Die Absolventen des Honterus-Lyzeums arbeiten heute, in der ganzen Welt verstreut, in allen denkbaren Bereichen - unter ihnen sind Star-Musiker, Informatiker, Top-Manager, Politiker, Schriftsteller, anerkannte Ärzte oder Architekten. Ob in London, Abu-Dhabi, Wien, Berlin, New York, Bukarest oder Kronstadt - die meisten von ihnen denken gerne an ihre gemeinsame Schulzeit zurück. Die Karpatenrundschau setzt die Interview-Reihe mit ehemaligen Honterianern, die heute eine erfolgreiche Karriere haben, fort. Falls Sie auch jemanden kennen, der das Honterus-Lyzeum absolviert hat und sich in seinem Bereich bemerkbar gemacht hat, können Sie uns gerne ihre Vorschläge auf kronstadt@adz.ro zusenden. Wir freuen uns auf jede Idee!
Frieder Simon hat nach seinem Abitur an der Honterusschule Mathematik in Wien und Computerwissenschaften in Cambridge studiert und hat zwei Master-Abschlüsse. Derzeit schreibt der leidenschaftliche Forscher seine Doktorarbeit in Oxford. Sein Traum ist es, durch Künstliche Intelligenz (AI - Artificial Intelligence) Mathematik zu automatisieren und Professoren zu replizieren. Den letzten Schliff gibt er seiner Arbeit in Rothberg, auf dem Hof des evangelischen Pfarrers und Schriftstellers Eginald Schlattner. Über diese Erfahrung, über künstliche Intelligenz und ihre Rolle in der Zukunft sprach Frieder Simon mit KR-Redakteurin Laura Căpățână Juller.
Herr Simon, was forschen Sie in Ihrer Doktorarbeit?
In meiner Doktorarbeit geht es um die Wechselwirkung zwischen Mathematik und maschinellem Lernen. Sie geht in zwei Richtungen. Die eine Richtung ist: ich will mit Mathematik Modelle von Künstlicher Intelligenz besser auf formalem Niveau verstehen und Theoreme formulieren, wie sich diese Modelle verhalten. Und in umgekehrter Richtung möchte ich Künstliche Intelligenz verwenden, um Mathematik selbst automatisiert zu betreiben. Das ist ein Langzeitziel, das man hat, dass man Lehre nicht mehr mit Papier und Bleistift oder Kreide und Tafel betreibt, wie man es heute macht und wie man es auch vor 200 Jahren gemacht hat, sondern dass man hier mal etwas Neues macht und Theoreme automatisch beweisen kann.
Welches sind die Vorteile, Mathematik automatisiert zu betreiben?
Es wird die Mathematik allgemein beschleunigen. Die Forschung in diesem Fach wird jetzt schon mit einem Tempo betrieben, das viel schneller ist als vor 20, 30 Jahren. Einfach weil das Internet Forscher vernetzt hat und man besser und leichter miteinander zusammenarbeitet, leichter die neuesten Ergebnisse lesen und verarbeiten kann. Aber die Forschungsarbeit selber ist noch immer prähistorisch, finde ich. Es wird so sein, dass die Informatisierung auch in der Mathematik Einzug halten wird.
Sie geben Ihrer Doktorarbeit den letzten Schliff bei einem sogenannten „Research Retreat” im Pfarrhaus von Eginald Schlattner. Sie waren bereits im Sommer dort zum Arbeiten. Wie war es?
Das war eine sehr, sehr gute Erfahrung. Nicht nur weil die Ruhe des Pfarrhofes angenehm war, um zu arbeiten, sondern auch, weil es Spaß macht, Eginald Schlattner bei der Arbeit an seinem neuen Roman über die Schulter schauen zu können. Eginald Schlatter, der ein Unikat, eine schillernde Persönlichkeit ist, sagt, dass es bei guter Gastfreundlichkeit nicht nur auf die Nähe, sondern auch auf die richtige Distanz zwischen Gastgeber und Gast ankommt. Und wir können wirklich separat unseren Tätigkeiten nachgehen, er seiner schriftstellerischen oder seiner religiösen Tätigkeiten und ich meiner Forschung. Aber wir treffen uns zu den Mahlzeiten und haben oft auch ein sehr interessantes Gespräch. Es ist eine Atmosphäre, die mich beflügelt. Deswegen fahre ich in den nächsten Wochen wieder hin.
