Der österreichische Schauspieler und Sprecher Martin Ploderer bot unlängst einem breiten Publikum im Rahmen der Veranstaltungsreihe zum 25-jährigen Bestehen des Österreichischen Kulturforums in Bukarest und zur hundertjährigen Gründungsfeier des Französischen Instituts in Rumänien drei performative Leseabende (in Jassy/Iași, Kronstadt/Brașov und Bukarest) mit aktuellen Texten berühmter österreichischer und französischer Schriftsteller unter dem Titel „Vergangene und kommende Zeiten“ (die ADZ berichtete darüber am 27. Februar und am 8. März 2024). Die Leiterin der Österreich-Bibliothek „Hugo von Hofmannsthal“ in Bukarest, Univ.-Prof. Dr. Mariana-Virginia Lăzărescu, führte mit Martin Ploderer ein Gespräch für die ADZ.
Wie treffen Sie die Auswahl der Texte, die Sie vor einem Publikum vorlesen oder im Studio aufzeichnen? Spielt dabei das jeweilige Land, in dem Sie gerade vorlesen, eine entscheidende Rolle?
Ehrlich gestanden lasse ich mich oft von einer Art Zufall leiten, wobei ich dabei an den Satz von Théophile Gautier denken muss: „Le hasard, c’est peut-ętre le pseudonyme de Dieu lorsqu’il ne veut pas signer“ („Der Zufall ist vielleicht das Pseudonym Gottes, wenn Er nicht unterschreiben will“). Aber es ist wirklich so, Texte fallen mir zu, erreichen mich zuweilen in einem bestimmten Moment meines Lebens, in dem sie auf erstaunliche Weise gerade passen. Man kann natürlich darüber philosophieren, weshalb das so ist oder vielleicht auch nur scheint, aber ich habe mich dafür entschieden, genau das zuzulassen. Es ist eine Art Verbindung von Inspiration und Vertrauen in so etwas wie das eigene Schicksal. Allgemein interessiert mich aber vor allem Literatur, die über den jeweils eigenen zeitlichen Tellerrand hinausschaut, die sich mit der tiefen Essenz des Menschseins beschäftigt und die daher auch noch Jahrhunderte nach ihrem Entstehen „aktuell“ erscheint, weil sie eben einfach im engsten Sinne zeitlos ist. Die jeweiligen Lügen des Zeitgeistes interessieren mich nicht, sie kommen und gehen und sind oft nur auf Effekthascherei aus und berühren daher die Seele nicht wirklich. Im Falle meiner Lesereise durch drei rumänische Städte haben wir das Programm wirklich in einer fruchtbaren Zusammenarbeit mit dem Österreichischen Kulturforum Bukarest entwickelt, wobei sich der rote Faden durch eine auf den ersten Blick durchaus nicht selbstverständliche Auswahl erst gezeigt hat, als wir uns definitiv darauf geeinigt hatten. Hier war es ja auch besonders reizvoll, dass die Vorgabe darin bestand, die beiden Sprachen und die beiden Kulturen einander begegnen zu lassen, was uns, glaube ich, wirklich sehr gut gelungen ist. So kam es zu dieser Auswahl, bei der Originale und Übersetzungen gelesen wurden und über die ausgewählten Autoren eine Art Bogen gespannt wurde. Der gemeinsame Nenner war eben die jeweilige Verankerung der Texte in ihrer Zeit bei gleichzeitiger Überschreitung derselben, mit besonderer Berücksichtigung auf ein teilweise zweisprachiges bzw. mehrsprachiges Publikum in Rumänien, wo sowohl Deutsch als auch Französisch bevorzugte Fremdsprachen sind.
Sind Ihre Lesungen immer zweisprachig bzw. deutsch-französisch? Engt das den Kreis Ihrer Zuhörerschaft nicht ein, zumal es auch Leute gibt, die nicht beider Sprachen mächtig sind?
Nein, das war – fast – das erste Mal, dass ich ein ausdrücklich zweisprachiges Programm präsentierte. Zuletzt war dies im September 2023 in der Österreichischen Botschaft in Paris der Fall, wobei damals eine der beiden Sprachen eben die Landessprache war. Dabei war das Programm auch auf die beiden Schriftsteller bzw. Dichter Stefan Zweig und Rainer Maria Rilke beschränkt. Das hat aber auch sehr gut funktioniert, wohl auch, weil in diesem Fall die Mehrheit des Publikums beider Sprachen mächtig war. Da die Lesung in der Botschaft sehr rasch ausgebucht war, hatte ich mich kurzfristig entschlossen, noch eine zweite Lesung mit demselben Programm in halbprivatem Rahmen anzubieten. Das ließ sich für mich umso leichter organisieren, als ich in Paris auch praktisch heimisch bin, da ich 16 Jahre dort gelebt habe. Üblicherweise lese ich – auch im Ausland – aber nur deutschsprachige Texte, eventuell mit kleinen Ausnahmen wie beispielsweise das Gedicht „L’Albatros“ von Charles Baudelaire, das von Stefan George kongenial übersetzt wurde, als Beispiel eben einer gelungenen Übersetzung von Gedichten, was eine besondere Kunst für sich ist.
