Rumäniens ländliches Bild ist voller Schönheit, aber auch voller Herausforderungen. Unter dem Motto Geschichte, Tradition und Kultur hat die Michael und Veronika Schmidt Stiftung zum 12. Mal zur Veranstaltungsreihe Haferland eingeladen. Tausende Gäste aus nah und fern hatten die Möglichkeit, vom 8. bis 11. Augst einzigartige kulturelle Erlebnisse zu genießen - von Besichtigungen der Kirchenburgen über Konzerte, Führungen, mittelalterliche Wettkämpfe bis hin zu Tanzvorführungen und vielem mehr. Das Festival hat in zehn Dörfern der als Haferland bekannten Region stattgefunden: Arkeden, Keisd, Hamruden, Reps, Deutsch-Kreuz, Radeln, Meschendorf, Klosdorf., Bodendorf und Deutsch-Weißkirch. Am Samstag, dem 10. August, besuchten wir anlässlich der Haferlandwoche Bodendorf, Radeln und Deutsch-Kreuz.
Ein Vorbild für Gemeinschaftssinn
In Bodendorf bewundern wir die Fotografieausstellung von Alexander Kloos Pilgerreise durch die Kirchenburgenlandschaft. Sie veranschaulicht eine Welt der Kontraste: ein mit Stuckatur verziertes Haus, das einmal strahlend blau war, nun mit verwischter Fassade und verriegelten hölzernen Fensterläden, ein Bild von einem alten Gesangbuch, das offen in einer verlassenen Kirche vergessen wurde, von Reif bedeckte Felder, wo nur noch ein Hirte mit wenigen Schafen vorbeizieht, ein Pferdewagen an einer Tankstelle. Daneben stehen Fotos von Projekten der Kirchenburgen e.V. Andrew Noble, ehemaliger Botschafter Großbritanniens in Rumänien und nun Mitglied im Vorstand der M&V Schmidt Stiftung, sprach das Grußwort seitens der Organisatoren aus und betonte dass man aus der Vergangenheit Nutzen ziehen muss zum Wohle derer, die jetzt hier leben und dass die Besucher viel für die Zukunft der Region tun können. Laut Noble sei die Kluft zwischen den Großstädten in Siebenbürgen und der ländlichen Gegend sehr groß. Er gab die Statistiken an: fast 2 Millionen Menschen in Rumänien leben laut UNICEF-Zahlen von weniger als 2 Dollar pro Tag, wobei das Bruttoinlandsprodukt pro Person Kroatien, Ungarn und Griechenland überholt hat. Rumänien hätte also ausreichend Geld, doch die ländliche Bevölkerung hat nichts davon und braucht Hilfe. Die Haferland-Woche, die in Dörfern stattfindet, stellt der städtischen Bevölkerung Aspekte des Erfolgs zur Verfügung: ein Erfolg, den die Menschen hier aus eigener Kraft erreicht haben. Was die deutsche Gemeinde hier also wieder beiträgt, ist ein Vorbild für Rumänen überall - ein Vorbild für Gemeinschaftssinn und Wohlwollen, für Sittlichkeit und für das Weitergeben von Kultur und Werten.
„Es ist an der Zeit, miteinander zu leben!“
Dass mittels des Festivals die Gegenwart und Zukunft dieser Region angesprochen wird, betonte auch Bernd Fabritius, indem er sein Grußwort seitens der BdV – die Vereinigten Landsmannschaften und Landesverbände e.V. auf Rumänisch formulierte – um sich an den einladenden Charakter der Veranstaltungen anzupassen. Das große Publikum, unabhängig von Nation oder Hintergrund, soll sich zur Kultur, Tradition und Geschichte der Siebenbürger Sachsen im Haferland eingeladen und willkommen geheißen fühlen. Er betonte unter anderem: „Wir haben viel zu viel Zeit nebeneinander verbracht. Es ist an der Zeit, miteinander zu leben!“ Von einem Miteinander sprach auch der Bürgermeister Bodendorfs, Mircea Pălășan. Er hofft, dass sich dank des Festes unter den Ausgewanderten herumsprechen wird, dass alle wieder zu Hause erwartet werden. In wertvollen Trachten gekleidet, beherzt im Rhythmus der Musik schreitend, trat die Tanzgruppe Kulturwerk Bayern vor dem Publikum auf. Werner Kloos, Vorsitzender des Landesverbandes Bayern, sprach von dem Stolz, an dieser Veranstaltung teilzunehmen. „Für uns Siebenbürger Sachsen ist es etwas ganz Besonderes, in so einem Kirchhof zu tanzen und dafür spreche ich ganz herzlichen Dank aus. ... Wir wollten, das, was wir hier in Siebenbürgen gelebt, was wir mitbekommen haben, was wir hier getragen haben.. wieder hier aufleben lassen. ... Darauf sind wir stolz!“
Traditionen wieder beleben
Anschließend besuchen wir in Deutsch Kreuz den Workshop „Redende Blumen – Flechten von Pflanzengeschichten“. Valentina Andrei, die den Workshop leitet, erklärt, wie die Naturelemente zusammen agieren, um jeder Blume ihre Eigenartigkeit zu verleihen. Die Teilnehmer pressen die frisch gepflückten Pflanzen auf weißen Stoff, um daraus Taschen oder originelle Gemälde herzustellen. Auch der Verein Mândra Chic organisierte in Bodendorf einen Workshop mit Webinstrumenten und in Deutsch-Kreuz einen für Spitzen. Die Handarbeiten der beiden Kulturen im Gebiet sind heute stark miteinander verknüpft, zum Beispiel gehören geometrische Motive und dunklere Töne nicht nur den Rumänen und florale Muster mit hellen Farben findet man nicht ausschließlich bei den Sachsen. Auch bei Manuela Ivans Workshop für Bemalen von Holzscheiben geht es lustig zu. Die Kinder werden durchs Dorf geschickt, um dort gemalte Möbelstücke ausfindig zu machen. Man erfährt bei ihrem Workshop, dass die bemalten Holzelemente erstens in den evangelischen Kirchen zu finden sind und dann in den Haushalt übernommen wurden. Alle Workshops sprechen einen ganz konkreten Aspekt der siebenbürgischen Landschaft an, die sie überhaupt so einzigartig macht – den Eklektizismus und Synkretismus; die Tatsache, dass die Völker hier nicht nur nebeneinander, sondern klar auch miteinander gelebt haben.