Künstliche Intelligenz - ein hochaktuelles Thema, das sich rasant verwandelt. Werden Ihre Forschungsergebnisse noch aktuell sein, wenn die Doktorarbeit veröffentlicht wird?
Wenn ich meine Forschungsarbeiten veröffentliche und sie von der Forschungsgemeinschaft und bei Konferenzen angenommen wird, dann macht es nichts, wenn sie erst später in der Doktorarbeit Einzug erhalten. Forschung ist sehr inkrementell (schittweise erfolgend, Anm. der Redaktion) und oft ist es so, selbst wenn Verbesserungen auftreten, dass es nur inkrementelle Verbesserungen sind zu dem, was ich geleistet habe – was dann seinerseits inkrementelle Verbesserungen waren von Dingen, auf denen ich aufgebaut habe.
Es wird positiv, aber auch viel negativ oder skeptisch über die Anwendung der KI berichtet. Wie kann man sie im Alltag anwenden? Nehmen wir ChatGPT, ein Sprachmodell von Open AI, das genau vor einem Jahr veröffentlicht wurde und binnen zweier Monate von 0 auf 100 Millionen Nutzer gestiegen ist. Es ist die am schnellsten gewachsene Applikation aller Zeiten.
ChatGPT ist jetzt in aller Munde und ich finde, das wird in den nächsten Jahren noch viel krasser werden. Es ist in manchen Fällen wie ein Privatlehrer, der Lösungen und Antworten auf Fragestellungen aus allen Bereichen anbietet. Er kann selber sagen, wozu man ihn im Alltag anwenden kann.
KASTEN
„ChatGPT ist ein bahnbrechendes Sprachmodell von OpenAI, das eine neue Ära der Kommunikation zwischen Menschen und Maschinen einläutet…“ So beginnt ChatGPT die eigene Beschreibung. Das Modell beherrscht sehr viele Sprachen, kann E-Mails verfassen, Hausaufgaben in allen Fächern lösen, Artikel schreiben oder Ratschläge geben. Je ausführlicher und spezifischer die Fragestellungen sind, die man ihm stellt, umso konkreter sind seine Antworten.
ChatGPT antwortet:
„Wie Sie ChatGPT im Alltag nutzen können:
Informationssuche: Sie können ChatGPT nach Informationen zu einer Vielzahl von Themen fragen. Es kann Ihnen Hintergrundinformationen, Erklärungen oder Definitionen liefern.
Schreiben und Bearbeiten: Verwenden Sie ChatGPT als Schreibassistenten…
Lernen und Nachhilfe: ChatGPT kann auch als Nachhilfelehrer dienen, indem es Erklärungen zu komplexen Konzepten gibt…. ”
Die Liste geht weiter mit möglicher Nutzung für Sprachübersetzung, Programmierung, allgemeinen Unterhaltung, zum Fördern der Kreativität oder als Hilfe bei Entscheidungen.
Welches sind die Vor- und Nachteile seiner Nutzung?
Der große Vorteil und Nachteil zugleich ist, dass ChatGPT es möglich macht, Sachen sehr schnell zu lernen. Das kann positiv sein, weil es die Forschung beschleunigt. Es kann aber auch schlecht sein, wenn Leute böse Dinge umsetzen wollen und sich aus dem Stand Anleitungen mit KI-System dafür generieren lassen können, die früher ein Fachstudium benötigt hätten. Derzeit kann man noch nicht kontrollieren, ob jemand Informationen zu Forschungszwecken oder mit unguten Absichten erfragt. Um diese Differenzierung zu machen, müsste man die ganze Interaktion mit ChatGPT überwachen und dann hat man ein Problem mit dem Datenschutz. Andere KI-Modelle, ähnlich wie ChatGPT, kann man lokal auf dem Rechner laufen lassen, wo niemand überprüfen kann, wozu die Informationen angewendet werden. Das ist ein Nachteil für die allgemeine Sicherheit, allerdings ein Vorteile für den Datenschutz des Anwenders. Es wird allgemein versucht, sogenannte “Guardrails”, also Geländer, einzubauen, um das KI System möglichst sicher zu halten.
