Johann Sebastian Bach, Wolfgang Amadeus Mozart, Duke Ellington und Louis Armstrong in ein und demselben Konzert, das außerdem nicht mit Klängen zwecks Erinnerung an Taragot-Maestro Dumitru Fărcaș spart? Doch, das glückt wunderbar, wenn man wie Mitte Juli in der evangelischen Kirche Michelsberg/Cisn²dioara um die Ecke bei Hermannstadt/Sibiu weit gereisten Berufsmusikern lauscht, die den Wechsel zwischen unterschiedlichsten Epochen und Spielarten stufenlos zum Klingen bringen. Nils Arne Helgerød, Ulf Nilsen und Georg Reiss haben vor wenigen Wochen mit ihren Ehepartnerinnen das im Kontrast zu Norwegen mehr als zehn Grad Celsius wärmere Siebenbürgen erlebt und trotz lähmender Rekordhitze einer Kultur nachgespürt, die sie schwer wieder vergessen werden. Ulf Nilsen hat leider die lange Fahrt ohne seine Geige angetreten, doch lässt sich auf seinem Facebook-Account die ein oder andere Hörprobe genau der „Spezialität“ bewundern, wovon er im Antworten auf die letzte der folgenden Fragen von Klaus Philippi schwärmt. In Michelsberg taten die Stimme von Nils Arne Helgerød und das Taragot-Timbre von Georg Reiss ihr Übriges.
Es ist so heiß wie schon lange nicht mehr in Siebenbürgen, 36 bis 37 Grad Celsius im Schatten, und zwar über einen Zeitraum von mehr als bloß einer Woche und noch dazu ausgerechnet während eurer Reise aus Norwegen hierher! Warum lohnen Siebenbürgen und Rumänien trotzdem das Erlebnis?
Ulf Nilsen: Ich mag einfach die Menschen. Besonders die, mit denen wir nach dem Konzert ins Gespräch gekommen sind, die uns einen etwas näheren Kontakt zur Region knüpfen geholfen haben. Damit wir nicht wie gewöhnliche Touristen von auswärts durch die Lande fahren und uns mit ständigem Genießen begnügen.
Georg Reiss: Mich beeindrucken sehr die Landschaft, die Natur, die Berge. Wir haben einige Tage in den Westkarpaten/Mun]ii Apuseni verbracht und das Kloster Râmeț bewundert. Natürlich interessiert mich rumänische Volksmusik, obwohl ich leider bis Schluss unseres Aufenthalts hier kaum welche gehört haben werde…
Ulf Nilsen: ...aber vielleicht wird heute Abend etwas draus, wo wir von der Kulturscheune Hammersdorf (Șura Culturală Gușterița) zu einer balkanisch-norwegischen Jam-Session mit drei Musikern auf Akkordeon, Saxophon und der typisch rumänischen Flöte „caval“ eingeladen sind, oder?
Georg Reiss: Also dürfte es heute endlich doch soweit sein!
Nils Arne Helgerød: Die Landschaft ist wunderschön, wirklich, das wollte ich auch betonen. Was mir vorab über die Region berichtet wurde, stimmt wirklich: alle Leute hier sind sehr, sehr freundlich.
Und was für Überraschungen hat eure Vorkenntnis von Land und Leuten nicht ausschließen können?
Nils Arne Helgerød: Alles ist so sauber und einwandfrei hergerichtet. Na ja, nicht tatsächlich überall, aber die Leute kümmern sich, man findet keinen Müll auf den Straßen. Sie sind sehr sauber, besonders im Vergleich zu Italien, wo ich häufig anderes vorgefunden habe.
Ulf Nilsen: Ganz ohne Vorurteile sind wir wohl auch nicht hierher gekommen, um ehrlich zu sein.
Georg Reiss: Oder sind wir einfach in einem Vorzeige-Gebiet zu Gast (lacht ein wenig), wo Bukarest bei uns wahrscheinlich nicht gerade denselben Eindruck hinterlassen würde.
Es kommt eben auf das Viertel an, das man sich vornimmt. Auch bei uns in Rumänien wollen Reiseziele mit Bedacht gewählt sein. Nach Michelsberg jedenfalls habt ihr eine Premiere gebracht, so feinen Crossover hat in der evangelischen, in der siebenbürgisch-sächsischen Dorfkirche hier noch nie jemand zuvor gespielt und gesungen. Wann und wie habt ihr daheim in Norwegen zu dieser Stilrichtung gefunden?
