Eine Stadt, in der die Menschen im Fluss oder Hafenbecken schwimmen... Eine Stadt, in der Kinder auf der ausladenden Strandpromenade selbstgemachte Limo verkaufen... Eine Stadt, in der man auch bei Schlechtwetter unter Schirmen und in Decken gehüllt draußen sitzen, einen Kaffee trinken, Radfahrern, Touristen und Hundespaziergängern zusehen, durch ein riesiges Schaufenster das Treiben in einer Tanzschule verfolgen oder in eine vorbeizuckelnde Tramway blicken kann, auf Augenhöhe mit den Passagieren... Eine Stadt, in der man zu Fuß in wenigen Minuten die wichtigsten Ziele erreicht – Büro, Schule, Geschäfte, Arzt, Bank. In der strukturierte Wohnblocks mit grünen Innenhöfen und versetzten Balkonen für Country-Feeling sorgen. Eine Stadt mit Lebensqualität kurzum: sauber, grün, gut vernetzt. Mit Ecken und Plätzen, die Bewohner wie Besucher zu Kommunikation und Bewegung im Freien anregen. Ein hehrer Traum? Utopie?
Nein, die Bilder, die über die Leinwand flimmern, stammen aus echten Metropolen: Kopenhagen, Brisbane, Mexico City, Malmö, Bern... In den beiden letztgenannten kann man tatsächlich im sauberen Fluss oder Hafenbecken baden. In Badezeug und Flipflops laufen die Städter durch Bern, steigen eine breite Treppe mit roter Haltestange hinunter und erfrischen sich im Wasser der Aare.
„Soft City“ – so nennt der dänische Architekt und Autor des gleichnamigen Erfolgsbuches David Sim seine Vision von Städten der Zukunft. Großstädte, in denen man gerne lebt, vor allem aber gesund. Mit urbanen Gärten, Radwegen, einem gutvernetzten öffentlichen Verkehr, ohne Stau, mit Outdoor-Freizeitangeboten und Urlaubsfeeling. „Der Reiz des Stadtlebens besteht in der Verbundenheit der Menschen. Und die Verbundenheit mit der Natur macht uns gesünder“, erklärt Sim, online zugeschaltet auf der Konferenz „Cities of Tomorrow“, die die deutsch-rumänische Handelskammer (AHK) in Bukarest am 28. März unter dem diesjährigen Motto „Die Lebensqualität in Städten steigern“ zum elften Mal organisiert hat.
„Lebendige, energiegeladene Gemeinschaft”
Der Zentralkonferenz im Bukarester „Crowne Plaza“ Hotel waren zehn online und hybrid abgehaltene Rundtischgespräche vom 21. bis 24. März vorangegangen. Themen: Energetische Effizienz und Energiemanagement, Finanzierung und EU-Fonds, Digitalisierung & Stadtverwaltung, Sicherheit in Städten, Mobilität, Baurecht, Rekonversion und Revitalisierung, Kreislaufwirtschaft, Tourismus, Lifestyle / Kultur, Balance zwischen Arbeit und Privatleben. Rund 300 Teilnehmer - Vertreter von Rathäusern, Privatunternehmen und NGOs – nahmen dieses Jahr daran teil. Es folgten Reden, eine Podiumsdiskussion und die Präsentation der zehn Finalisten des Wettbewerbs für Best-Practice-Projekte in drei Kategorien - öffentliche Verwaltung, Privatunternehmertum, gemeinnützige Organisationen - mit anschließender Prämierung der Gewinner. Insgesamt 55 Projekte wurden eingereicht - alle können auf der Webseite citiesoftomorrow.ro (Kategorien: /public-administration, /civil-society und /business-environment) – eingesehen werden. „Die hohe Zahl ist für uns ein Barometer, das anzeigt, wie lebendig und energiegeladen die Gemeinschaft Cities of Tomorrow ist“, freut sich AHK-Generaldirektor Sebastian Metz.
