Temeswarer Berufungsgericht warnt vor Auswirkungen geplanter Justizreformen

Banater Gerichte vor dem Kollaps / 2131 Fälle pro Jahr und Richter in Großsanktnikolaus

Temeswar (ADZ) – Das Temeswarer Berufungsgericht hat angesichts bevorstehender Gesetzesänderungen im Justizwesen eindringlich auf die bereits angespannte Lage innerhalb seines Zuständigkeitsbereichs hingewiesen. In einer am Mittwoch veröffentlichten Erklärung verweist Gerichtspräsidentin Maria Cristina Dica auf personelle Engpässe, eine stetig sinkende Pensionierungsgrenze und eine übermäßige Belastung der Richterinnen und Richter.

Derzeit erfüllen 45 von 294 aktiven Richtern im Sprengel des Berufungsgerichts (das sind die Kreise Arad, Temesch und Karasch-Severin) die gesetzlichen Voraussetzungen für den Ruhestand – ein signifikanter Anteil. Besonders betroffen sei das Kreisgericht Karasch-Severin, wo 10 der 12 derzeit tätigen Richter noch in diesem Jahr ausscheiden könnten (die ADZ berichtete). Laut Gericht war in stabilen Zeiten zwischen 2010 und 2016 durchschnittlich nur mit drei Pensionierungsanträgen pro Jahr zu rechnen. Seit 2017 ist diese Zahl deutlich gestiegen – im Jahr 2022 wurde ein Höchststand von 38 Anträgen verzeichnet. Auch beim Kreisgericht Arad sei ein ähnlicher Trend zu beobachten: Lag das durchschnittliche Pensionsalter dort 2010 noch bei 60 Jahren und 2016 bei 62 Jahren, sank es bis 2022 infolge rechtlicher Unsicherheiten auf nur noch rund 53,5 Jahre.

Neben der sinkenden Personaldecke sieht sich die Justiz mit wachsender Arbeitsbelastung konfrontiert. Am Kreisgericht Temesch etwa bearbeite jeder Richter und jeder Gerichtsbedienstete jährlich etwa 1000 Fälle – umgerechnet etwa fünf komplexe Verfahren pro Arbeitstag. Für die sorgfältige Bearbeitung jedes einzelnen Falls blieben rechnerisch weniger als zwei Stunden. Diese Realität zwinge das Justizpersonal systematisch zur Arbeit über das reguläre Maß hinaus, so die Gerichtsleitung.

Ein besonders hohes Fallaufkommen verzeichnen laut Mitteilung auch die Amtsgerichte im Sprengel: In Reschitza lag die Belastung 2024 bei rund 1781 Fällen pro Richter, in Detta/Deta bei 2124, in Großsanktnikolaus/Sânnicolau Mare sogar bei 2131 – dem höchsten Wert im gesamten Zuständigkeitsbereich.

Trotz dieser Herausforderungen lag die Verfahrensabschlussquote im Sprengel bei über 90 Prozent – ein Zeichen hoher Effizienz unter widrigen Umständen. Auch die öffentliche Wahrnehmung der Justizarbeit sei überwiegend positiv, wie aktuelle Befragungen zeigten.

Das Temeswarer Berufungsgericht sicherte dem Obersten Magistraturrat (CSM) seine Unterstützung zu im Kampf gegen Desinformation, für eine realitätsgetreue Darstellung der Justizlage und für einen ehrlichen Dialog mit gesetzgebenden Institutionen. Die Justiz wolle gemeinsam mit anderen betroffenen Berufsgruppen zur Stabilität und Transparenz im Gesetzgebungsprozess beitragen, betonte Gerichtspräsidentin Dica.

Im Zuständigkeitsbereich des Temeswarer Berufungsgerichts bestehen Amtsgerichte in Arad, Lippa/Lipova, Chișineu-Criș, Ineu und Gurahonț (Kreis Arad), Reschitza, Karansebesch/Caransebeș, Orawitza/Oravița und Neumoldowa/Moldova Nouă (Kreis Karasch-Severin) sowie in Temeswar, Lugosch/Lugoj, Großsanktnikolaus, Detta und Fatschet/Făget (Kreis Temesch). Hinzu kommen die Kreisgerichte in den Kreisstädten.