Welche Themen empfinden Sie als besonders aktuell und wollen Sie einem Publikum ans Herz legen? Richten Sie sich bei Ihrer Auswahl auch nach aktuellen sozial-politischen Ereignissen?
Wie ich schon zuvor erwähnte, vermeide ich gerne allzu vordergründige Anspielungen an die sogenannte Aktualität, die viel rascher überholt sind, als große Werke der Literatur, die zuweilen einer langen Entstehungszeit bedurften, weil sie sich mit einer Tiefe des Lebens beschäftigen, die noch lange nicht ausgelotet sein wird und uns deshalb über jeden Zeithorizont hinaus beschäftigt. Wir leben in einer Zeit, in der jeden Tag neue Lösungen von menschlichen Problemen versprochen werden, die ebenso schnell wieder von der Bildfläche verschwinden, wie sie gekommen sind. Wahrscheinlich wurde das Rad noch nie so oft neu erfunden, wie in unseren Tagen, da jede Nachricht in Sekundenschnelle um den Globus schießt, ohne nachhaltige Spuren für eine freudvolle Lebensbewältigung zu hinterlassen. So gibt es mehrere Themen, die mich beschäftigen, von denen ich hier vor allem eines hervorstreichen möchte, das ist die Zeit. In unserem Wahn, immer höher hinaus und fiktive Ziele immer schneller erreichen zu wollen, verlieren wir den uns zutiefst eigenen Lebensrhythmus und wundern uns dann, dass wir uns in unserem eigenen Leben nicht mehr auskennen, weil wir oft versuchen, Vorgaben anderer zu erfüllen, die mit uns selbst nicht mehr viel zu tun haben.
Haben Sie Autorinnen oder Autoren, die Sie nicht mögen und aus deren Werken Sie nicht vorlesen möchten?
Ja, die gibt es schon, aber ich möchte sie nicht ausdrücklich beim Namen nennen. Ich glaube generell, dass es schwierig ist, den wahren Wert von zeitgenössischen Autoren zu erkennen und entsprechend zu würdigen, weil sogenannte Erfolge heute in allen Bereichen, so eben auch in Kunst und Literatur vor allem von einem mehr oder weniger geschickten Marketing abhängen bzw. sogar gezielt „gemacht“ werden. Wenn etwas 50 oder 100 Jahre nach dem Tod eines Autors noch gelesen wird, dann ist das wohl ein objektiveres Qualitätsmerkmal.
Glauben Sie, dass die künstliche Intelligenz Ihre Lektüre von Texten aus der Weltliteratur beeinflussen und das schöne Diktum „Im Anfang war das Wort“ relativieren wird?
Die sogenannte künstliche Intelligenz ist – vorsichtig ausgedrückt – eine höchst problematische Angelegenheit. In Wirklichkeit beherrscht sie uns ja schon seit Längerem. Ihre Entwicklung verdankt sie wohl nicht zuletzt der irrtümlichen Annahme, dass die existentiellen Fragen des Menschseins durch Intelligenz gelöst werden könnten. Das ist mitnichten der Fall. Die wahre Herausforderung unserer Existenz besteht zweifellos in der Fähigkeit zu lieben, was der Mensch intuitiv wohl schon seit Langem ahnt, und doch stehen wir jetzt vielleicht erst am Anfang der Erkenntnis, dass Liebe in ihrem eigentlichen Sinne zumeist erst dort beginnt, wo sie vermeintlich aufhört, weil sehr vieles unter diesem Begriff subsummiert wird, was mit ihr nicht viel zu tun hat.
Welche Erfahrungen haben Sie bei den Lesungen in Rumänien gemacht und welche Eindrücke nahmen Sie mit?
Ich werde diese Lesereise durch Rumänien – wenn mein Gedächtnis mich nicht im Stich lässt – sicher bis an mein Lebensende in bester Erinnerung behalten. Ich lernte drei sehr unterschiedliche und in ihrer jeweiligen Art sehr liebenswerte Städte kennen, in denen ich jeweils sehr herzlich empfangen und begleitet wurde. Das Publikum erwies mir viel Zuneigung, die ich vor allem an die von mir gelesenen Autorinnen und Autoren weitergeben möchte, ohne die eine solche Begegnung nicht hätte stattfinden können. Ich habe ein Land erlebt, in dem es viel zu tun gibt, aber auch Menschen, die sich dieser Herausforderung stellen. Ich könnte mir gut vorstellen, eine gewisse Zeit hier zu verbringen, wenn ich denn die Sprache beherrschte, was leider nicht der Fall ist. Ich hoffe sehr, dass sich die Gelegenheit ergibt, wieder zu kommen, und vielleicht auch noch andere rumänische Städte zu entdecken.
Wir danken Ihnen für das Gespräch.