Judo oder ein Weg ohne Grenzen

Japanische Sportart sorgt für Harmonie von Körper und Geist

Sensei Laurențiu Jurcă kehrte nach Temeswar zurück, um Kinder in seiner Heimatstadt für japanische Sportart zu begeistern. In seinem Club nimmt er auch Kinder mit Behinderungen auf.

Erziehung und Leistung durch Judo: Im „Judo Phoenix Timișoara”-Verein können Kinder und Jugendliche diesem Sport nachgehen.

„Judo heißt, gegen die inneren Ängste zu kämpfen”: Der Sensei vermittelt den Kindern und Jugendlichen Werte, die über den Sport hinauswirken. | Fotos: Judo Phoenix Timișoara

„Dein Traum beginnt mit einem Sensei, der an dich glaubt“ steht auf einem der Plakate in dem Gebäude des Vereins, den Sensei Laurențiu Jurcă nach seiner Rückkehr in seiner Heimatstadt Temeswar/Timișoara gegründet hat. „Judo Phoenix Timișoara” ist einer der wenigen Judoclubs in Temeswar und in Rumänien überhaupt, in dem auch Kinder mit Behinderungen trainieren können. 
In einem buddhistischen Tempel in Tokio, Japan, begann 1882 die Geschichte des Judo. Dort gründete Kanő Jigorő seine eigene Schule mit dem Namen „Kodokan“, was so viel bedeutet wie „Ort zum Studium des Weges“. Judo, oder „der sanfte Weg“, unterscheidet sich von anderen Stilrichtungen durch die Harmonie von Körper und Geist. 
Heute ist Sensei Laurențiu Jurcă 53 Jahre alt. Vor 14 Jahren ist er aus Deutschland zurückgekehrt. „Die Wiedergeburt des Judo in Temeswar war für mich ein Traum“, sagt er. Hier will er den Weg fortsetzen, immer nach dem Grundprinzip „Maximale Wirkung bei einem Minimum an Aufwand“. 

Sein Weg reicht weit zurück, bis in seine Kindheit. „Ich war noch sehr jung. Irgendwo hier, in Temeswar, sah ich abends Licht aus einer Halle kommen. Es war schon dunkel und es war Herbst. Das weiß ich noch. Das Licht zog mich an.“ Sein Blick wird unbestimmt, verliert sich in der Ferne. „Ich war noch klein. Ich musste auf ein paar graue Granitblöcke klettern, um in die Halle sehen zu können. Drinnen waren Kinder in weißen Kleidern. Sie trugen bunte Gürtel.“ Jurcă schaut auf, sein Blick ist wieder klar. „Ich verstand noch gar nichts. Aber das war der Moment, in dem ich mich entschied. Mein Weg hatte begonnen.“

Für Sensei Laurențiu Jurcă bedeutet Judo mehr als Sport. „Judo heißt, gegen die inneren Ängste zu kämpfen. Es heißt, besser zu werden, nicht für mich allein, sondern vor allem für andere. Durch mein Beispiel zeige ich den Weg. Er kann sich lohnen, auch für andere. Damit will ich der Gesellschaft etwas zurückgeben.” Er spricht ruhig. Sein Blick ist tief, als würde er dir direkt ins Herz schauen. Er wählt seine Worte mit Bedacht. Er scheint jemand zu sein, der an die Kraft eines Menschen glaubt. „Ich will auf die Welt da draußen vorbereiten, damit meine Schüler aus ihrem eigenen Käfig ausbrechen können.“ Er blickt durch die grauen Wolken aus dem Fenster in den  Abendhimmel. Kinderstimmen dringen aus dem Saal. Sein weißes Haar und sein Bart erinnern an sein Alter, sonst kaum etwas. Er erzählt. 

Eine Menge Zeit, insgesamt zwanzig Jahre, hat er in Deutschland verbracht. „Ich habe die Trainerakademie in Köln besucht, eine der renommiertesten Schulen in Deutschland. Sie ist weltweit als herausragende Schule anerkannt. Sie hat Trainer hervorgebracht, die dann wieder viele bekannte Sportler geformt haben“, hebt er hervor. Das Training hat ihn manchmal über sich hinauswachsen lassen. „Da gab es während meiner Zeit in Deutschland eine Prüfung, um ins Management aufzusteigen. Vierzehn Stunden sollte sie dauern. Es gab sehr viele Konkurrenten. Ich führte einen langen Kampf, gegen jeden einzelnen von ihnen. Eigentlich war es immer nur ein Kampf gegen mich selbst. Das waren alles innere Gegner“, erzählt er. Am Ende erhielt er den Job und gelangte in eine Führungsposition. Später schaffte er es sogar, eine eigene, private Judoschule zu eröffnen.

