Tschanad, Csanád, Cenad, Canad, dazu die historische Variante Morisena: So bunt wie die lange Geschichte des Ortes und die hier lebenden Völkerschaften ist die Vielzahl der Namen jenes Ortes im rumänischen Banat, der rund 70 Kilometer nordwestlich der Metropole Temeswar/Timișoara im rumänisch-ungarisch-serbischen Dreiländereck liegt. Neben der rumänischen Mehrheit ist der Ort bis heute geprägt von multiethnischem und multikonfessionellem Leben, sind hier doch auch Ungarn und Serben ansässig. Bis 1990 gab es hier auch eine starke Gemeinde von Banater Schwaben. Es gibt orthodoxe, römisch- und griechisch-katholische Christen sowie mit Baptisten und Pfingstlern auch Neoprotestanten vor Ort.
Nun ist Tschanad aber nicht nur eine unter vielen multiethnischen Ortschaften im Banat, sondern hat zudem eine überregional relevante Geschichte vorzuweisen. So wurde von König Stefan dem Heiligen von Ungarn im Jahre 1030 hier das „Bistum zu Morisena“ gegründet. Im Regensburger Kunstverlag Schnell & Steiner ist nun ein kleiner Kunstführer erschienen, der die Geschichte des Ortes und der Kirchengebäude sowie die Besiedlungsgeschichte und das kirchliche Leben dort vorstellt und schon im Untertitel auf die Besonderheit dieses Ortes hinweist. Autor des Büchleins ist der bekannte frühere Temeswarer Diözesanbischof und Kirchenhistoriker Martin Roos, der von 1999 bis 2018 der Diözese vorstand.
Erster Bischof des neuen Bistums wurde 1030 der gebürtige Venezianer Gerhard von Sagredo (ca. 980-1046) – besser bekannt unter seinem ungarischem Namen Gellért. Die Residenz kommt nach Martin Roos auf einem alten römischen castrum zu stehen. Zudem war an diesem Ort auch die Residenz des weltlichen Herrschers Achtum, der um das Jahr 1000 in Widin nach byzantinischem Ritus getauft worden war und griechische Mönche mitgebracht hatte. So beruft sich das heutige 2005 eröffnete orthodoxe Nonnenkloster Morisena auch auf diese Vorgeschichte.
Mit Bischof Gerhard kamen Ort und Landstrich freilich für lange Zeit unter katholischen und abendländischen Einfluss. Er brachte Benediktinermönche aus ungarischen Klöstern mit. So entstanden in dem kleinen Ort nicht nur eine Kathedrale, sondern auch der Sitz des Domkapitels, die Schreibstube sowie ein Kloster mit Klosterzellen, Bibliothek, Schul- und Wirtschaftsräumen. Die vorher hier ansässigen ostkirchlichen Mönche wechselten nach Majdan im heute serbischen Banat, wie Roos festhält.
In dem Band wird sehr kompakt beschrieben, wie es mit der katholischen Mission dort weiterging und welche wichtige Rolle der schon 1083 heiliggesprochene Bischof Gerhard dabei spielte, der es sogar zum Schutzpatron Budapests und zu einem der Patrone Ungarns gebracht hat. Er ließ Tschanad mit einer Wehrmauer zur Festung ausbauen. Mitte des 13. Jahrhunderts war das damalige Csanád schon „eine der bedeutendsten Städte im Südosten Ungarns“ (S. 14). Skizzen der damaligen Stadt führen das auch bildlich vor. Mehrfach war der Ort osmanischen Angriffen ausgesetzt, 1551 fiel er an die Türken und wurde Vorort eines türkischen Sandschaks.
Zwischen 1567 und 1579 erbrachten mehrere Zählungen 80 Haushalte mit 278 namentlich bekannten Personen, so der Band. In der Festung waren 44 berittene Söldner stationiert sowie 73 Wachposten. Der Friede von Karlowitz 1699 legte später fest, dass der Ort wie andere auch niederzureißen war. 1701 führte dies Wolfgang Graf von Oettingen-Wallerstein durch. Tschanad wurde zerstört, auch die Kathedrale und die Festung. 1717 wurden dort noch 40 Haushalte gezählt, nach Roos wohl eher „Erdhütten“. Das 1778 von dem Piaristenpater Johannes Nikolaus Révai verfasste Klagelied auf die Ruinen von Tschanad ist in dem Band mit abgedruckt.
Manches ist leider ein wenig verwirrend dargestellt, so etwa die Beschreibung der kirchlichen Zugehörigkeit und Rolle Tschanads und die Entwicklung der Banater Bistumssitze. So heißt es einerseits, dass 1551 das „bischöfliche Csanád endete“ (S. 13); dann ist aber wieder von einem „Bischof von Csanád Ladislaus Graf Nádasdy“ für das 18. Jahrhundert die Rede (S. 17). Ein klärender Infokasten zur genauen Gemengelage der Sitze und Titulaturen zwischen den Bistümern Tschanad und später Szeged und Temeswar hätten hier nicht geschadet.
Auch geht der Band nicht immer ganz chronologisch vor. So wird auf Seite 18 vom Neubau der Pfarrkirche zwischen 1868 und 1870 unter Bischof Alexander Bonnaz und Pfarrer Friedrich Killer in „Deutsch-Tschanad“ berichtet, im Rahmen dessen auch der Sarkophag mit Gebeinen des heiligen Bischofs Gerhard gefunden und geborgen wurde. Erst auf Seite 19 erfährt der Leser aber von der Ansiedlung deutscher Einwanderer 1745 „neben den bisherigen Bewohnern, den Serben und den Rumänen“. Obwohl vorher schon von ihnen die Rede ist, ist dann erst auf Seite 24 zu lesen, wie und wann Rumänen nach Tschanad kamen. Die Zusammenhänge bleiben dadurch an einzelner Stelle etwas unklar. Sehr hilfreich wäre dazu eine übersichtliche Zeittafel.
Auch auf das nördlich der Marosch gelegene ungarische Magyarcsanád geht das Bändchen in Bild und Text ein und stellt auch dessen Besiedlungs- und Kirchengeschichte vor. Erfreulicherweise wird auch die Entwicklung nach 1990 ausführlich behandelt. Es entsteht insgesamt ein sehr schönes Porträt dieses besonderen Ortes in Rumänien wie auch des ungarischen Nachbarorts gleichen Namens, der örtlichen Kirchengebäude und ihrer Baugeschichte sowie der Bevölkerungsentwicklung. Und das im handlichen Format. Wunderschöne aktuelle Farbfotos und Abbildungen illustrieren die Ausführungen. Dazu zählen auch historische Bilder, alte Stadtansichten und Nachdrucke wertvoller Objekte wie eine Seite aus der „Deliberatio“, dem wichtigsten Werk des heiligen Bischofs Gerhard.