Dr. Jochen Roose hatte viele Zahlen mitgebracht für seinen Vortrag in der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in Bukarest am 14. November – Diagramme und Schaubilder zu Wählerwanderungen, Einstellungen und politischen Präferenzen. Der Wissenschaftler aus der KAS-Zentrale in Berlin sprach zum Thema „Extremisten in Deutschland im Aufwind“. Ein Titel, den man diese Tage auch für Rumänien verwenden kann.
Der Aufstieg der sogenannten Alternative für Deutschland (AfD) mit ihren Wahlerfolgen auf Bundes- und Länderebene seit 2014 bedeutete eine Zäsur für die deutsche Parteienlandschaft. Aktuell stehen sie in Umfragen im Bund an zweiter Stelle, hinter der CDU und vor der SPD und den Grünen. Dr. Roose und seine Kollegen untersuchten in diesem Kontext, wo die AfD-Wähler eigentlich herkommen. Alle Wahlen seit Antreten der AfD zusammengenommen, ergibt sich folgendes Bild: Etwa die Hälfte der Menschen, die ihre Stimmen der AfD gaben, haben vorher entweder nicht gewählt oder stimmten für Parteien, die unter der 5-Prozent-Hürde blieben. Immerhin 22 Prozent sind ehemalige CDU/CSU-Wähler.
AfD-Anhänger mit gemeinsamen Mindset
Eine weitere Erkenntnis der KAS-Untersuchungen: Einen typischen AfD-Wähler kann man nicht anhand von sozialstrukturellen Merkmalen identifizieren, also etwa Alter, Geschlecht, Bildungsstand oder Einkommen. Allerdings teilen die AfD-Wähler in vielerlei Hinsicht Einstellungen, Ängste, Sorgen, die sich sehr deutlich von denen der Wähler anderer Parteien unterscheiden. So sind AfD-Wähler sehr viel pessimistischer, was die Zukunft angeht, fühlen sich deutlich weniger sicher und haben erheblich geringeres Vertrauen in die demokratischen Institutionen. Populistische Parteien wie die AfD, aber neuerdings auch das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), schaffen es – wenn auch mit anderen Schwerpunkten –, genau diese Gefühle anzusprechen und mit ihrer Rhetorik weiter zu befördern. Eine entscheidende Rolle spielen dabei soziale Medien.
Die zunehmende Identifizierung eines beträchtlichen Teils der Gesellschaft mit der AfD und ihren Ideen führt auf der anderen Seite zu einer starken Ablehnung der Partei und ihrer Wähler. Den KAS-Umfragen zufolge lehnen zwei Drittel der Befragten die AfD „sehr stark“ ab und 56 Prozent wollen keinen Kontakt zu AfD-Wählern haben. Diesbezüglich scheint sich eine Polarisierung der Weltanschauungen zu manifestieren. Ein Großteil der Bevölkerung ist gegen die völkische und vielfach menschenfeindliche Ideologie der AfD bzw. sieht die Partei als Gefahr für ein im Allgemeinen als – die bessere Alternative – empfundenes demokratisches System.
Ökologische Frage spaltet die deutsche Gesellschaft
Das Hauptfeindbild der AfD sind wiederum die Grünen und hier vermischen sich interessanterweise die Konfliktfelder. Zwar haben sich die Grünen vermutlich am sichtbarsten gegen die AfD und für eine humane Migrationspolitik – sozusagen als Antipol – positioniert, doch die ausgeprägte Ablehnung der Grünen (geäußert von knapp einem Drittel der Befragten) geht weit über die AfD hinaus und verfügt noch über eine weitere Dimension. Immerhin 23 Prozent wünschen keinen Kontakt mit Grünen-Wählern. Wenn man sich dann noch vor Augen führt, dass auf Platz zwei und vier der unbeliebtesten Gruppen einerseits „Klimaaktivisten“ (41 Prozent wollen keinen Kontakt) und andererseits „SUV-Fahrer“ (18 Prozent) liegen, wird deutlich, dass in Deutschland offenbar eine weitere Polarisierungslinie entlang von ökologischen Fragen verläuft.
