In einer Zeit, in der die Welt mit tiefgreifenden Veränderungen konfrontiert ist, stehen Medien vor enormen Herausforderungen. Die Frage nach der Unabhängigkeit von Qualitätsmedien wird zunehmend dringlich, da der Druck von politischen und wirtschaftlichen Interessensgruppen wächst. Wie können Medien ihre Rolle als vierte Gewalt in der Demokratie wahren, gleichzeitig dem Anspruch gerecht werden, umfassend und objektiv zu berichten und für die Leserschaft auch noch attraktiv sein?
Mit dieser Problematik hat sich Prof. Dr. Alexandra Borchardt in einer öffentlichen Diskussion mit Manuel Knapp, Studienleiter der Europäischen Akademie Berlin (EAB), auseinandergesetzt. Sie fand im Bukarester Goethe-Institut im Rahmen der europaweiten Programmreihe „Exchange“ der EAB, in Partnerschaft mit der Europäischen Union und dem Auswärtigen Amt, statt.
Reichweite durch Diversität und die Rolle der KI
Eine der größten Herausforderungen von Qualitätsmedien besteht darin, eine möglichst breite Leserschaft zu erreichen. Zudem müsse Journalismus heutzutage inklusiv gestaltet sein, um so viele Menschen wie möglich anzusprechen. Dabei seien viele Medienexperten zuversichtlich, die künstliche Intelligenz (KI) könne dabei helfen, Medienformate zugänglicher zu machen und an die spezifischen Bedürfnisse des Publikums anzupassen. Außerdem könne sie Journalisten die Forschungsarbeit erleichtern, an ihrer Stelle Informationen filtern und in Kategorien einteilen, Suchmaschinen optimieren, Datenanalysen zu Publikumstrends oder Diskussionsmoderation im Kommentarbereich durchführen.
Berichterstattung kann mithilfe von KI leichter in die Breite gebracht werden, weil man rasch zwischen Formaten wechseln kann. Das heißt, aus Texten Tonspuren und Videos erstellen und umgekehrt, oder kurze Zusammenfassungen längerer Berichte. „Man muss die Leute auf den Plattformen und mit den Formaten abholen, die sie auch begeistern und konsumieren“, erklärt Borchardt.
Im Gegensatz dazu besteht bei der Anwendung von generativer KI, einer neuen leistungsstarken Technologie, die Texte, Bilder, Musik, Websites eigenständig erstellen kann, die Gefahr, dass die generierten Nachrichten voreingenommen sind, qualitativ schwach oder ungenaue, ungeprüfte und sogar falsche Informationen enthalten. Außerdem gefährdet diese KI verschiedene Arbeitskategorien, darunter auch die des Journalisten. Deswegen macht der Einsatz dieser umstrittenen Technologie nicht nur auf Hoffnung, sondern trifft auch auf Skepsis, wie aus dem Nachrichtenbericht 2024 der Europäischen Rundfunkunion hervorgeht.
Was die gedruckte Presse anbelangt, wurde ein dramatischer Abwärtstrend der Leserzahlen beobachtet. Borchardt zeigt sich jedoch zuversichtlich, dass gedruckte Zeitungen nicht komplett aussterben werden, vor allem, weil Menschen am Wochenende gerne Zeitung lesen. Sie wird wahrscheinlich zu einem Genussprodukt werden, das man sich gönnt, aber für die schnelle Information wird sie keine Zukunft haben, wenn sie sich nicht auch online und digital integriert.
Konstruktiver, inklusiver Journalismus
Ob es einen Markt gibt für den Journalismus, der sich unterschiedlichen Lesergruppen, nicht nur der mehrheitlichen, zuwendet? Die Abnehmer müssen am Anfang stehen, so Borchardt. „Sehr oft wurde von einer Perspektive von außen und von oben herab über bestimmte Gruppen berichtet oder man hat Menschen vor allen Dingen als Opfer oder als die Schwächeren vor Ungerechtigkeiten porträtiert, zum Beispiel Frauen.“ Bisher habe man sich nicht damit beschäftigt, ob es vielleicht einen anderen Blick auf die Welt, andere Bedürfnisse gebe, oder andere Formate, die vielleicht besser passen. Inzwischen sei beispielsweise klar geworden, warum auch viele Frauen keine Tageszeitung lesen. Sie haben am Frühstückstisch einfach nicht die Zeit, die Zeitung aufzuschlagen. Der Podcast hingegen sei ein Format, das von Männern und Frauen fast zu gleichen Teilen konsumiert werde.