Wie verändert die Anwendung der künstlichen Intelligenz die Gesellschaft und wie sieht die Zukunft aus?
Die Anwendung der KI bringt eine gewisse gesellschaftliche Umstellung, die jetzt kommen wird. Früher hatten nur gut betuchte Leute wirklich Zugang eigenen, persönlichen Assistenten. Jetzt wird es im Westen halt jeder haben, für 20 Dollar. Für Menschen in sehr finanzschwachen Regionen der Welt ist das dennoch nicht zu bezahlen. Das kann dazu führen, dass sie noch weiter zurückbleiben…Des Weiteren vermute ich, dass Schulen, aber vor allem Universitäten in Zukunft weniger relevant sein werden, als sie es heute sind. Warum sollte man noch hin gehen und einen langen Weg auf sich nehmen, einen Lehrer ertragen, der einem vielleicht nicht gefällt, wenn man das Ganze bequemer zu Hause haben kann, in Form von z.B. ChatGPT, das unendlich viel Geduld hat.
Entwickeln Sie auch Projekte mit KI?
Ich habe ein paar Startup-Ideen in diese Richtung, was ich vielleicht irgendwann in der Zukunft, nach der Promotion, machen werde.Ich finde Bildung, so wie sie heute gemacht wird, ist einfach schlecht. Die Bildungseinrichtung ist einfach zu vielen externen Zwängen unterworfen, um ein Bildungsideal zu verwirklichen. Es gibt wenig gute Lehrer, gute Professoren, aber ChatGPT bietet wirklich die Möglichkeit, diese wenigen, guten Professoren, die man jetzt hat, digital zu replizieren. Und das ist etwas, was mich sehr interessiert, was ich gerne machen würde. Das ist auch nah an meiner Forschung: wie man Mathematik automatisiert, wie man einen guten Mathematiklehrer repliziert. Ich hoffe, recht bald ein System aufzubauen, das selbst mein eigener Lehrer sein kann. Das ist eine von meinen Ideen, ich habe so einige Ideen.
Wissen Sie dann nicht mehr als der Lehrer selbst?
Nein, ich muss das KI-System, bzw. den Lehrer mit Daten füttern. Das System systematisiert sie dann für mich. Was aber schwer ist, ist ihm die Daten zu geben, weil man wissen muss, welche Fragen man stellen soll, welche Bücher man anzapfen soll, woher man Daten bekommt. Und wir reden hier nicht von ein paar Büchern, wir reden hier von Bibliotheken. Es ist eine sehr hohe Datenmenge notwendig, damit so ein Vorhaben klappt.
Aber geht so die Beziehung zu den Menschen nicht irgendwie verloren?
Die geht sicher zum Teil verloren. Und deswegen würde ich nicht ausschließlich die Anwendung von KI empfehlen. Ich bin kein Purist. Ich würde das in die aktuelle Bildungslandschaft integrieren, sodass der menschliche Kontakt weiterhin erhalten bleibt. Aber ich finde, man sollte sich nebenbei durch so ein ChatGPT-artiges System unterrichten lassen. Und dann eher menschlichen Kontakt haben, um das erworbene Wissen zu überprüfen oder es zu festigen. Ich lasse mich jetzt schon in Bereichen der Informatik, in denen ich mich nicht so auskenne, durch ChatGPT unterrichten.
Finden Sie, das würde auch für Schüler passen?
Das passt eigentlich eher für das Universitätsniveau. Auf Schulniveau ist es schwierig, weil der menschliche Kontakt wichtiger ist. Aber in der Schule könnte man den Unterricht reduzieren. Man geht sechs-sieben Stunden zur Schule und das ist einfach viel zu viel. Ich glaube, mit drei Stunden Schule und zwei Stunden ChatGPT würde man ein besseres Ergebnis erzielen. Man ist sonst komplett überlastet. Und ich weiß gar nicht, warum man heutzutage noch Hausaufgaben gibt, wenn ChatGPT sie ja alle lösen kann.Ich finde, das Bildungssystem ist rückständig. Es ist vor 20, 30, 40 Jahren rückständig gewesen und jetzt ist die Diskrepanz zwischen der Schule und modernen Entwicklungen noch viel größer geworden.