Georg Reiss: Mein erstes Musikinstrument als Kind war das Klavier, und zwar in der klassischsten Art, darauf spielen zu lernen. Mit 12, 13 Jahren kam Interesse am Jazz auf, einer meiner Freunde spielte auch Klavier, doch Platz für zwei daran gab es nicht im Ensemble, und so musste ein anderes Instrument her. Ich entschied mich zur Klarinette, mit der sowohl Klassik als auch Jazz möglich ist. Und weil sie den Weg zum Saxophon öffnet. Also wusste ich schon früh, dass bei mir später nichts ohne Crossover gehen sollte. Trotzdem habe ich an der Norwegischen Musikhochschule Oslo Klarinette für den Beruf Orchestermusiker studiert. Jazz gelernt habe ich niemals, das Interesse daran jedoch war immer wach. Durch das Hören von Bands, von Aufnahmen und das Selber-Spielen habe ich leicht den Zugang zur Jazz-Szene gefunden. Mit dem Folk, der Jahre später dazukam, war es genauso. Klezmer selbstverständlich und Roma-Musik habe ich mir gleichfalls so erarbeitet. In Norwegen bin ich Band-Mitglied mit Fokus auf Roma-Musik aus Ungarn und teils Rumänien. Stehen Konzerte an, kommt immer einer der besten Hackbrett-Spieler Budapests extra dazu angereist. In Budapest bin ich schon oft gewesen, Rumänien dagegen erlebe ich gerade zum ersten Mal.
Was braucht man für das Lernen solcher Musik, die auf ihre Art sehr anspruchsvoll ist?
Georg Reiss: Nach Noten läuft da gar nichts, weder im Jazz noch im Folk. Anfangs habe ich viel Musik hören müssen, um zu verstehen, was nur durch Hören verstanden werden kann, und irgendwann war die Zeit reif zum Reisen nach Budapest, wo wir Roma-Bands beim Proben zuschauten und einige ihrer Musiker uns Unterricht gaben. Heute, nach 30 Jahren, kennen wir einander sehr gut und fühlen uns unterwegs am jeweils anderen Ort stets willkommen. Dazulernen kann man von ihnen nach wie vor jede Menge.
Womit behandelt ihr den Stoff der Folksongs eurer norwegischen Heimat?
Nils Arne Helgerød: Es gibt auch religiöse Folksongs, und die haben in Kirchenkonzerten natürlich Vorrang. Ich habe klassischen Gesang studiert, aber auch bekannte norwegische Folk-Sänger konsultiert. Und ich meine, dass unsere Taktik als Trio etwas Pä-dagogisches hat, denn wer in einem Konzert nur Volkslieder oder nur Klassik aufführt, fördert die Ermüdung seines Publikums. Die Mischung aus beidem dafür macht die Leute glücklich.
Wie viele gedruckte Noten und wie viel Hören setzt Liedgut-Pflege in Norwegen voraus?
Nils Arne Helgerød: Zuhören an erster Stelle, aber auch zahlreiche Noten, ja. Ursprünglich sind all diese religiösen Folksongs Psalm-Gesänge.
Ulf Nilsen: Bedeutend, dass sie in den Gesangbüchern festgehalten sind. Unser Michelsberger Konzert haben wir mit dem ersten Lied aus dem Gesangbuch der lutherischen Kirche Norwegens eröffnet.
Nils Arne Helgerød: Nur dass eben diese Lieder in der Kirche strikt abgesungen werden. Mir kommt es darauf an, sie von der Starrheit zu befreien, sie sollen viel mehr Spaß machen (lacht genüsslich)!
Georg Reiss: Sowieso ist es schwierig, sie aufzuschreiben, weil sie mit weit mehr als nur Halbton- und Ganztonschritten spielen.
Ulf Nilsen: In Norwegen ist die Tradition des Singens solcher Weisen in unverfälschter Überlieferung noch sehr lebendig und inspirierend.
