungiert im Wesentlichen wie ein Dienstleister, während die Bewohner als Kunden betrachtet werden können. Das Modell basiert auf dem Grundsatz des freiwilligen Austauschs und der vertraglichen Freiheit. Jeder Bewohner hat Anspruch auf das Recht, die Stadt verlassen zu können, wenn er mit den angebotenen Bedingungen unzufrieden ist.

Mehr Eigenverantwortung, weniger Staat

Libertäre Befürworter der freien Privatstädte verweisen vor allem auf die Freiheit, die sich durch eine Verringerung statischer Regeln ergibt. Die fehlende staatliche Beaufsichtigung stärke die Eigenverantwortung der Bewohner. Dezentralisierung führe zur Optimierung kleiner operativer Einheiten innerhalb der freien Siedlungsprojekte. Ganz ohne klar festgelegte Prinzipien funktionieren derartige Modelle jedoch nicht. Zu den grundlegenden Prinzipien gehört die vertragliche Freiheit. Sie bildet die Grundlage zwischen Betreiber und Bewohner. Auch Sicherheit und Eigentumsrechte müssen garantiert sein. Staatsähnliche Regulierungen soll ebenfalls auf das geringste Maß schrumpfen. Nur so lässt sich unternehmerische Freiheit und Innovation konstruktiv fördern.

Natürlich gehört auch die Freiwilligkeit zu den unumstrittenen Grundprinzipien. Wer nicht mehr will, kann die Privatstadt jederzeit verlassen.

Viele kritische Fragen (noch) unbeantwortet

Trotz prophezeiter Vorteile stehen „Freie Privatstädte“ vor erheblichen Herausforderungen und in der Kritik. Die Gründung und der Betrieb vergleichbarer Enklaven erfordern erhebliche rechtliche und politische Anpassungen. Es ist unklar, wie weitere Staaten auf diese Herausforderung reagieren würden, und es besteht die Gefahr von Konflikten mit bestehenden nationalen Gesetzen und Regierungen.

Kritiker argumentieren zudem, dass Privatstädte die soziale Ungleichheit verstärken könnten. Da diese Städte von privaten Betreibern und Unternehmen geführt werden, könnten sie dazu neigen, wohlhabendere Bewohner anzuziehen und benachteiligte Gruppen auszuschließen und lediglich auszunutzen.

Ein häufig weiterer Kritikpunkt, der ins Feld geführt wird, ist das Fehlen demokratischer Strukturen. Da die Betreiber weitreichende Entscheidungsbefugnisse haben, könnte dies zu einem erheblichen Mangel an Rechenschaftspflicht und Transparenz führen.

Letztlich stellt sich auch die Frage nach der Nachhaltigkeit. Es bleibt abzuwarten, ob das Modell der Privatstadt langfristig tragfähig sein wird. Unklar ist auch, wie solche Städte auf globale Krisen, wie Pandemien oder wirtschaftliche Abschwünge oder interne Konflikte zwischen den Bewohnern reagieren würden.