In den beeindruckenden Räumlichkeiten des Französischen Instituts in Bukarest hat am 19. November die aus Mediasch nach Frankreich ausgewanderte Dozentin an der Universität Haute-Alsace, Catherine Roth, das Ergebnis ihres siebenjährigen Studiums zur Identität der ethnischen Gruppe, der ihr Vater angehörte, der Siebenbürger Sachsen, vorgestellt. Begleitet wurde die über 1000 Seiten lange Fallstudie von der Ausstellung „An-dreanum 800“ zur Geschichte der deutschen Minderheit in Siebenbürgen, konzipiert von Thomas Șindilariu, Unterstaatssekretär im Departement für interethnischen Beziehungen der rumänischen Regierung (DRI), der auch an der Diskussion teilgenommen hat.
Während die Ausstellung einen klaren historischen Charakter hat, zeigen sich für Catherine Roth aus zahlreichen Interviews mit Siebenbürger Sachsen aus Rumänien oder Deutschland unterschiedliche Aspekte einer „kulturellen Identität“: ihr Ansatz richtet sich eher auf die „Intimitäten“, auf die impliziten und unausgesprochenen Details, welche die Kultur der Siebenbürger Sachsen ausmachen. Roth spricht über die Familie, über die gemeinschaftlich-politische Rolle der evangelischen Kirche, über die kulturelle Prägung durch Samuel von Brukenthal und Rolle des Siebenbürgischen Karpatenvereins (SKV) in der Entstehung und Entwicklung der besonderen kulturellen Identität der Sachsen innerhalb des multikulturellen Siebenbürgens im Laufe der Jahrhunderte, über die „doppelte Loyalität“ zum Heimatland, über Muttersprache und Bruderschaft, über den Zweiten Weltkrieg und den Beitritt der Sachsen zur Waffen-SS, über die Ängste, aber auch die Stereotypen, die der deutschen Gemeinschaft anhaften und begründet somit die Entstehung einer „deutschsprachigen Mikronation“, soweit die Nation als „Gemeinschaft sozialer Kommunikation“ verstanden wird.
Unter der Moderation von Andreea Zamfira, Dozentin an der Fakultät für politische Studien der Universität Bukarest (die selbst ein Buch über die Siebenbürger Sachsen in Arbeit hat) diskutierten Roth und [indilariu die grundlegenden Säulen dieser „Mikronation“ - die „nach 800 Jahren das legitime Recht hat, hier zu sein“, sowie Hintergründe, Details und Entwicklungen.
Roths ehrgeiziger Ansatz ist, dass ihre multidisziplinäre Fallstudie als Grundsatz zum Verständnis von Minderheiten und Völkergruppen innerhalb des heutigen übernationalen Europa verwendet werden könnte.
Wie Catherine Roth selbst ihr Buch vorstellen würde? „Mein Buch ist interdisziplinär kulturwissenschaftlich. So etwas gibt es bis jetzt nicht über die Sachsen. Deswegen wird es bald auch auf Deutsch übersetzt. Das heißt, es ist nicht rein historisch, nur Fakten bringend, sondern es geht um Symbole und was man damit sagen wollte. Darum, das sich diese kollektive Identität entwickelt hat, dass sie sich verändert hat und auch weiterhin besteht in all diesen Veränderungen.“
Gleichzeitig ist es eine kulturwissenschaftliche Geschichte eines Volkes, das vom 12. bis zum 21. Jahrhundert als solches bestanden hat, fährt sie fort. „So etwas gibt es sehr selten. Deswegen gibt es wenige Bücher, die sich mit einem Volk vom sogenannten Anfang bis zu einem sogenannten Ende befassen. Es gibt ein Ende in den 90er Jahren. Es ist aber kein definitives Ende, sondern ein Ende als Gemeinschaft in dieser Form.“
Roth betrachtet die Sachsen vom Standpunkt der Familie, der Kirche, aber auch Brukenthal und des SKV. Wieso die letzten beiden? „Ich habe viele Interviews geführt. Darin habe ich die Leute gefragt, was für sie die sächsische Identität bedeutet. Sowohl bei Sachsen in Rumänien, als auch bei denjenigen, in die in Deutschland leben, haben mir alle die Antwort ‚Brukenthal‘ gegeben“, motiviert die Wissenschaftlerin. Aber auch der Siebenbürgische Karpatenverein sei sehr oft angeführt worden. „Das heißt, es sind Institutionen oder Formen des Zusammenseins, die wirklich prägend waren. Was ich in meinem Buch zeige, ist, was diese Institutionen und Formen des Zusammenseins implizit dargestellt haben. Jeder weiß, was die Kirche ist. Jeder weiß, was eine Familie ist. Aber wie das Ganze sich zu einem Volk ergeben hat, das versuche ich zu zeigen. Für mich sind die Sachsen ein ein wahnsinnig interessantes Fallbeispiel. Ich glaube, dass das, was ich beschreibe, für alle kollektive Identitäten gilt.“