Journalisten sollten sich verpflichten, dafür zu sorgen, dass auch ausgegrenzte Menschen, etwa Migranten, als Leser berücksichtigt werden, und zwar nicht nur in negativen Nachrichten wie über Verbrechen, sondern auch, indem über ihre Errungenschaften und Verdienste für die Gesellschaft berichtet wird. Dadurch entwickeln sie ein Zugehörigkeitsgefühl und fühlen sich auch gemeint. Man müsse also nachforschen, was Menschen in unterschiedlichen Gesellschaftsschichten, an unterschiedlichen Orten und in Gemeinschaften benötigen, ob sie in den Medien vorkommen und ernst genommen werden.
Medienkompetenz generationenspezifisch stärken
Wie kann man die Medienkompetenz der Bevölkerung stärken, denn eine widerstandsfähige Gesellschaft fällt Desinformation nicht so leicht zum Opfer?
Ältere Menschen seien laut Statistiken viel anfälliger für Fake News und Missinformation, sie nehmen schwarz auf weiß Gedrucktes eher als bare Münze, erklärte hierzu die Expertin, wo hingegen die jüngere Generation schon aus der Schule daran gewöhnt sei, Quellen auf den Grund zu gehen, auch mal zu googeln, zu überprüfen, ob das stimme, also auch ein gewisses Maß an Skepsis zu haben. Aufklärung müsse sich daher ganz spezifisch an jede einzelne Generation richten.
Qualitätsjournalismus: ein Talente-Problem
Es gibt heutzutage viele alternative Kanäle, über die sich junge Menschen informieren, „und das setzt eine Spirale im Gang“, fährt Borchardt fort: „Je weniger sie Kontakt mit Journalismus haben, desto weniger wollen sie auch Journalisten werden!“ Es gibt dann weniger Bewerbungen auf Journalistenstellen und die Bewerber sind im Durchschnitt auch nicht besonders qualifiziert. Auch die Verlage beklagen Schwierigkeiten, Stellen kompetent zu besetzen. Doch wenn die Qualifikation der Journalisten zurückgeht, wirkt sich das gleichfalls auf die Qualität der Berichterstattung aus. „Ein großes Talente-Problem“, nennt dies Dr. Borchardt.
Andererseits ist zu beobachten, dass Journalismus zunehmend weiblich geprägt wird. Dieser Beruf wird immer öfter von Frauen ergriffen, „weil Frauen generell die Tendenz haben, Berufe zu wählen, die ihnen sinnstiftend erscheinen und nicht unbedingt sehr viel Geld bringen“, so Borchardt, wohingegen Männer denken, sie müssten die Familie ernähren und könnten es sich nicht leisten, einen Beruf nach ihrer Neigung zu wählen.
Unabhängigkeit vs. Finanzierung
Wie alle Unternehmen müssen sich Medienunternehmen finanziell tragen. Können sie aber wirklich unabhängig bleiben, wenn sie von diversen Sponsoren finanziert werden? Abhängigkeit sei oft viel subtiler, als man es von außen wahrnehme, erklärt dazu Borchardt. Es gebe vielerlei versteckte Abhängigkeiten, etwa von Anzeigenkunden, „die vielleicht nicht so offen Druck ausüben, aber Journalisten haben das im Hinterkopf und wissen, sie können über einige Sachen nicht kritisch berichten“. Andererseits müssen sich Eigentümer oder Förderer eines Mediums oder eines Verlags nicht unbedingt in den Inhalt einmischen. Unabhängiger Journalismus kann auch in diesem Fall betrieben werden, wenn das die jeweilige Gesetzgebung geregelt. Im Fall der öffentlich-rechtlichen Medien sollen die bestehenden Gremien über die Medienunabhängigkeit wachen. Die Kehrseite dabei: diese Gremien sind politisch besetzt und es lässt sich daher nicht genau bestimmen, wer welchen Einfluss nimmt.
