„Lifeline“ von Dieter Mammel im Temeswarer Kunstmuseum

Ausstellung erzählt von Heimat, Krieg, Zuflucht, Schutz, Familie und Überleben

„Im Gras“: Der kastrierte Bulle steht symbolhaft für den Fall des Nationalsozialismus.

Dieter Mammel führt durch die Ausstellung – noch bevor diese offiziell für das Publikum eröffnet wird. Links im Bild: Der Leiter des Donauschwäbischen Zentralmuseums in Ulm, Tamás Szalay, und der Leiter des Temeswarer Kunstmuseums, Filip Petcu

Das Kriegstrauma lässt die Menschen nicht los. Die Werke hat Dieter Mammel 2021 gemalt, sie tragen den Titel „Alptraum“.

Dieter Mammel und Kurator Alexandru Babușceac. Im Hintergrund: das großformatige Werk „Mantel der Geschichte“ | Fotos: Die Verfasserin

„Lifeline“: Schon der mehrdeutige Titel der Ausstellung, die derzeit im Temeswarer Kunstmuseum zu sehen ist, lässt erahnen, dass es sich um mehrere Themen handelt, die der Künstler Dieter Mammel, 1965 in Deutschland geboren, darin zu bearbeiten versucht. Gemeint ist einmal die „Lebenslinie“, die Furche in der Innenhand, die die Länge der Lebensdauer anzeigen soll, aber womöglich auch die „Rettungsleine“, ein Gurt zur Rettung von Menschen, die zu ertrinken drohen. In der Ausstellung von Dieter Mammel, die vor knapp zwei Wochen eröffnet wurde, geht es um Leben und Tod, aber auch um die unzähligen Erfahrungen dazwischen – die guten, wie auch die schlechten, die einem als ständige Begleiter oftmals ein Leben lang zur Seite stehen. Eine breite Palette an Erfahrungen, die seine Familie erlebt hat, kommt in der Ausstellung zum Ausdruck, doch die eigene Familiengeschichte ist stellvertretend für die Tragödien, die auch anderen Menschen widerfahren sind und es auch heute noch tun, denn Krieg und Flucht gehören weiterhin zur Realität weltweit. Sechs große Themen stehen in der Ausstellung von Dieter Mammel im Vordergrund: Heimat, Krieg, Zuflucht, Schutz, Familienalbum und Überleben. 

„Lifeline“ entstand durch die Zusammenarbeit des Donauschwäbischen Zentralmuseums in Ulm und des Nationalen Kunstmuseums in Temeswar. Die Ausstellung umfasst fast 80 Werke, meist von großem Format, die Museumsbesucher in der Ioachim-Miloia-Galerie – dort, wo bis Jahresanfang die Constantin-Brancu{i-Ausstellung zu sehen war -  bewundern können.  Am Eingang in die Galerie stehen am Donnerstagmittag, dem 9. Mai, der Maler Dieter Mammel und Kurator Alexandru Babu{ceac, die den Auftrag haben, die Anwesenden durch die Ausstellung „Lifeline“ zu führen. Es ist der Tag vor der offiziellen Eröffnung, und Presse und Museumsmitarbeiter haben die Gelegenheit, sich als allererste die Ausstellung anzusehen. Der Direktor des Donauschwäbischen Zentralmuseums, Tamás Szalay, aber auch der Temeswarer Kunstmuseumsleiter Filip Petcu sind bei der Führung dabei. 

„Es gab vor 20 Jahren eine Ausstellung im Kunstmuseum Bonn, die ‚Family Works‘ hieß und da waren diese Bilder neben über 200 anderen Gemälden aus der Familie. Das, was wir in diesem Familienalbumraum sehen, diese neuen Arbeiten, sind quasi eine Referenz an diese Ausstellung vor 20 Jahren. Ich habe mich also seit 20 Jahren mit der eigenen Familiengeschichte beschäftigt, weil ich die Malerei als einen sehr persönlichen Akt betrachte. Ich male nicht irgendetwas, was nur alleine einem Zeitgeschehen entspricht, sondern meine eigenen Erfahrungen oder die Erfahrungen meiner Familie, meiner Nächsten“, erzählt der Künstler. Ein direktes Erlebnis mit der Flucht hatte Dieter Mammel 2015, als er auf der griechischen Insel Kos die Ankunft der Boote mit syrischen Flüchtlingen erlebte. Zurück in Deutschland ging er zu den Kindern in den Flüchtlingsheimen, um mit ihnen zu malen. So entstand das Projekt „Zeig mir, woher du kommst“.  Die Werke, die in der Ausstellung „Lifeline“ zu sehen sind, stammen aus der Zeit nach 2015. 