Bereits vorige Woche waren die Präsidentinnen und Präsidenten der 16 Berufungsgerichte in Temeswar zusammengekommen, um Stellung in der gegenwärtigen Diskussion über die Sonderrenten der Justizangestellten zu nehmen. In ihrer Mitteilung haben sie scharf gegen die zunehmenden öffentlichen Angriffe auf die Justiz protestiert. Der Ton der Debatte sei zunehmend manipulativ, populistisch und von Desinformation geprägt – mit ernsten Folgen für das Vertrauen in die Justiz und das Grundrecht auf ein faires Verfahren, hieß es.

In dem Schreiben kritisieren die Gerichtsleitungen, dass Richterinnen und Richter zunehmend zur Zielscheibe für politische Schuldzuweisungen gemacht würden, insbesondere für Defizite auf legislativer oder administrativer Ebene. Ein Staat, in dem die Justiz kontinuierlich angegriffen und öffentlich diskreditiert werde, laufe Gefahr, die Gewaltenteilung zu untergraben. In der Konsequenz drohe eine geschwächte Justiz, die Bürger vor staatlichen Übergriffen nicht mehr schützen könne.

Besonders besorgt zeigen sich die Präsidentinnen und Präsidenten der Berufungsgerichte über die jüngste politische Debatte rund um das Pensionsalter von Richterinnen und Richtern. Premierminister Ilie Bolojan hatte mehrfach behauptet, die meisten Richter würden sich bereits mit 48 Jahren pensionieren lassen. Dies sei „falsch und irreführend“, so die Gerichte. Während seiner Zeit als amtierender Staatspräsident habe Bolojan lediglich fünf von 37 Pensionierungen in dieser Altersgruppe unterzeichnet. Die durchschnittliche Pensionierung erfolge in der Regel im Alter von 54 Jahren – ein Wert vergleichbar mit anderen Berufsgruppen im öffentlichen Dienst mit besonderer Belastung. Zudem sei mit der Gesetzesreform 2022 die gesetzliche Altersgrenze für den Ruhestand bereits auf 60 Jahre angehoben worden, mit schrittweiser Umsetzung gemäß einem von der Verfassungsgerichtsbarkeit bestätigten Zeitplan. Die neuerliche Politisierung des Themas führe zu einem „erneuten Vertrauensbruch“ und einem weiteren Anstieg der Rücktrittsgesuche erfahrener Richter.

Auch die verbreitete Behauptung, Richter würden „hunderttausende Euro im Jahr“ verdienen, sei unzutreffend. Die Besoldung richte sich nach festen Kriterien, steige mit Berufserfahrung und Verantwortung und entspreche vergleichbaren öffentlichen Funktionen. So erhielten Richter am Amtsgericht rund 11.900 Lei monatlich, Richter am Kreisgericht 18.504 Lei, während Berufungsrichter bei 20.902 Lei und Richter am Obersten Kassationsgericht bei rund 27.252 Lei monatlich liegen – Summen, die weder übertrieben noch unangemessen seien, insbesondere im Kontext der hohen Belastungen und strengen Einschränkungen, denen Richter unterliegen.

Die Arbeitsbelastung in der rumänischen Justiz sei dramatisch gestiegen, so die Mitteilung weiter. Im Jahr 2024 betrug die durchschnittliche Fallzahl pro Richter an Amtsgerichten 1519, an Kreisgerichten 982 und an Berufungsgerichten 606 Fälle.

Diese Belastung liege ein Vielfaches über dem europäischen Durchschnitt. Die Arbeitszeit überschreite routinemäßig das übliche Maß, ohne dass Überstunden ausgeglichen würden. Auch die physischen und psychischen Belastungen seien erheblich: Neben chronischer Überlastung litten Richter unter Stress, gesundheitlichen Risiken am Arbeitsplatz und sozialer Isolation. Eine Diskussion über längere Lebensarbeitszeiten müsse deshalb zwingend mit Maßnahmen zur Entlastung korrespondieren.

Die Berufungsgerichtsvorsitzenden kündigten an, künftig regelmäßig über die tatsächliche Lage der Justiz – Arbeitsvolumen, Personalstand, Infrastruktur und Herausforderungen – zu informieren. Die richterliche Unabhängigkeit sei kein Privileg der Richter, sondern ein fundamentaler Schutzmechanismus der Bürger. Sie müsse gemeinsam von Justiz und Gesellschaft verteidigt werden. Schweigen sei in diesem Kontext keine Option, sondern gefährlich.