AHK-Vorsitzender Andreas Lier erklärt, warum die Konferenz zur Vernetzung dieser drei Kategorien so wichtig ist: Mehr denn je zuvor spielen Städte eine essenzielle Rolle bei der nachhaltigen Entwicklung Rumäniens. Städte sind Motoren für Wirtschaft und Wettbewerb. Gerade aber weil Städte Entwicklungszentren sind, tauchen vor dem Hintergrund einer wachsenden Bevölkerung auf beschränktem Raum auch Herausforderungen auf, die intelligente und multidisziplinäre Antworten fordern - die viele Städte der Welt für sich bereits gefunden haben. „Dabei hat sich der integrierte Ansatz als Erfolg erwiesen“, so der deutsche Botschafter Dr. Peer Gebauer bei der Eröffnung.
Ideen aus dem Ausland
Wie es gehen kann, zeigt Keynote-Speaker David Sim anhand zahlreicher Vorbilder auf. Die Lösungen müssen nicht immer teuer sein. In Mexiko City schützt ein einfaches Segeltuch einen belebten Platz vor Sonne. Im australischen Brisbane mildern Bäume die Hitze, sodass die Menschen auch im Sommer draußen sein können. In Kopenhagen absorbiert eine ausladende Grünfläche um den Fluss eventuelle Fluten. Es geht um „slower, simpler, softer“, betont Sim. Weniger hohe Blocks mit versetzten Etagen. Keine „Schlafzimmer-Viertel“, sondern Wohnungen und Arbeitsplätze im selben Raum.
Erfahrungen aus der Praxis teilen die Gastredner Karmen Strahonja, Generaldirektorin der Stadtmarketing Mannheim GmbH, und Hilmar von Lojewski, Beigeordneter des Deutschen Städtetags, einem Zusammenschluss von 4300 Städten und Gemeinden mit 52 Millionen Bürgern. Von Lojewski sprach über allgemeine Probleme in deutschen Städten - Pandemie, steigende Sozialausgaben bei gleichbleibendem Budget, Migrationsdruck und Klimawandel, die energetische Transformation, Auswirkungen des Ukraine-Kriegs etc. und deren Finanzierung.
In Mannheim, „2,4 Millionen Einwohner in der Region, mit 170 Nationen, 1800 Sonnenstunden und 51% Grünfläche“, so Strahonja, lag der Erfolg bei der Transformation von der Industriemetropole in eine „Stadt für Menschen“ in einer vor 20 Jahren eingegangenen öffentlich-privaten Partnerschaft (49% Stadt, 51% Firmen). In den letzten beiden Jahren wurde diese durch Gründung der Visit Mannheim GmbH auch auf den Bereich Tourismus und Kultur ausgeweitet. Unter dem Motto „Grüne Stadt am Fluss“ wurden zahlreiche Events, Festivals zu Musik und Innovation oder Garten- und Hortikultur-Ausstellungen ins Leben gerufen.
Auch bei uns gibt es Lösungen!
Herzstück von „Cities of Tomorrow“ ist der Projektwettbewerb, bei dem aus 55 Teilnehmern zehn Finalisten ausgewählt wurden – ihre Projekte können auf citiesoftomorrow.ro/finalists2023 eingesehen werden. Schließlich wird von einer Expertenjury aus jeder der drei Kategorien ein Gewinner ermittelt.
In diesem Jahr ist es in der Sparte öffentliche Verwaltung das Projekt „Tren Metropolitan“ der Vereinigung für öffentlichen Transport Bukarest-Ilfov TPBI (das zwei Tage später auch im Parlamentspalast mit dem „Smart City Industry Award“/Kategorie „Smart Living“ ausgezeichnet wurde!). Das Projekt soll den Schienenverkehr zwischen Hauptstadt und Ilfov und das städtische Verkehrsnetz vereinheitlichen sowie digitale Informationen zum Stand der Anschlüsse übermitteln. Hierfür sollen 330 Kilometer aktives Schienennetz genutzt, modernisiert sowie stillgelegte Gleise reaktiviert werden. An 1615 Haltestellen in Bukarest-Ilfov sollen audiovisuelle Informationen in Echtzeit geliefert werden, in 2197 Haltestellen statische Informationen. Die Wartezeit zwischen den Zügen Ilfov-Bukarest soll maximal 20 bis 30 Minuten betragen. Für das gesamte Verkehrsnetz wird es einheitliche Fahrkarten und Optionen wie 24-Stunden-Ticket und Jahresabo geben. Eine App erteilt Auskunft über Verbindungen in Echtzeit. Ein Demo-Film zeigte, wie die Fahrtsegmente für einen Radfahrer aus Scrovi{tea nach Bukarest ablaufen könnten. Das 33 Millionen Euro-Projekt soll aus dem Wiederaufbau- und Resilienzplan PNRR mit EU-Geldern finanziert werden. Es soll Pendler ermutigen, mittels Park&Ride den öffentlichen Transport zu nutzen und damit die Hauptstadt entstauen.
