„Nur so kann man Träume verfolgen“

Besuch in einem Hermannstädter Künstleratelier

Andrei Pandea bei der Arbeit Fotos (3): Aurelia Brecht

Gesichter aus dem „Chor der Unschuldigen“

Wächter über das Atelier – Figuren des neuen „Chors des Unschuldigen“

Die Damen „Bomboniere“

„Teddies Riot“ – Bären in Aufruhr Fotos (3): Archiv Andrei Pandea

Wir sind nicht in Italien am Morgen dieses kühlen Herbsttages. Und die Figuren in der Künstlerwerkstatt sind nicht aus Holz, sondern aus Ton. Es ist nicht die Werkstatt von Geppetto, sondern die von Andrei Pandea. Auf den ersten Blick erlebt hier keiner Abenteuer, niemandem wächst eine lange Nase. Doch auch in dieser Werkstatt scheinen die Figuren zum Leben zu erwachen…

Die hohen Wände vermitteln den Eindruck von Weiträumigkeit. In einer Ecke: der Arbeitsplatz. Verstreut liegen hier Materialien, Werkzeuge, Farben, Pinsel. Überall im Raum stehen die Tonzeugen künstlerischen Schaffens. Sie schauen herunter von den Regalen und bereiten den Empfang. Starrende Blicke, geschlossene Augen. Mal liegt Andächtigkeit, mal Furcht, mal Witz im Ausdruck der Figuren. Heute ist nicht nur ihr Erschaffer im Atelier. An diesem Tag müssen sie sich an Gesellschaft gewöhnen.

Andrei Pandea lacht viel, während er erzählt. Mal schallend, mal verschmitzt. Währenddessen modelliert er eine Figur, die Bestandteil seines nächsten großen Projekts werden wird. Nebenbei, fast spielerisch, wirkt die Arbeit. Dabei muss jeder Handgriff sitzen. Immer wieder scheint der zierliche Tonkopf zwischen seinen Händen während unseres Gesprächs seine Züge zu verändern. Am Ende wird er fast ausdefiniert sein.

Ein Chor erregt Aufsehen

Schon als Kind beobachtet er seinen Taufpaten bei der Arbeit. Der war selbst Bildhauer, ließ den kleinen Jungen miterleben, wie magisch die Arbeit im Atelier sein kann. Pandea stammt eigentlich aus Bistritz/Bistri]a. Alles begann vor über einem Jahrzehnt, als er mit seinem „Chor der Unschuldigen“, einer Straßenausstellung, durchs Land tourte. Hermannstadt/Sibiu war eine der Stationen. Eine Woche lang standen auf dem Großen Ring 5000 Keramikfiguren. Eine breite Masse, fast alle tonfarben. Dazwischen vereinzelt die blauen Figuren, die für Menschen stehen, die die Unterstützung der Gesellschaft brauchen: „Straßeninstallationen sind ein gutes Mittel, die Gemeinschaft zu mobilisieren und daran zu erinnern, dass unter uns Leute leben, die Hilfe benötigen. In der richtigen Welt weißt du nicht, wer die Personen neben dir sind, die diese Problematik haben. Sie sind ja nicht angemalt“, sagt Pandea und lacht wieder.“ Der Plan ging auf. Die Menschen stoppten und staunten.

Schon damals kam im Laufe der sieben Ausstellungen eine beträchtliche Geldsumme für helfende Stiftungen zusammen, darunter auch für die Krebshilfe und für ein Hospiz in Kronstadt/Bra{ov: Nicht über den Verkauf der Ausstellungsstücke, sondern dadurch, dass mit der Ausstellung zum Spenden aufgerufen war.

Zum Internationalen Theaterfestival war Pandea wieder zu Besuch in Hermannstadt. Damals hatte ein Sponsor den Künstler in einer Stadtwohnung untergebracht. Bei der Schlüsselübergabe fragte der ihn dann, ob er etwas Wichtiges in Bistritz zu tun habe. Hatte er nicht. Und er blieb.

Ein anderer Sponsor stellte ihm damals ein Atelier zur Verfügung. So ist es mittlerweile dreizehn Jahre her, dass Pandea für eine Woche in die Stadt kam. Seitdem ist sie ihm zur Heimat geworden: „Die Stadt hat ihren Charme. Es ist nicht schwer, sich hier gut einzuleben, wenn man die Gelegenheit dazu bekommt.“ Allerdings gebe es wenige Möglichkeiten für Künstlerinnen und Künstler, auszustellen – insbesondere für jüngere, am Anfang ihrer Laufbahn. Viele Orte, die genutzt werden könnten, stünden leer. Es gebe eine sehr aktive Kunstszene, deren Potenzial aus seiner Sicht nicht ausgeschöpft werde: „Die Stadt hätte hier etwas zu vorzuzeigen.“