Nils Arne Helgerød: In Konzerten machen wir es häufig so, dass wir zum Beispiel ganz streng Schubert oder Schumann musizieren, um ihre Stücke anschließend mit Feingefühl in gewollt radikal andere Richtungen zu erweitern, mit denen sie aber trotzdem kombiniert werden und etwas gemein haben können. Ohne Zusammenspiel von Klassik, Folk, Jazz und Pop kein Crossover.
Erzählt doch bitte auch von eurer Stärke im Improvisieren!
Ulf Nilsen: Als Improvisator war ich von Anfang an Autodidakt. Zwar habe ich einige Stunden Unterricht darin genommen, nur leider nichts dabei gelernt (sofort bestätigendes Lachen auch der zwei Trio-Kollegen).
Georg Reiss: Es kommt wie das Lernen einer Fremdsprache durch Zuhören, und jeder Stil hat seine eigenen Anforderungen. In der Roma-Musik beispielsweise ist Improvisation wichtiger als vieles andere, besonders für die Klarinette.
„Wer weiß, was er nicht will, weiß schon sehr viel“, hat Thomas Gansch in einem Fernsehinterview als Trompeter und Leader der österreichischen Cross-over-Band „Mnozil Brass“ betreffend seine eigene Ausbildung behauptet.
Georg Reiss: Und die Kunst des Klauens von Ideen ist gefragt.
Nils Arne Helgerød: Mozart etwa hat es oft auch so gemacht, ja.
Was sagt euch unterwegs bei uns der Kontrast zwischen Bildern wie sauberste Straßen oder neue Immobilien in bestem Zustand und weniger schönen Eindrücken wie einstürzende oder ganz in sich zusammengefallene alte Häuser?
Nils Arne Helgerød: So einen Kontrast haben wir auch in Norwegen, nur nicht gerade in einem Maßstab wie hier...
Georg Reiss: ...wo es einen Zusammenhang zwischen Gebäuden in sehr schlechtem Zustand und Roma-Gemeinschaften geben muss, die meist in vermutlich ärmsten Konditionen leben. In Norwegen ist es der Winter, der dazu zwingt, sehr fest zu bauen.
Nils Arne Helgerød: Gelegentlich stürzen alte Häuser dennoch unter der Schneelast ein.
Georg Reiss: Besonders im Dörflichen, wo Häuser aus Holz gebaut werden.
Ulf Nilsen, seit wann und wie kommst du als Musiker mit dem Blindsein auf beiden Augen zurecht?
Ulf Nilsen: Ich wurde blind geboren. Mein erster Musiklehrer war selber stark sehbehindert und konnte mir die Braille-Notenschrift beibringen. Das hat von Beginn an wunderbar funktioniert, auch wenn es nicht immer ganz einfach war, an Noten in Braille-Schrift heranzukommen. Heute dafür sind sie schon viel leichter zu haben. Als Kind und Jugendlicher dafür hat es die Richtung meiner Musik bestimmt, ich musste einfach dort stöbern, wo es Materialien in der Braille-Schrift gab.
Georg Reiss: Unterdessen braucht er sie gar nicht mehr. Schon nach nur einem Hören eines klassischen Stücks spielt er Akkord-Folgen und Phrasen perfekt nach. Sein Gedächtnis ist unglaublich.
Ulf Nilsen: Stimmt, das Gedächtnis war immer schon meine Stärke. Aber ich könnte nie eine Schubert-Sonate ausschließlich über das Zuhören lernen.
Georg Reiss: Außerdem liebt er es, seine Zuhörer in Konzerten nach vier oder fünf ihrer Lieblings-Hits aus der Klassik, dem Jazz, dem Pop oder dem Folk zu fragen, um sie miteinander zu mischen…
Nils Arne Helgerød: ...und man kann ihn problemlos bitten, alles im Stil von Brahms oder Mozart zu improvisieren. Ein toller Kerl!
Georg Reiss: Nicht zu vergessen das Violine-Spielen und Sich-Selbst-Begleiten mit den Füßen auf dem Orgel-Pedal!
Ulf Nilsen: Eine Spezialität von mir. Wie ein Schüler von Dieterich Buxtehude, Nicolaus Bruhns, der das tat und wegen dem auch ich beides gleichzeitig spiele. Nur dass ich ohne meine Geige hierher nach Siebenbürgen gereist bin und es nicht vorführen konnte.