Im Schiller Verlag Hermannstadt ist unlängst ein Buch zum Thema „Schwarzer Tod und Pestabwehr im frühneuzeitlichen Hermannstadt“ erschienen, das sich zwar mit der Welt des 16. Jahrhunderts befasst, aber dennoch Blicke auf unsere heutige Gegenwart freigibt und somit Parallelen zwischen der frühen Neuzeit und dem beginnenden 21. Jahrhundert gestattet.
Wie man sich gegen eine Epidemie wehrt und wie man mit einer Seuche umgeht, beschäftigt die Menschen nicht nur heute, sondern war bereits vor einem halben Jahrtausend ein gravierendes Problem. Dementsprechend lauten Fragen, die im Geleitwort zu dem genannten Buch gestellt werden: „Welche Vorbeugungsmaßnahmen waren damals üblich und vielleicht sogar wirksam? Wie versuchten unsere Vorfahren, die Epidemien einzudämmen und die Erkrankten zu behandeln? Mit welchen Chancen und Ergebnissen?“ (S. 9)
Die Herausgeber dieses lesenswerten Buches, das als sechster Band der Schriftenreihe „Quellen zur Geschichte der Stadt Hermannstadt“ publiziert wurde, sind Robert Offner und Thomas [indilariu. Ersterer ist Mediziner siebenbürgischer Herkunft und derzeit Oberarzt am Universitätsklinikum Regensburg, letzterer ist Historiker und Leiter des Archivs der Honterusgemeinde Kronstadt/Brașov, außerdem seit Anfang Februar Unterstaatssekretär im Departement für Interethnische Beziehungen im Generalsekretariat der Regierung Rumäniens (DRI).
Der Schwarze Tod, wie die Pest im Mittelalter auch genannt wurde, suchte Europa bereits im 14. Jahrhundert heim. Kronstädter Chroniken berichten über Pestfälle in der siebenbürgischen Stadt im Burzenland bereits im Jahre 1338, also noch bevor der Schwarze Tod die ligurische Handelsmetropole und Stadtrepublik Genua erreichte und dann nach und nach ganz Europa unterjochte. Die Auswirkungen der europäischen Pestpandemie zwischen 1346 und 1353 mit 25 Millionen Todesopfern, einem Drittel der damaligen Bevölkerung Europas, waren so gewaltig, dass der österreichische Kulturhistoriker Egon Friedell sogar die These aufstellte, dass das Zeitalter der Renaissance von dieser pandemischen Krise des mittelalterlichen Weltbildes seinen Ausgang nahm.
Siebenbürgen wurde im Laufe der Geschichte von zahlreichen schwerwiegenden Pestepidemien heimgesucht, die von der Mitte des 15. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts in dieser Region wüteten und die auch in vielen urkundlichen Quellen belegt sind. Manche Historiker nehmen sogar an, dass die Pest während dieses langen Zeitraums fast jedes Jahr in Siebenbürgen auftauchte, „nur das Ausmaß der Verwüstung konnte mal geringer, mal größer ausfallen“ (S. 20).
Aus diesem Grunde kam dem Seuchenschutz und der Pestabwehr eine große Bedeutung zu. Wichtig waren dabei nicht nur die Prophylaxe-Ratschläge und die therapeutischen Leistungen der Stadtärzte, sondern auch die gesundheitspolitischen Maßnahmen der städtischen Behörden, die sich von universitären Koryphäen und kirchlichen Autoritäten, oftmals mit gutem Recht, nicht beirren ließen und so sinnvolle und praktikable Schritte unternehmen konnten, um die Pestepidemien einzudämmen oder gar ganz zu verhindern.
Mehrere solcher Pestregimina, wie Seuchenverordnungen jener Zeit auch genannt wurden, sind in dem genannten Buch wiedergegeben, sei es als Faksimiledruck, sei es als bloßer Abdruck des Textes. Es handelt sich um die Pestordnungen der Hermannstädter Stadtärzte Johann Salzmann (1510 und 1521) und Sebastian Pauschner (1530). Auf den Wiederabdruck der Pestordnung des Hermannstädter Stadtarztes Johann Stubing (1561) haben die Herausgeber verzichtet, weil dieses Dokument online als Digitalisat über die Digitale Bibliothek der Bayerischen Staatsbibliothek leicht zugänglich ist. Die entsprechende Internet-Adresse findet sich auf S. 200 des Buches.
