Was unternimmt ein Tourist in Kronstadt außer Spaziergängen durch die bunten Gassen der Innenstadt? Vielleicht will er zur Zitadelle auf dem Schlossberg. Um schöne Fotos aufzunehmen, einen Blick auf die Stadt zu genießen und gerne auch für ein Abendessen. Oben angekommen, muss er jedoch zu seiner Enttäuschung feststellen, dass er die hohen Mauern nur von außen bewundern kann. Vom Abendessen kann gar keine Rede sein. Am Tor ist ein großes Plakat mit der Aufschrift „Geschlossen“ angebracht. Schon seit zwei Jahren. Früher fanden in der Zitadelle Feste statt, im Hof gab es eine Gaststätte. Heute sieht die Gegend am Abend etwas düster und verlassen aus. Sie ist noch immer eine gute Foto-Kulisse für Brautpaare. Und ein Treffpunkt für Leute, die die schöne Aussicht bewundern wollen.
Eine Postkartenaussicht hat man auch vom Weißen Turm. Und dabei bleibt es auch.
Neugierige Touristen steigen die über 160 Stufen hinauf, um vor dem Turm das perfekte Selfie mit ihrem Smartphone zu machen. Den Turm von innen besichtigen kann man seit zwei Jahren nicht mehr. Eine Promenade führt durch grünes Dickicht zum Schwarzen Turm. Dieser ist ebenfalls geschlossen. Früher beherbergten die beiden Türme Ausstellungen und Kulturveranstaltungen. Wie auch die Tuchmacherbastei. Hier wurde vor nur fünf Jahren ein virtuelles Museum über die Kronstädter Geschichte eröffnet. Heute steht die Bastei heute unter Schloss und Riegel. Den Gebäuden droht der Verfall, falls nichts dagegen unternommen wird. Kreis- und Lokalbehörden geben sich gegenseitig die Schuld an dieser Situation.
Ping-Pong zwischen Stadt- und Kreisverwaltung
Was wäre Kronstadt ohne seine alte Stadtmauern, Basteien und Wehrtürme? So wie Häuser, die verfallen, wenn sie nicht bewohnt sind, wird sich mit der Zeit auch der Zustand der Wehranlagen verschlechtern.
Auf die Frage „Wer verwaltet die Wehranlagen?“ gibt es eine komplizierte Antwort. Zuerst muss klargestellt werden, wem sie gehören. Die Türme und Basteien werden vom Kronstädter Kreisrat verwaltet, aber im Grundbuch ist das Bürgermeisteramt als Eigentümer eingetragen. Zwischen 2005 und 2012 hat der Kronstädter Kreisrat massiv in die Sanierung der mittelalterlichen Wehranlagen investiert, ohne sich darüber Gedanken zu machen, ob diese Eingriffe überhaupt legal sind. Jetzt weist der Kreisrat darauf hin, dass diese historischen Gebäude eigentlich dem Bürgermeisteramt gehören. Auf der anderen Seite erklären die Lokalbehörden, dass laut Regierungsbeschluss 972/2002 auch der Kreisrat Eigentümer der Wehranlagen ist, also muss dieser die Annullierung des Eigentumsrechts beantragen, damit die Blockade ein Ende hat.
Während dieses Ping-Pong-Spiels zwischen Kreis- und Lokalbehörden fangen die Fassaden an zu brökeln.
Auf diese Blockade haben auch Caroline Fernolend und Wolfgang Wittstock, Kreisratsmitglieder seitens des Demokratischen Forums der Deutschen im Kreis Kronstadt, Mitte Juli in einer Pressekonferenz hingewiesen. Sie haben das Bürgermeisteramt aufgefordert, als im Grundbuch eingetragener Eigentümer der Wehranlagen die Verantwortung zu übernehmen und etwas in dieser Hinsicht zu unternehmen. Die Weberbastei, die Tuchmacherbastei, Seilerbastei, die Kürschnerbastei, der Weiße und der Schwarze Turm, die gesamte mittelalterliche Wehranlage ist für Einwohner wie auch für Touristen einer der Anziehungspunkte der Stadt, deshalb sei es wichtig, sie wieder zu eröffnen und nutzbar zu machen.
