„Die Mathe-Info-Klasse ist nichts für mich, nein. Dort ist sehr viel zusätzliche Schreibarbeit zu leisten, um das alles gut verstehen zu können”, sagt Ioan Muraru (18) in Hermannstadt/Sibiu montags nach der Stichwahl um Rumäniens Präsidentschaft. Trotzdem er sich sommers vor der neunten Klasse auf genau dieses fordernde Profil am Hermannstädter Gymnasium für Berufszweige im Sektor der Energie-Zufuhr (Liceul Energetic) beworben hatte. Die zwölfte Klasse steht ihm noch bevor, und doch weiß Ioan längst schon, dass ihm beste Zukunftschancen winken – weil er ein bestimmtes Zeugnis vorlegen können wird, von dem Gleichaltrige, die ziemlich hoch hinaus wollen oder müssen, allenfalls träumen. Karriere machen wird er in der Stromversorgung. Und sicher auch weiterhin als Deutsch Sprechender, Mitglied des Jugendchors der evangelischen Kirche A.B. in Hermannstadt, an sich arbeiten wollen. „Ich mag Gesellschaftskreise, Lachen und das Anbringen guter Witze”, erklärt Ioan Muraru seine Weltbeziehung. ADZ-Redakteur Klaus Philippi hat sich mit ihm unterhalten.
Du sagst, es wäre einfach und übersichtlich in einer Schulklasse für technische Berufe. Bestimmt aber gibt es auch da so manches an Herausforderungen zu bewältigen, oder?
Ein Haufen Sachen muss auswendig eingeprägt werden: Formeln, Lehrsätze, Arbeitsweisen, Bestandteile, Maschinen, Vorgänge des Zusammenbauens, Installationen, Funktionsprinzipien und alles, was Methoden zur Wartung einschließt.
Was ist unter dem Abitur einerseits und wieder-um der Prüfung für die Bescheinigung als Fachkraft an einem Gymnasium wie deinem zu verstehen?
Es ist möglich, das Abitur zu machen und die Fachkraft-Prüfung nicht, oder umgekehrt. Auch geht beides zusammen, obwohl die Zeugnisse separat und unabhängig voneinander sind.
Zu wie viel Praxis kommen Schülerinnen und Schüler so einer Ausrichtung?
Sie geschieht nicht täglich, nein, aber auf jedes Jahr entfallen sechs Wochen praktisches Lernen. Und sobald eine dieser sechs Wochen ansteht, gehen wir täglich in eine Fabrik und schauen allen, die dort arbeiten, aufmerksam zu. Bis zur zehnten Klasse passiert es noch in der Schule, die Meister kommen zu uns in die Laboratorien. Richtig mit der Industrie in Berührung gelangt man ab der elften Klasse. Jeder von uns kann sich den Platz für seine Praktika frei aussuchen. Manche Kollegen erledigen sie folglich bei Firmen ihrer Eltern, Verwandten oder deren Bekannten, doch eigentlich tun sie kaum etwas, gönnen sich Nichtstun. Auch in den Werkräumen der Schule läuft oft nicht wirklich Großartiges, aber dort stehen wir immer noch unter Beobachtung von Offiziellen, die uns nicht alles durchgehen lassen. Irgendwo bereue ich es, selber nicht auch so ein leichtes Praktikum außerhalb der Schule gewählt zu haben, da ich mich jetzt schon auf das Abitur im Fach Physik vorbereite und ziemlich viel Zeit dafür benötige.
Bei uns in Rumänien beschwert man sich gerne und zurecht über das Streichen von Berufsfachschulen in den letzten Jahrzehnten. Dass es schwierig geworden wäre, sich für ein Handwerk ausbilden zu lassen. Deine Erfahrung und Meinung dazu?
Schön fände ich es, wenn in Schulen, wo man technische Berufe lehrt und lernt, manche Ausstattung erneuert würde. Es besteht sehr großer Bedarf auch an meinem Gymnasium, das im Rumänien der kommunistischen Epoche als das beste seiner Art im ganzen Land gegolten hat. Noch heute sind bei uns alte Maschinen, Drehbänke und Schleifsteine in Gebrauch, die dem technischen Fortschritten leider nicht mehr ganz entsprechen. Aufgeholt werden könnte der Rückstand allein schon nur durch Übernahme von Geräten einer aktiven Fabrik, die ihre eigenen Apparate durch neue austauscht und sie möglichst nicht entsorgt.