Wer hätte aus diesem Buch zu lernen? Der französische Kulturraum? Der rumänische? Oder dient es eher den Sachsen, um sich ihrer kulturellen Identität bewusster zu werden? „Die Sachsen werden das nicht alles erkennen, weil ich eben einen wissenschaftlichen Blick habe,“ meint Roth. „Einige Aspekte kann ich einfach auf Grund wissenschaftlicher Methoden dekon-struieren. Mit anderen Worten: ich lege oftmals Mythen bloß.“ Für die Sachsen wäre es also interessant, schließt sie, wenn diese dazu bereit wären, ihre Geschichte mit Abstand zu betrachten. „Ich muss aber zugeben, dass ich in meiner Recherche nur mit zwei Sachsen diesbezüglich Probleme hatte. Generell sind die Sachsen von meinem Ansatz begeistert.“
Für die Rumänen wäre es ihr „sehr sehr wichtig, dass sie das Buch lesen“, gesteht die Autorin und freut sich, dass es nun einen Verleger gibt, der es auf Rumänisch übersetzen möchte. „Es ist eigentlich schade, dass die Rumänen so wenig wissen über die Sachsen.“
„Im französischen Kulturraum beginnen meine Bücher auch, bekannt zu werden“, fährt sie fort. „Es wundert mich ein bisschen. Das Buch hat derzeit 27 Rezensionen, was für ein derartiges Thema enorm viel ist. Denn im Prinzip umfasst es alles, was Frankreich nicht mag: Minderheiten, Religion, Gemeinschaften. Gemeinschaften werden in Frankreich oft mit ‚communitarism‘ übersetzt, das sind aber die negativen Seiten der Gemeinschaften. Mein Buch ist also für Französischsprachige ein bisschen schwer. Aber an meinem Buch bemerke ich auch, dass sich der französischsprachige Raum derzeit verändert. Und das finde ich schön. Zumindest in der Wissenschaft.“
Thomas Șindilariu betont, dass das Buch vor allem die sächsische Problematik im französischsprachigen Raum präsentiert, wo sie praktisch nicht präsent ist. „Das ist Catherines Verdienst. Die Grand Nation ist ja dafür bekannt, dass sie mit ethnischen Minderheiten ihre Probleme hat.“ Dieses Buch öffne den Blick für die Vielfalt, die ethnische Minderheiten einem Nationalstaat bringen, wie dem rumänischen, der dem französischen ja nicht so unähnlich ist. Ein Plus gegenüber der „ethnischen Monokultur“ in Frankreich, findet Șindilariu. Das ist also einer der Hauptverdienste der insgesamt gut 1100 Seiten von Catherine Roths Studien, zusammengefasst in zwei Büchern, die auch wissenschaftlich interessant sind. „Da kann man auch für die eigene Gemeinschaft nachdenken, was die Intimität dieser Gruppe bedeutete und welche Formen sie hatte, die vielleicht mehr im Aufbrechen begriffen sind als wir uns vielleicht vorstellen. „
Es sind zwei Bücher über „Stallgeruch“, fährt er fort: „Wie hat sich der geändert und was bringt das für Chancen? Was den Stallgeruch eigentlich ausmacht, arbeitet Catherine in ihren Büchern methodisch auf.“
Die Kraft dieser beiden Bücher sei, ein Muster des Verstehens zu finden, das der Situation gerecht wird. „Oft wird ja andersrum vorgegangen, dass man ein Muster hat und die Situation passend macht. Das ist eine Falle, in die die Geisteswissenshaft immer wieder hineintappt.“ Als Kenner vieler historischer Quellen findet Șindilariu, dass sie „dem Forschungsobjekt gerecht wird, indem sie eine Methode sucht und findet, mit der man ein Mehr an Verständnis und Erkenntnis haben kann als es bisher der Fall war, wo man tatsächlich sagen kann: diese Gruppe ändert sich, und warum.“
Wie jede vergangenheitsbezogene wissenschaftliche Betrachtung stellt sich natürlich die Frage, ob sie heute noch aktuell ist. Oder, wieviel davon noch aktuell ist. „Sie ist sicherlich sehr aktuell“, meint hierzu [indilariu, nur der Stallgeruch habe etwas nachgelassen...