Wie sind Sie zum Studium nach Oxford und Cambridge gekommen?
Nach meinem Studium in Wien wollte ich kein reiner Mathematiker werden. Die Berufschancen für reine Mathematiker sind recht limitiert, selbst wenn man gut ist, weil es mittlerweile schon auf mittelmäßigen Universitäten weltweite Konkurrenz gibt, das ist ein bisschen eine Lotterie ob man eine Stelle bekommt. Um meine Bildung zu verbreitern, habe ich mich an anderen Universitäten beworben und aus Cambridge kam eine positive Antwort. Der Schritt nach Oxford war dann nicht schwer.
Welches ist der Plan, nachdem die Doktorarbeit beendet ist?
Ich möchte auf jeden Fall weiter forschen und flexibel arbeiten können. Das kann im akademischen Milieu sein, kann aber auch in einem Startup sein, das ich selber ins Leben rufe.
Worauf sollten wir bei der Internetnutzung achten? Bitte geben Sie uns einige Tipps, um in Sicherheit zu sein.
Das Problem mit dem Internet ist, dass es die Vorratsdatenspeicherungsbestreben gibt. Und dass diese Daten inzwischen mit KI nicht nur ausgewertet werden können, sondern manchmal sogar Entscheidungen getroffen und automatisiert werden können. Und das ist ein eher heikles Gebiet. Deswegen ist es oft eine gute Idee, möglichst wenig Daten von sich ins Internet zu geben. Das heißt beispielsweise, keine Fotos von sich selbst ins Internet hochzuladen, weil das Foto, das einen jetzt bei einer Party zeigt, möglicherweise sofort von spezialisierten Unternehmen gespeichert wird und bei Bewerbungen, die man an große Unternehmen versendet, KI Systeme dann autonom entscheiden, ob die eigene Bewerbung überhaupt einem Personalchef vorgelegt wird oder nicht. Die Gesetzeslage hierzu wird es langsam erarbeitet... Das Einfachste wäre ChatGPT zu fragen, wie man sich online schützen soll. Es bietet eine lange Liste. Um nur Einiges zu nennen: man sollte seine E-Mails verschlüsseln, starke Passwörter anwenden, Software und Geräte regelmäßig aktualisieren, also Handys kaufen, die oft Sicherung-Updates anbieten usw.
Wie verbringen Sie Ihre Freizeit?
Meine Arbeit ist sehr kopfbetont und dann möchte ich in meiner Freizeit nichts machen, was kopfbetont ist und mache Kampfsport und Tanzen. Bei Karate habe ich inzwischen den Schwarzgurt. Beim Tanzen gibt es keine Gurte, aber wenn es welche gäbe, wäre ich dort noch nicht auf einem Schwarzgurt-Level. Ich glaube, dass ich aktuell mehr in meine Tanzausbildung investieren muss, weil ich Tanzen und Karate auf ungefähr gleichem Level halten möchte.
Nennen Sie eine Erinnerung aus der Zeit in der „Honterusschule“.
Aus der Schulzeit fallen mir jetzt Momente ein, wo wirklich eine Stunde lang diktiert wurde und wir abschreiben mussten. Um eine Zeit habe ich begonnen, mit der linken Hand zu schreiben, um sozusagen nicht hirntot zu werden. Und dann hat die Lehrerin das bemerkt. Sie hat mir verboten, weiter mit der linken Hand zu schreiben - wahrscheinlich weil die Schrift unglaublich hässlich war. Ich habe es natürlich weiter gemacht, aber eben diskreter, als sie es nicht bemerkt hat. Aber es gab auch lustige Sachen, wie zum Beispiel ein verfilmtes Theaterstück, das wir in der Schule selber geschrieben und aufgenommen haben, in der Rumänischestunde von Frau Dobrescu, wir haben wie Espenlaub vor ihr gezittert. Insbesondere, weil wir der Hauptfigur des Stückes eine gewisse Ähnlichkeit mit Frau Dobresu selbst verliehen hatten. Aber sie hat sich nicht geärgert.
Vielen herzlichen Dank für das Gespräch und viel Erfolg mit der Doktorarbeit!