Ein Handwerk zu erlernen ist in Rumänien mehr als gut möglich. Obwohl es enorm anstrengend ist, dranzubleiben, wenn man sich detailverliebt in alle Lehrbücher und Statistiken vertieft. Zwar sind nicht alle Lehrbücher überaltert, es gibt auch neuere aus den Jahren 2002 und 2005, aber die darin enthaltenen Informationen lesen sich so, als ob sie wahllos für den Druck bestimmt wurden. Es geht um jede Menge ungefilterter Informationen: reduziert man etwa einen 50 Zeilen langen Absatz auf das tatsächlich Wichtige, reichen 20 bis 30 Zeilen. Deswegen bin ich dafür, die Fächer zu verschlanken und auf manche praktischen Beispiele in den Büchern entweder ganz zu verzichten oder sie bildlich zu erneuern: die Prinzipien verändern sich nicht, doch geht man davon aus, dass so eine Schule dich zeitgemäß auf deine Tätigkeit als Elektriker vorbereitet. Wobei unsere Lehrer das Richtige tun und uns jeweils auf Unterschiede zwischen alten und neuen Geräten aufmerksam machen. Glücklicherweise hat die Schule vor einem Jahr neue Messgeräte gekauft, und anfangs war das Lernen von ihren Betriebsanleitungen sehr hilfreich, es gab für sie keine Alternativen.
Ein anderes Mal hat ein alter Meister dem Klassensprecher 30 Lei gegeben und ihn zu Dedeman Nägel kaufen geschickt, woraus wir Bolzen mit Gewinde anfertigen sollten. Bei der Benotung habe ich nur eine Acht erhalten, weil meine technische Zeichnung nicht gestimmt hat. Mit der Zeit habe ich jedoch gelernt, das korrekt zu erledigen.
Sehr enttäuschend waren die Zensuren der Fachkraft-Prüfungen im Sommersemester 2024, weswegen mich noch in der zehnten Klasse der Ehrgeiz packte, ein Projekt zu schreiben, als ob ich selber in der zwölften Klasse für das „atestat” geprüft worden wäre. Gelungen ist mir die Arbeit über den Rotationswechsel und das Anlassen von Drei-Phasen-Motoren. Die technischen Zeichnungen für so etwas finden sich im Internet, sind aber wie Fremdsprachen, und trotzdem habe ich das für mein Projekt hinbekommen, eine technische Zeichnung für ein funktionsfähiges Aggregat zu entwerfen. Der Meister, der es sich angeschaut hat, empfahl mir, es für die Prüfung in der zwölften Klasse aufzuheben. Falls es mir nicht den Sinn kommt, etwas noch viel Komplexeres zu versuchen.
Wo bist du vor der Entscheidung zu einem technischen Beruf zur Schule gegangen?
Bis zur zweiten Klasse bin ich in Florești bei Klausenburg zur Schule gegangen, danach von der dritten bis zur achten Klasse in Hermannstadt, an der nach Gheorghe Șincai benannten Allgemeinbildenden Schule Nr. 9. Am Gymnasium für Berufszweige im Sektor Energie-Zufuhr hatte ich Glück, Platz in einer Klasse zu finden, die für ein sehr gesuchtes Berufsprofil ausbildet. Unsere Abitur-Prüfungen in den Fächern Mathematik und Physik haben den Schwierigkeitsgrad M2, der auch für Klassen mit Fokus auf Naturwissenschaften gilt. Noch schwerer ist die Mathematik-Prüfung nur für Klassen mit den Leistungsfächern Informatik und Mathematik. Es ist nicht schwer, sich an einem Gymnasium für technische Berufe einzuschreiben, aber es ist schwer, bei der Stange zu bleiben. Hat jemand überhaupt keinen Antrieb für das Zur-Schule-Gehen, kann ihm also auch ein technisches Gymnasium nicht helfen. An das Klischee, dass solche Gymnasien grundsätzlich weniger kluge Leute anziehen, glaube ich nicht. Stimmt, sie unterstehen dem Kriterium von Einschreibungen in der Reihenfolge des Notenschnitts, aber sie berücksichtigen auch den gezielten Wunsch von Schülern, die an so eine Schule wollen. Für die Aufnahme in die Klasse mit Mathematik und Informatik als Leistungsfächer hat es bei mir nicht gereicht, von daher bin ich mit der Klasse für den Beruf Elektriker sehr zufrieden. Und ich hoffe, in Hermannstadt, Klausenburg oder Bukarest an einer Technischen Hochschule studieren zu können, um Ingenieur und Techniker zu werden.