In der Ausstellung kommen also sechs große Themen zur Geltung: Heimat, Krieg, Zuflucht, Schutz, Familienalbum und Überleben. Anhand der Geschichte seiner eigenen Familie erzählen die Werke Mammels von dem kollektiven Trauma derjenigen, die unter dem Krieg zu leiden hatten, aber auch von dem mühsamen Weg des Heilungsprozesses – sollte es ihn überhaupt geben – nach diesen Erfahrungen. Die Werke wurden in Farbtinte geschaffen, sie weisen teilweise sehr starke Farben auf. Die Symbolik, die in den Werken steckt, ist bemerkenswert. Ein Beispiel nur: Das großformatige Werk „Im Gras“ zeigt im Vordergrund einen Bullen, wobei in der Ecke rechts ein Mädchen, das die Hoden des kastrierten Viehs einsammelt, zu sehen ist. Der Nationalsozialismus hat seine Macht endgültig verloren. Am Ende der Ausstellung treten Mammels Werke, die das Thema des Todes erforschen, in einen Dialog mit einigen Werken, die der eigenen Sammlung des Temeswarer Kunstmuseums entstammen. Drei Räumlichkeiten sind diesen Werken gewidmet. 

„Mein Konzept ist, dass wir einfach viel mehr im Donauraum präsent sein wollen. Wir haben sofort erkannt, dass sich diese Ausstellung perfekt dafür eignet, einfach deswegen, weil sie einerseits eine Familiengeschichte, also die typische donauschwäbische Fluchtgeschichte erzählt, aber trotzdem ist alles so allgemein gehalten, dass es zugleich die Geschichte vieler anderer sein kann. Sie werden sehen, dass man in der Ausstellung nicht nur die donauschwäbische Geschichte bzw. die Familiengeschichte von Dieter Mammel erkennt, sondern tatsächlich Bilder über die Fluchtwelle in 2015/16 und auch aus der Ukraine. Dadurch erzählen wir eine ganz allgemeine und ganz aktuelle Geschichte“, berichtet Tamás Szalay, der seit einem Jahr an der Spitze des Donauschwäbischen Zentralmuseums in Ulm steht. „Unser Auftrag ist, die deutsche Kultur im Donauraum zu bewahren und zu stärken“, fügt er hinzu.
Museumsleiter Filip Petcu ist seit seinem Amtsantritt offen für Zusammenarbeit mit Kulturinstitutionen im Ausland. „Für uns war es eine besondere Erfahrung, den Künstler Dieter Mammel hierher zu bringen – ein Künstler mit Wurzeln im Banat. Er hat sich – ganz im Sinne der Temeswarer Multikulturalität – mit diesen Wurzeln identifiziert, was uns sehr gefreut hat. Er blickt als Künstler nun auf diese Wurzeln zurück und konkretisiert sie als Linie, die die Vergangenheit mit der Gegenwart und Zukunft verbindet – ein Kreis, durch den wir uns auf die Geschichte beziehen können, auf die menschlichen Beziehungen, auf den Stammbaum, auf die Quellen unserer Identität und auf die Herausforderungen, die uns dazu bringen, in die Zukunft zu blicken“, sagt der Museumsleiter. Das Temeswarer Kunstmuseum hat bereits im vorigen Jahre eine Initiative gestartet, Künstler mit Wurzeln in Rumänien, die allerdings im Ausland bekannt wurden, wieder nach Temeswar zurückzuholen. Der britische Künstler mit rumänischen Wurzeln Paul Neagu (1938 – 2004) war der erste, den das Kunstmuseum am Domplatz in diesem Zusammenhang vorstellte. Der Banater deutschen Kunst wandte sich das Kunstmuseum voriges Jahr zu, als anlässlich der Heimattage der Banater Deutschen eine Ausstellung zu „Banater deutschen Malern“ eröffnet wurde. 

Die Ausstellung „Life-line“ von Dieter Mammel ist die hundertste im Leben des deutschen Künstlers und stellt eine Verbindung zwischen dem Banat und Deutschland dar. Sie kann bis zum 4. August dieses Jahres besichtigt werden.