Obwohl es ganz zu Anfang des 16. Jahrhunderts in Europa bereits mehr als 250 Druckorte gab, lag keiner davon in Siebenbürgen. Deshalb ließ der Hermannstädter Stadtarzt Johann Salzmann seinen lateinischen Pesttraktat „De praeservatione a pestilentia“ (Von der Bewahrung vor der Pest) im Jahre 1510 in Wien drucken, genauso wie dessen elf Jahre später erschienene deutsche Fassung „Ein nutzliche ordnung und regiment wider die Pestilenz“, in der sich der Mediziner rückblickend selbst lobt, und das wohl mit Fug und Recht: „Im jar. 1510. Gelebet nach solchem meynem rad/dye vermertest Stat in Siebenbürgen/genand die Hermanstat/ward gantz behuet/dz khain mensch in disem lauff siech ward. So doch all ander umbligund Stett und Märckt/die solcher ordnung nit phlegten/mit der pestilentz graussamlich beschwärt warden.“ (S. 129) Weil also Hermannstadt im Jahre 1510 auf den stadtärztlichen Rat gehört hat, wurde kein Mensch im Laufe dieser Pestepidemie krank, wohingegen alle anderen umliegenden Städte und Märkte, die sich nach dieser Verordnung nicht gerichtet haben, von der Pest auf grausame Weise heimgesucht wurden.
Der Stadtarzt Sebastian Pauschner konnte sein Pestregimen aus dem Jahre 1530 bereits in Hermannstadt drucken, nachdem Lucas Trapoldner dort fünf Jahre zuvor die erste Druckerei in Siebenbürgen eröffnet hatte. Pauschners Pestordnung mit dem Titel „Eine kleine Unterrichtunge: Wie Mann sich halten Soll, In der Zeidt, der ungütigen Pestilentz“ ist in dem vorliegenden Buch in der Form abgedruckt, wie sie 1910 im „Archiv für Geschichte der Medizin“ erschien, einer deutschen wissenschaftlichen Zeitschrift, die es heute unter dem Namen „Sudhoffs Archiv“ immer noch gibt. Pauschners Pestordnung endet mit einer Anrufung Gottes, des „Gesundtmachers aller kranckheidt“, in der typographischen Form einer Sanduhr (S. 197), die, wie später in barocken Figurengedichten, an die Vergänglichkeit des menschlichen Leibes erinnern sollte.
Das vorliegende Buch ist nicht nur wegen der getreuen Wiedergabe von historischen Originaldokumenten besonders wertvoll, sondern besticht vor allem auch durch die gelehrten und informativen Aufsätze, die diesen Band begleiten. Der deutsche Medizinhistoriker Klaus Bergdolt gibt einen Überblick über ärztliche Pesttheorien im Lauf der Jahrhunderte (S. 11-17), der ungarische Medizinhistoriker László András Magyar informiert über Pestepidemien in Siebenbürgen (S. 19-32) und der Mitherausgeber Robert Offner gibt eine substantielle Einführung (S. 33-62) in die Pestordnungen der Hermannstädter Stadtärzte Johann Salzmann, Sebastian Pauschner und Johann Stubing, wobei er nicht nur ausführliche historische Informationen über das Leben der drei genannten Mediziner des 16. Jahrhunderts darbietet, sondern auch detailliert über einzelne Maßnahmen berichtet, die von den genannten Stadtärzten verordnet wurden und teilweise recht streng waren. So befahl die Hermannstädter Obrigkeit im Jahre 1510 auf Salzmanns Rat hin beispielsweise, dass aus jedem Haus nur ein einziger Mensch herausgehen dürfe, um alle Bewohner des Hauses mit dem Notwendigsten zu versorgen, während alle übrigen Hausbewohner, insbesondere die Kinder, in ihren Gemächern zu verbleiben hätten, darin sie ständig zur Desinfizierung Rauch machen sollten.
Das Urteil Robert Offners über die Pestprophylaxe im Hermannstadt des 16. Jahrhunderts spricht für sich: „Die Stadt am Zibin in Südsiebenbürgen liefert ein Beispiel dafür, wie konsequente kommunale Sorgfalt, entschlossenes politisches Handeln und Fürsorge zu Seuchenzeiten organisiert, propagiert und letztlich erfolgreich umgesetzt werden können, wenn alle Beteiligten am selben Strang ziehen und nicht verzagen, selbst wenn die Maßnahmen von der gesamten Gesellschaft zum Teil unangenehme Einschränkungen und schmerzliche Opfer fordern. Dies alles gilt nun, fünf Jahrhunderte später, gleichermaßen auch in der aktuellen Coronavirus-Pandemie.“ (S. 62)