Ein Grundprinzip des Media Freedom Act sei allerdings, dass Transparenz zu den Eigentumsverhältnissen herrscht. Es gibt auch Organisationen wie die globale Initiative „Media Ownership Monitor“, die Transparenz in die Eigentumsverhältnisse bringen. Im Moment sind 27 Länder weltweit Teil dieser Plattform, darunter auch Deutschland, die es dem Publikum ermöglicht, online zu überprüfen, wem welche Medien gehören. Rumänien fehlt derzeit noch auf der Plattform. Ein anderes Beispiel ist die „Journalism Trust Initiative“ (JTI), die von Reportern ohne Grenzen, der Europäischen Rundfunkunion und Agence France Presse (AFP) ins Leben gerufen wurde und in deren Rahmen sich Medienunternehmen im Sinne einer Selbstkontrolle zertifizieren können, um damit sicherzustellen, dass ihr Journalismus nach internationalen Regeln korrekt praktiziert wird.
Konstruktiverer Journalismus: nicht nur Krisen berichten
Dr. Borchardt richtete an Journalisten den Appell, Berichterstattungen „für die Menschen“ zu machen und nicht für andere Journalisten, Chefredakteure oder um die Konkurrenz zu beeindrucken. Im Wettlauf, immer schneller und schlauer als die anderen zu sein, übersehe man leicht die Bedürfnisse der Leserschaft. Belegt sei, dass simple und insbesondere visuelle Erklärformate gut ankommen, jedoch viel zu selten angewandt werden, was bedeutet, „viele Berichte gehen über die Köpfe der Menschen hinweg“.
Eine weitere Forderung an Journalisten sei, mehr Perspektiven zu bieten. „Nicht nur diese unglaubliche Negativität abzubilden, die reißt immer mehr Menschen von den Nachrichten weg. Journalismus muss konstruktiver werden.“ Im Klartext: die Welt nicht immer so düster darzustellen, wie sie oft in den Nachrichten vorkommt, denn sie ist auch voller Hoffnung, voller Zuversicht, es gibt Hilfsbereitschaft unter den Menschen, Innovationen, neue Technologien, die entwickelt werden. Es sei folglich wichtig, diese beiden Seiten auch gleichermaßen abzubilden. Viele Menschen hätten das Gefühl, die Berichterstattungen spiegelt nicht die Welt wider, die sie tatsächlich erleben.
Dr. Borchardt ist selbst Mitglied im Aufsichtsrat des Constructive Institute an der Universität Aarhus in Dänemark, das mit der Idee gegründet wurde, „die journalistischen Berichte perspektivenreicher und nuancierter zu gestalten, den Menschen auch wieder ein bisschen Hoffnung zu machen, dass es auch Lösungen gibt für Probleme und nicht nur Probleme“. Daher soll auch von Beispielen bewährter Praktiken, erfolgreich angewandten Lösungen und von Auswegen aus Krisen berichtet werden.
Die schlechten Nachrichten seien zwar „erfolgreicher“ und das sei Dr. Borchardt zufolge leicht zu erklären: „Menschen wollen sich und ihre Familie vor Risiken schützen, deswegen guckt man sich alle diese Verbrechen und Unfälle an“. Außerdem schaffen negative Nachrichten Reichweite durch Klickköder, aber das bedeutet nicht unbedingt, dass Leute loyale Beziehungen zu dem Medium aufbauen. Nicht das bewegt Menschen in der Regel, Abonnements abzuschließen, Zeitungen zu kaufen oder für den Zugang zu Nachrichten und Berichten zu bezahlen, sondern informationsreiche, beeindruckende Berichte, Ratgeber- oder Reisejournalismus, besonders interessante Geschichten, perspektivreich und nuanciert – etwas, das sie woanders nicht finden!
Prof. Dr. Alexandra Borchardt ist Journalistin, Buchautorin, Dozentin und Beraterin sowie Honorarprofessorin für Leadership und Digitalisierung an der School of Management der Technischen Universität München und Senior Research Associate am „Reuters Institute for the Study of Journalism“ an der University of Oxford. Für die World Association of News Publishers Wan-Ifra unterstützt sie als Coach regionale Medienhäuser bei der digitalen Transformation. Ihre jüngste Veröffentlichung ist der Nachrichtenbericht 2024 der Europäischen Rundfunkunion EBU „Trusted Journalism in the Age of Generative AI“ (Vertrauenswürdiger Journalismus im Zeitalter generativer KI), den sie als Hauptautorin konzipierte.