Projekte für Gegenwart und Zukunft
Bei einem Dorfrundgang durch Radeln begegnen wir einem Mann, der siebenbürgisch-sächsische Tracht trägt. Er ist vor einigen Monaten in sein Heimatdorf zurückgekehrt und beschäftigt sich im Bauwesen und mit der Bio-Bienenzucht. Er erzählt von heute und gestern: Man erfährt von der alten wasserbetriebenen und später elektrischen Mühle, der damaligen und der heutigen Schule, dem sächsischen Friedhof, der Schmiedewerkstatt, dem Kindergarten und von dem Sägewerk, und den durch die Kollektivierung errichteten Gemüsegärten. Es wird über das Pfarrhaus, das Peter Maffays Tabaluga-Stiftung unterbringt, oder über Prinz Charles´ Einfluss in der Region gesprochen. Auf dem Weg nach Deutsch-Kreuz erfahren wir von den Projekten der M&V Schmidt Stiftung, die hier drei Ferienhäuser verwaltet, darunter das Krauss-Haus, das ehemalige Pfarrhaus des Dorfes, das demnächst sein zehnjähriges Jubiläum feiert. Laut Veronika Schmidt ist das Programm, das das Krauss-Haus für die Dorfkinder bietet, mehr als nur eine After-School. Es soll den Kindern die Chance geben, aus ihrem Milieu herauszukommen und sich ein besseres Leben vorstellen zu können.
In Deutsch-Kreuz finden die Veranstaltungen ihren Ausklang. Vor einigen Stunden hat die sächsische Blaskapelle Original Karpaten-Express gespielt. Frau Sofia Folberth war anwesend, hat getanzt und erzählt, dass sie im Jahr 1944 als 22-Jährige unter demselben Baum getanzt hat. Bis spät in den Nachmittag waren einige Gäste zum privaten Ereignis eingeladen, das im Krauss-Haus stattgefunden hat, andere haben Hanklich gegessen und sich mit der Theateraufführung von La Strada amüsiert. Kinder und Erwachsene haben gewerkelt, gespitzt, Pflanzen gepresst und Holz mit traditionellen Blumenmotiven bemalt. Nun ist das Areal fast leer. Die meisten Menschen haben sich in die Wehrkirche zurückgezogen, um am nächsten Programmpunkt teilzunehmen – dem Kirchenkonzert. Die anderen bereiten sich für den sächsischen Ball mit der Band „High Life“ vor.
Jede Geschichte im Herzen erleben
Neben der Kirchenburg steht ein kleiner Brunnen – weiß und frisch gestrichen, mit dem alten hölzernen Deckel drauf. Kommt hier noch jemand, um Wasser zu holen und ist das Wasser überhaupt trinkbar? Wird der Brunnen noch benutzt, oder ist er nur als Artefakt Teil des historischen Ensembles? Die schwierige Frage rund um das künstliche Bewahren von Traditionen stellt sich, wohin man nur blickt. Es ist eine sehr feine, oft aus einer sehr persönlichen Perspektive vernommene Linie, zwischen Konservierung und dem nicht artgerechten Umgang – ein oft debattiertes Thema, das so alt ist wie die erste Zivilisation selbst.Das Bestehen der Siebenbürger Sachsen ist eine Biographie, die gelesen werden sollte, vor allem aber als verantwortungsbewusster Zeuge miterlebt werden sollte – das gibt ihr den Sinn, den jedes Leben braucht - die Wertschätzung, die ein so wichtiger Teil der eigenen Landeskultur verdient. Dr. Daniel Zikeli, der Bischofsvikar der Evangelischen Kirche A. B. erwähnte in einem Interview für den Rumänischen Fernsehsender TVR anlässlich der 12. Auflage der Haferlandwoche, dass jede Geschichte gelebt werden muss, aber auch, dass jede Geschichte nur im Herzen erlebt werden kann. Er verwies dann auf die berühmte Idee, dass das Wesentliche überhaupt nur mit dem Herzen gesehen und erkannt werden kann. Die Abendsonne kennt die Kirchenburg sehr gut. Sie lässt sie golden aufleuchten – der Tag war ereignisvoll und begegnungsreich. Man möchte nur schwer das Dorf verlassen und verspricht sich das Wiederkommen. Spätestens bei der nächsten Haferlandwoche.