Fortsetzung
Minderheitenschulen gibt es nicht nur in Gorica/Gorizia und in Trst/Triest, sondern auch in anderen Gemeinden im Siedlungsgebiet der slowenischen Minderheit. Ihr Schutz basiert auf dem Staatsgesetz Nr. 38 aus dem Jahr 2001 . Die Gemeinden, in der die slowenische Minderheit siedelt, ist in einem Dekret des Präsidenten der Autonomen Region Friaul-Julisch Venetien aufgeführt; 32 sind es an der Zahl. Allerdings sind nicht alle Gebiete, in denen Slowenen leben, in der Liste aufgeführt.
Das ist eine Hypothek für die Minderheit: Sie zählt insgesamt schließlich nur 53.000 Angehörige. Wobei: So genau weiß man das nicht. „Zählen lassen will man sich nicht, aus historischen Gründen“, sagt Igor Devetak, der Chefredakteur der in Triest in slowenischer Sprache erscheinenden Tageszeitung „Primorski Dnevnik“. Die Minderheit selbst geht jedenfalls von 80.000 Angehörigen aus.
In Gorizia dürften 15 Prozent der 33.000 Einwohner Slowenen sein, schätzt Devetak. Das fällt allerdings kaum auf. Die Ortstafeln sind einsprachig italienisch, obwohl Gorizia in der genannten Liste der „slowenischen“ Gemeinden aufgeführt ist – allerdings gilt die Zweisprachigkeit im öffentlichen Raum nur für einen Randbezirk und vier Ortsteile, die zur Gänze außerhalb der Stadt liegen; der überwiegende Teil der Stadt ist ausgenommen. Und während im Zentrum von Gorizia zahlreiche Denkmäler und Büsten in Erinnerung an italienische Soldaten, Kulturschaffende und Politiker vom bis heute andauernden Kampf um die Deutungshoheit künden, muss man Slowenisches mit der Lupe suchen: Nur wo slowenische Institutionen ihren Sitz haben, gibt es entsprechende Aufschriften. Hinweisschilder an öffentlichen Gebäuden sind einsprachig italienisch, auch am Rathaus, wovon sich die „Fratelli d’Italia“ jederzeit mit einem Blick aus ihrem Hauptquartier versichern können, das nur einen Steinwurf entfernt liegt.
Doch es scheint sich etwas zu verändern, nicht offen sichtbar, aber im Alltag der Bürger fassbar. „Beim Einkaufen achten wir nicht mehr darauf, in welchem Staat wir das tun“, sagt Samo Turel, zumal sich Preise und Gehälter angeglichen haben: „Wir schauen auf die Marke, die Qualität und den Preis und kaufen einmal hier und dann wieder dort.“ Das gilt auch für Wohnungen, die in Nova Gorica um einiges teurer sind: Gar manche junge slowenische Familie überschreitet die Grenze und kauft sich in Gorizia ein, wo an gefühlt jedem dritten Haus der Hinweis „Vendesi“ eines Immobilienmaklers hängt.
Die Jugend scheint die Grenze nicht mehr in den Köpfen zu haben: „Wenn meine Tochter über die Grenze geht, nennt sie als Ziel eine Straße oder eine Bar; sie sagt nicht, dass sie nach Slowenien hinübergeht“, sagt Igor Devetak. Und Neda Rusjan Bric unterstreicht, dass vor zehn Jahren noch kein Slowenisch auf den Straßen von Gorizia zu hören gewesen sei. „Heute ist das ganz normal, auch für die Minderheit.“
Genau das ist das Ziel der Initiative Kulturhauptstadt: einen Beitrag zur Entfaltung der Kulturen der Mitgliedsstaaten zu leisten unter Wahrung ihrer nationalen und regionalen Vielfalt bei gleichzeitiger Hervorhebung des gemeinsamen kulturellen Erbes – und damit den Weg zu bereiten für eine immer engere Union der Völker Europas.
Wer den Titel zugesprochen bekommt, kann sich über Zuwendungen der EU freuen. So wurden im Rahmen von „GO 2025!“ zwei Infrastrukturprojekte verwirklicht, die sonst wohl nicht zu stemmen gewesen wären: eine Rad- und Fußgängerbrücke über die Soca/den Isonzo bei einer Naherholungszone und eine Unterführung, die Nova Gorica direkt an den Europaplatz vor dem Bahnhof Transalpina anbindet, wo am Boden die Grenzlinie und im Bahnhofsgebäude ein Museum an die Zeiten erinnern, als die Grenze Gorizia und Nova Gorica voneinander trennte.
Jene Grenze war allerdings nie so hermetisch abgeriegelt wie etwa die Berliner Mauer: Sie bestand nur aus einem niedrigen Mäuerchen mit einem etwa einen Meter hohen Zaun darauf. Trotzdem: „Es gab Tote, ja“, sagt die Historikerin Kaja Širok, „aber vor allem war die Trennung der Familien dramatisch.“ Großeltern konnten ihre Enkel nicht mehr sehen, Liebespaare wurden getrennt, Arbeitsplätze gingen verloren. Erst einige Jahre nach der Grenzziehung wurde eine Übereinkunft gefunden, die Besuche möglich machten: Passierscheine erlaubten den Grenzübertritt für Anrainer, schildert Širok, die ihre Dissertation über das Grenzgebiet geschrieben hat. Im Grenzmuseum im Bahnhof ist dazu ein Zeitungsartikel aus den 1970er Jahren ausgehängt, der schildert, wie Bürger aus Nova Gorica an einem Feiertag in Gorizia Brot und jeden verfügbaren Besen aufkauften – seinerzeit Mangelware im sozialistischen System.
Betrachtet man die Entwicklung, die die beiden Städte seither genommen haben, lässt das die Hoffnung wachsen, dass der allerorten wieder zunehmende Nationalismus vielleicht doch kein langfristiger Trend ist, sondern dass in Zukunft zwar rote Linien nicht mehr überschritten werden, aber dafür die Grenz-Linie am Boden vor dem Bahnhof Transalpina möglichst oft.