Was für eine Beziehung hast du zur deutschen Sprache?
Angefangen hat es in der fünften Klasse, als Deutsch als Fremdsprache auf dem Stundenplan auftauchte. Das gab es vier Jahre lang, und doch erinnere ich mich nicht daran, dass jemand in meiner Klasse an der Schule Deutsch gelernt hätte. Zwar konnte ein Kollege von seinen Eltern ein bisschen Deutsch, ein anderer war sehr gut im Auswendiglernen der Konjugation von Verben, nur fließend sprechen konnte auch am Ende der achten Klasse niemand. In der neunten Klasse habe ich ein Jahr lang Privatunterricht bei Frau Căpățână genommen. Ich wollte das einfach, und bald kam heraus, dass die Personen, die Deutsch an meiner Schule unterrichtet hatten, auch von ihr gelernt hatten. Als ich es wegen der Kosten und anderer Gründe aufgeben musste, wechselte ich zur App „DuoLingo”, die ich sehr praktisch finde. Und ich hatte Glück, Kontakt zu Leuten im siebenbürgisch-sächsischen Hermannstadt zu knüpfen, die mir mit Geduld manches Grundsätzliche beigebracht haben. Vom Niveau A1 habe ich es bisher bis A2 geschafft. An meiner Schule besteht die Option zum Deutschen Sprachdiplom der Stufe B1. Bis zum Niveau B2 würde ich es in nur einem Jahr sicher nicht schaffen, B1 jedoch sollte mit Hilfe der DuoLingo-App gerade mal noch knapp erreichbar sein.
Eine der schwersten Fragen in all den elf Schuljahren bisher?
In der zehnten Klasse hatte ich eine Physik-Prüfung zu bestehen, worin es um die Zwei Gesetze von Kirchhoff ging. Die hat mich ganz kalt erwischt, es war die erste Kontrollarbeit meines Lebens, bei der ich mir eine Drei holte. Und der Lehrer ist sehr kompetent, spricht und erklärt alles fließend, nur konnte ich nichts verstehen. Das liegt nun schon eine Weile zurück, und seither erlaube ich mir bei ihm nichts mehr unter einer Acht.
Klingt alles so, als ob du deiner Schulbildung nichts vorzuwerfen hast, oder?
Immer noch habe ich Lehrer, die für uns alle Informationen filtern, statt sie uns in verstaubten Büchern vorzulegen. Wenn ich nochmal von vorne anfangen sollte, würde ich mich nicht für das Octavian-Goga- oder das Gheorghe-Lazăr-Gymnasium entscheiden, weil ich dort keine Vorteile erkenne. Man quält sich dort unglaublich, um am Ende nichts als ein Blatt Plapier zu erhalten, womit größtenteils nichts getan werden kann. Es bringt nur Ärger und den Zwang, an eine Hochschule zu gehen. Mit meiner Bescheinigung als Fachkraft kann ich direkt in den Arbeitsmarkt einsteigen, verdiene ein gutes Gehalt und kann an Fortbildungen teilnehmen. Unser „atestat” als Elektriker weist uns als Profis auf dem höchsten von vier Niveaus aus. Ganz gleich, wie gut wir sind, zählt in unserer Gesellschaft am Ende das Geld, an das man sehr leicht herankommt, wenn man so ein Diplom in der Tasche hat. Bis zu 5000 Lei netto monatlich zu verdienen ist nichts Ungewöhnliches, mit Hochschulstudium wird es bedeutend mehr. Geht man nach Deutschland, werden aus den rumänischen Lei Euro (lacht) – nicht unbedingt mein Fall, aber auch nicht zu verachten.
Was für Chancen, einen ausgezeichneten Arbeitsplatz zu finden, siehst du für dich in Rumänien?
Sehr große! Was ich tue, ist sehr gesucht, und erreichen möchte ich die Fähigkeiten eines Technikers, der Pläne entwirft, zeichnet und sie bei Bedarf auch selber handwerklich ausführt. Weil ich genau weiß, dass hohe Nachfrage daran besteht. Klar, dass ich noch jede Menge zu lernen und an mir zu arbeiten habe, aber ich bin mir sicher, dass ich es schaffen werde. Weil es mir gefällt.