Mit Kindern in Rumänien, in Temeswar, zu arbeiten, blieb jedoch sein Wunsch. Deshalb kehrte er zurück. „Es war ein mühsamer Weg mit Rückschlägen, Erfolgen und Zähneknirschen“, sagt er. Doch manchmal braucht es noch mehr. „Vieles wäre nicht möglich gewesen ohne die Hilfe der anderen. Es ist ein Weg, den ich Seite an Seite mit Menschen gehe, die es für richtig halten, Teil meines Traumes zu sein.“ Sensei Jurcă hat ein klares Programm. „Ich wollte mein Experiment aus Deutschland auf zu Hause übertragen. Deshalb habe ich es so fortgeführt, wie ich es dort schon erprobt hatte. Wir nehmen Kinder ab drei Jahren auf. Wir erziehen sie spielerisch. Ab einem bestimmten Alter, so mit sieben oder acht Jahren, kann ich mit ihnen über einen möglichen Wettbewerb sprechen. Dann sind sie alt genug, um den inneren Gegner zu verstehen, der uns Angst macht“, erläutert der Sensei. 

Die Motivation, anderen zu helfen, war der Anstoß für die Entwicklung eines speziellen Programms. „In Deutschland habe ich erfolgreich mit Kindern mit Behinderungen gearbeitet. Seit meiner Rückkehr setze ich diese Arbeit fort, allerdings in kleinerem Umfang. Hier, bei ‚Judo Phoenix‘, bemühen wir uns, diese Kinder in die Gesellschaft zu integrieren“, berichtet er. Davon sollen alle profitieren. „Durch das Spiel können die Kinder ihre Ängste und Grenzen überwinden. Sie sind auch ein Vorbild für den Rest der Gemeinschaft und zeigen uns, dass es nichts Schlimmes ist, anders zu sein, und dass jeder Mensch so akzeptiert werden muss, wie er ist“, betont der Sensei. Das Training selbst ist im Grunde für alle Kinder dasselbe. „Es ist wichtig, dass sie sich bei all diesen Aktivitäten einbezogen und sicher fühlen. Sobald sie den Raum betreten, vergessen sie für eine Stunde alle Sorgen und Frustrationen, die sie im Laufe des Tages angesammelt haben“, sagt Laurențiu Jurcă. 

Das heutige Training ist fast vorbei, ebenso wie der Tag allgemein. Von draußen sind hört man Züge, die sich dem Bahnhof nähern. Einem der Kinder geht es nicht gut. Sensei Jurcă springt sofort von der Matratze auf und geht nachsehen. Das Kind hat sich leicht verletzt. Er hilft ihm auf und schickt es in die Umkleidekabine. Immer wieder können  Unaufmerksamkeit oder sogar Angst die Oberhand gewinnen. 

Rumänien war in der Vergangenheit nicht auf die Bedürfnisse dieser Kinder eingestellt und ist es aus Sensei Jurcăs Sicht auch heute noch nicht. „Dennoch bleibe ich optimistisch, wir werden mehr und mehr Akzeptanz für Kinder mit Behinderungen erreichen”, hofft er. Viele Probleme wiederholen sich in seinem Leben und so bleibt auch seine Antwort dieselbe: „Für Judo zählt der Wille, den inneren Gegner zu besiegen.“ Deutlich ist der Satz hinter seinem Rücken an der Wand zu lesen. 

Sebastian Ciuhandu, Darius Bogdan und David Sanchez, Nikolaus-Lenau-Lyzeum, Temeswar, 11. SW-Klasse 


Der Artikel auf der heutigen Jugendseite entstand im Rahmen des Projekts „Schüler schreiben“ an der Deutschen Spezialabteilung (DSA) des Nikolaus-Lenau-Lyzeums in Temeswar/Timișoara. Das Projekt wurde von Katharina Graupe, Deutschlehrerin an der DSA, koordiniert, die auch für die Korrektur der Schülertexte zuständig war. Die Schüler, die die Artikel verfasst haben, stammen alle aus der elften Klasse. Für die Auswahl und redaktionelle Bearbeitung dieses Textes war ADZ-Redakteurin Raluca Nelepcu zuständig.