Das Bürgermeisteramt sieht sich jedoch für die alten Stadtmauern, die Basteien und Wehrtürme nicht allein zuständig. Laut Sorin Toarcea, Pressesprecher der Institution, können die Lokalbehörden vorläufig nichts für die Wartung der Stadtmauern, Basteien und Wehrtürme unternehmen, weil diese in den Akten als zur öffentlichen Domäne des Kreises Kronstadt gehörend geführt werden. 2012 hatte das Bürgermeisteramt ein Schreiben an den Kreisrat gerichtet, in dem die Dringlichkeit der Änderung des Regierungsbeschlusses 972/2002 unterstrichen wurde. Durch diese Änderung sollten die mittelalterlichen Wehranlagen Kronstadts aus der öffentlichen Bestandsliste des Kreisrates gestrichen werden. Erst dann könne das Bürgermeisteramt als alleiniger Eigentümer in die Wartung und Verwaltung dieser Baudenkmäler eingreifen.
Gechlossen, weil sie keinen Gewinn brachten
Bis 2015 hat der Kreisrat in vielen Wehrtürmen Investitionen vorgenommen. Diese wurden von der Firma „Consilprest“ verwaltet, einer GmbH, in der der Kreisrat Alleinaktionär ist. Laut Bürgermeisteramt hat der Kreisrat so gehandelt, als ob er Eigentümer dieser Wehranlagen wäre. Bis nicht geklärt ist, was für Investitionen getätigt wurden und wie diese durchgeführt wurden, bis nicht eine rechtmäßige Übergabe erfolge, könne das Bürgermeisteramt nicht einseitig in dieser Angelegenheit handeln, denn das könnte einschließlich rechtliche Konsequenzen haben.
Nach 2015 wurden Türme und Basteien der Reihe nach geschlossen, weil sie keinen Profit brachten. 2014, im Vorfeld der Wahlkampagne für das EU-Parlament, wurde in Kronstadt eine gemeinsame Initiative des Kreisrates, des Fördervereins für Tourismus in Kronstadt (APDT), mehrerer Museen und der evangelischen Kirchengemeinde Kronstadt (Honterusgemeinde) vorgestellt. Es ging um den Verkauf einer gemeinsamen Eintrittskarte zu 17 Kronstädter Sehenswürdigkeiten (z. B. Schwarze Kirche, Weberbastei, Weißer und Schwarzer Turm, mehrere Museen) samt Stadtplan, Mineralwasser und Internetzugang in Partner-Gaststätten zum Preis von rund 45 Lei. Die Idee wurde jedoch aufgegeben. Die größte Enttäuschung war das 3D-Museum Rumäniens in der Tuchmacherbastei. 290.000 Euro wurden hier von „Consilprest“ investiert. Das Museum wurde wegen kleinen Einnahmen geschlossen.
Auch im Falle der beiden Wehrtürme auf der Warthe hat Consilprest 2015 die Schlussfolgerung gezogen, dass es sich um Sehenswürdigkeiten handelt, deren Verwaltung und Pflege eher Verluste als Gewinne einbringen.
Letztes Jahr haben über eine Million Touristen die Stadt unter der Zinne besucht. Sie sind die größten Verlierer. Bis man eine Lösung findet, bleiben die Wahrzeichen Kronstadts versperrt und verriegelt. Während sich im Inneren nichts tut, werden die Mauern vorläufig von außen genutzt – und zwar von freien Kulturschaffenden. Bei Amural, dem ersten Festival für zeitgenössische bildende Kunst, das jemals in Rumänien organisiert wurde, wird durch Video-Mapping die Architektur der Stadt zum Leben erweckt. Anfang September werden die Türme auf der Warthe durch 3D-Projektionen in neuem Licht erstrahlen. Vielleicht werden dann auch die Behörden daran erinnert, dass es an der Zeit ist, etwas zu unternehmen.