„Dort liegt Schönheit. Wenn keine Figur der anderen gleicht“

Irgendwann merkte er, dass sich das Chor-Projekt unvollendet anfühlte. Sein Modellierstil hatte sich verändert, die Skulpturen von damals waren weniger genau, kleiner, komischer, als Karikaturen gestaltet. Heute ist er detailverliebter, möchte realistischere Figuren schaffen und kann mehr Zeit investieren. Seit zwei Jahren arbeitet Pandea an einer Neuauflage seines Chors – den er als Sinnbild von „Menschen, die die Dinge gut machen wollen“, unabhängig von sozialem Status oder Religion, verstanden wissen möchte. Jede Skulptur soll ihre Individualität haben, denn: „Dort liegt Schönheit. Wenn keine Figur der anderen gleicht.“ Die Ausstellung ist für ihn eine Welt, die „von oben“ betrachtet werden kann, mit allen emotionalen Ausdrücken – Schmerz, Leid, Glück.

Bei der Neuauflage des Chors sitzen nun auch Institutionen mit im Boot, die sich um die Bedürfnisse und die Schulbildung benachteiligter Kinder und Jugendlicher kümmern. Irgendwie ist das ein Thema, das immer wiederkehrt bei Andrei Pandea: Ungleichheit und Benachteiligung. Und wie man sie verringern kann: „Die Gemeinschaft muss so gut es geht empathisch bleiben. Besonders in diesen Zeiten, in denen wir so viel mit Social Media und Bildschirmen zu tun haben.“ Auch Empathie muss eben trainiert werden.

„Mich inspiriert alles. Auch ohne, dass ich will“

Wie ist die Arbeit als Künstler? Wie kommt er zu seinen Ideen? Ein kurzes Zögern, dann sagt er: „Mich inspiriert alles. Auch ohne, dass ich will. Man sieht, beobachtet, und etwas schreibt sich in die Seele ein.“ Nach den vielen Jahren des Schaffens, kommt auch die Inspiration schneller: „Es kommen einfach Bilder rein“, sagt Pandea. Es sei gut, die Figuren der eigenen Stimmungslage entsprechend zu modellieren: So gibt es dann die Nervösen, die Glücklichen, die Verschlagenen – wie eben im wahren Leben auch.

Es sind oft die Merkmale einer Skulptur, die dazu führen, dass sich Menschen in ihnen spiegeln. So ist es auch mit den beiden Damen, die anmutig auf einem der Holzregale thronen, die Augen geschlossen, der Blick geht nach innen, kleine Vögel haben sich auf ihren Schultern und Händen niedergelassen. Die träumenden Damen sind beliebt und gefragt beim Publikum, erzählt der Bildhauer, denn: „Wir alle haben hier und da einen Traum, einen Gedanken“.

Ein Bärenaufstand – Teddys erobern Herzen

Ein weiteres „Seelenprojekt“ ist das mit den Bären. Es ist der Plüschbär aus der Kindheit, der hier ein Revival erlebt. Wenn man Kinder frage, was sie später machen wollten, stehe oft das Helfen im Vordergrund. Häufig sei die Antwort „Feuerwehrmann“: „Der Plüschbär, der viele durch die ersten Jahre begleitet, kehrt zurück und erinnert uns an das, was wir uns in frühen Jahren vorgenommen haben, wer wir einmal waren, was wir einmal sein wollten. Welche Pläne sich erfüllt haben und welche nicht.“

Auch beim „Teddies Riot“ ist die Grundidee, Aufmerksamkeit zu erregen, Menschen zum Innehalten zu bewegen. Denn viele Menschen seien mit ihren Alltagsproblemen beschäftigt, sagt Pandea. Den Alltag zu unterbrechen, ist ihm wichtig. Auch mit diesem Projekt möchte er Spender finden – für Kinder und Jugendliche, die einen langen Schulweg haben, auf dem Land leben und deren Werdegang deshalb unsicher ist.

Wie Träume fliegen lernen

Ein Zukunftsgedanke: Kinderskulpturen, die lesen, in Lebensgröße modellieren. Er wolle so für das Lesen werben. Denn nur auf diese Weise ließen sich das Vorstellungsvermögen und die Phantasie von Kindern ausbauen und trainieren. Über das Handy gehe das nicht. „Nur so kann man Träume verfolgen“, sagt Pandea dann.

Die Themen kreisen oft um das Kindliche, die Träume, die Hilfe für den Schwächeren. Das Gespräch neigt sich dem Ende zu. Einträchtige Chormitglieder, elegante Damen, freche Bärchen, lesende Kinder. Diesmal hatten die Figuren Geduld. Aber niemand weiß, was passiert, wenn die Nacht hereinbricht im Atelier von Andrei Pandea. Was geschieht, wenn keiner hinschaut, weiß nur der Künstler selbst.