Deutschland liegt mit der zunehmenden Polarisierung im politischen Raum absolut im Trend. In den demokratischen Ländern der Welt nimmt die gegenüber politischen Gegnern gefühlte Ablehnung zu, wie aktuelle Untersuchungen ergeben. Laut einer von „The Economist“ veröffentlichten Studie über 50 Länder war die politische Polarisierung zuletzt am stärksten in Ungarn, gefolgt von USA, Polen und Israel. Auch für Rumänien wurde zwischen Mitte der 1990er und Mitte der 2010er Jahre (neuere Daten gibt es in dieser Studie leider nicht) unter Wählern eine zunehmend negativere Sicht auf die anderen Parteien konstatiert.
Wahlerfolge der extremen Rechten in Rumänien häufen sich
Rumänien hat bekanntlich seit 2020 wieder eine extremistische rechte Partei im Parlament, die sogenannte Allianz für die Einheit der Rumänen (AUR). Es bleibt abzuwarten, wie gut sie bei den anstehenden Parlamentswahlen abschneidet, dies gilt natürlich auch für die extremistische S.O.S. România. Vielfach wurde bereits die Rolle der im Ausland lebenden Rumänen thematisiert, die zuletzt überproportional häufig extremistisch gewählt haben. Am vergangenen Sonntag gewann nun ein als extrem rechts eingestufter Überraschungskandidat, Călin Georgescu (mit AUR-Vergangenheit), die erste Runde der Präsidentschaftswahl. Rechnet man seine Stimmen und die des AUR-Kandidaten George Simion zusammen, kommt man auf fast 37 Prozent der Bürger, die einen extrem rechten Kandidaten gewählt haben.
Über die Motive und Einstellungen dieser Wähler gibt es leider kaum wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse, es fehlen unabhängige Studien und Umfragen, Meinungs- und Sozialforschung wird in Rumänien kaum gefördert, sagt Mihai Marc, Programmkoordinator bei der KAS Rumänien. Die Erklärung sei vermutlich nicht einfach, viele Faktoren seien zu berücksichtigen. Und: „Es ist auch eine unterentwickelte politische Kultur, ein Mangel an Bildung, politisches Desinteresse und die Unfähigkeit, Informationen zu filtern und zu verstehen, die eine Rolle spielen“.
Zwischen EU und neuer „Souveränität“
Ähnlich aufgeladene und gesellschaftsspaltende Diskussionen zu bestimmten inhaltlichen Themen, wie Zuwanderung oder die Energiewende in Deutschland, lassen sich jedenfalls für Rumänien nicht so ohne Weiteres identifizieren. Die Unzufriedenheit mit den etablierten Parteien – vielfach als durchgängig korrupt abgestempelt – scheint ein Hauptfaktor für diejenigen zu sein, die sich Anti-System-Parteien bzw. Kandidaten „von außen“ zuwenden. Eine wachsende Anzahl an Personen ist dabei offensichtlich nicht mehr bereit, das „kleinere Übel“ im Kreis der gemäßigten demokratischen Parteien (denn auch bei deren Wählern ist die Unzufriedenheit häufig groß) zu suchen, sondern bedient sich inzwischen bei den radikalen Optionen.
Wenn wir nach einer Konfliktlinie suchen, in der eine echte Polarisierung der rumänischen Gesellschaft angelegt ist, dann landen wir früher oder später bei dem propagierten Nationalismus der extremen Rechten. Während die einen sich von Simions „Groß-Rumänien“ bzw. Georgescus Legionären und ihrer Rhetorik von Unterdrückern (der Westen, die EU) und Unterdrückten (das rumänische Volk) angezogen fühlen, fühlen sich die anderen genau von diesen Ideen abgestoßen und sehen darin eine Gefahr für die europäische Integration des Landes, von deren positivem Einfluss auf die Gesellschaft und das politische System sie überzeugt sind.