In der Sparte Unternehmen gewann das Projekt „Nanotechnologie für die Transformation von Abfall in Ressourcen“ der Firma Kematronic (Baia Mare). Es sieht die Nutzung von Klärschlamm zur Gewinnung von Wasserstoff, Elektrizität und thermischer Energie mittels Nanotechnologie (nano-gen.ro) vor. Durch die Kombination mit Elektrooxidation wird bei der Neutralisation von Klärschlamm 47% weniger elektrische Energie verbraucht als bei konventionellen Methoden. Das anfallende CO2 und N2 kann recycelt und als Treibstoff für die Produktion von Strom und Wärme genutzt werden. Das gereinigte Wasser eignet sich für die Bewässerung von Energiekulturen oder in der Landwirtschaft. Das Projekt wird vor allem für Gemeinden mit weniger als 10.000 Einwohnern empfohlen und ist überall in Rumänien und der EU einsetzbar.
In der Kategorie Zivilgesellschaft gewann das Projekt „Valea Jiului Vibrantă“ der NGO „Asociația Valea Jiului“ (valeajiuluiimplicata.org), das mit multidisziplinären Ansätzen die lokale Community aus NGOs, Behörden, Firmen, Bildungseinrichtungen und Künstlern aktivieren, vernetzen und der im Umbruch begriffenen Schiltal-Region in einem partizipativen Prozess neues Leben verleihen will. Dazu gehören Veranstaltungen in Städten, Graffiti-Murals, das „Robotics Valley Festival“ mit Roboter-Demos lokaler Schulteams und Hacker-Wettbewerben, die Electromina-Party in aufgelassenen Bergwerken, das Bergbaumuseum im I.-D.-Sirbu-Gedenkhaus, Workshops zu Kunst, Persönlichkeitsentwicklung, Kommunikation, Erste Hilfe, Lagerfeuer und Picknicks, Schatzsuche und Spiele, Asphaltmalerei, Sport und Wettbewerbe. Die Idee dahinter: Einwohnern und Besuchern Freude, Hoffnung und Selbstbewusstsein wiederzugeben, urbane Regeneration und Revitalisierung von öffentlichen Plätzen.
Die Preise bestehen für die Gewinner der Kategorie öffentliche Verwaltung aus einem Besuch bei der „Expo Real“-Messe in München, für die Kategorie Unternehmen in einer Partnerschaft mit der GreenTech Plattform der AHK, „Econet Romania“ (econet-romania.com) und für die Kategorie NGO in einer Teilnahme an einer Delegation nach Deutschland, passend zur Aktivität.
Lebenswerte, liebenswerte Städte von morgen – ein hehrer Traum, lebensferne Utopie? Mitnichten. Die zahlreichen und vielseitigen Projekte überzeugen vom Gegenteil: Es bewegt sich etwas in unserem Land! Nicht immer auf dem Parkett der hohen Politik, sondern in Hinterzimmern, wo oft keiner hinsieht. „Cities of Tomorrow“ gibt diesen konkreten Visionären eine Bühne.
„Cities of Tomorrow“ wurde gesponsert von: BASF, Delgaz Grid, E.ON, FEPRA, Siemens Healthineers, Hotspot, Iulius, nhood, Bosch România, Horvath, RETIM und SNRB.