Ion Ghica – einer der großen Namen in der Geschichte Rumäniens: Bojarensohn, Mathematiker, Bergbauingenieur, Universitätsprofessor, Schriftsteller und Diplomat, dreimal kurz Premier – (1866, 1866/67, 1870/71) und einmal Außenminister, Gouverneur der Insel Samos als Vertreter des Osmanischen Hofes, von Sultan Abdul-Medjid sogar zum Prinzen (Bei) der Insel erhoben. Präsident der Rumänischen Akademie und Direktor des Nationaltheaters, bekannt als Patriot, doch verbrachte er einen großen Teil seines Lebens im Ausland: zehn Jahre in der Türkei, neun in London. Zentrum seines gesellschaftlichen und politischen Lebens in der Heimat war die Familienresidenz in seinem Geburtsort Ghergani, auf dem freien Feld in den Überresten des einst dichten Vlăsiei-Hochwaldes gelegen, auf etwa gleicher Strecke zwischen Bukarest und Târgovişte. Um den denkmalgeschützten Komplex aus Palast, Kapelle und Park und dessen geplante Wiedereinführung in die Öffentlichkeit drehte sich die Konferenzdebatte im Kulturhaus „Friedrich Schiller“ am 25. August. Die Kunsthistorikerin, Forscherin und Leiterin der Abteilung für visuelle Kunst und Architektur des zur Rumänischen Akademie gehörigen Instituts für Kunstgeschichte „George Oprescu“, Ruxanda Beldiman, präsentierte Einblicke in das Leben der Familie Ghica, Etappen des Palasts zwischen Blüte, Verfall und Rekonstruktion – und lädt für den 11. September zu einer Führung durch das öffentlich nicht zugängliche Anwesen ein.
Stätte der Kultur
Eine umfassende Bibliothek, zwei Klaviere, Vitrinen mit griechischen und römischen Exponaten – so ungefähr muss man sich das Heim von Ion und Alexandrina Ghica (geb. Mavros) vorstellen, in dem das rumänische Bojarentum, Künstler und Schriftsteller, führende heimische und europäische Politiker ein- und ausgingen: Ghicas Jugendfreund Vasile Alecsandri etwa, den er vom Studium an der Pariser Sorbonne her kannte; der Politiker Alexandru Ioan Cuza, der ihn nach der Vereinigung der Walachei mit der Moldau 1859 erstmals als Premierminister bestellte. Der Maler Ion Negulici. Der Bojar, Politiker und Schriftsteller Costache Negri. Der Archäologe und Politiker Alexandru Odobescu. Nicolae Grigorescu, Begründer der modernen rumänischen Malerei. Der Musiker und Komponist George Enescu. Ion Bălăceanu, Politiker, Außenminister und Großvater des heutigen Akademiemitglieds Constantin Bălăceanu-Stolnici. Sogar Sir John Lawrence, britischer Staatsmann und Vizekönig Indiens, trat über die Schwelle des walachischen Herrenhauses. Und natürlich die acht überlebenden der insgesamt zehn Kinder, die Alexandrina, gerade mal 17 Jahre alt zurzeit der Eheschließung mit Ion Ghica, diesem zwischen 1848 und 1862 schenkte: Dimitrie, Maria, Maria (verh. Sturdza), Eliza, Alexandrina, Scarlat, Nicolae, Ana (verh. Magheru), Nicolae, Alexandru. Selbst künstlerisch aktiv, teilte sie die Liebe ihres Gatten für Kunst und Kultur.
Aurora Fabritius, Projektmanagerin der Veranstaltung, schwärmt vor allem von den im Palast von Ghergani entstandenen Briefen Ghicas an Alecsandri, die ein „nicht geschöntes soziales Fresko der damaligen rumänischen Gesellschaft“ zeichnen. „Viele wichtige Gedanken wurden in Ghergani geschmiedet, inspirierende Diskussionen fanden vor allem mit Vasile Alecsandri statt“, ergänzt Beldiman, die am 11. September um 14 Uhr im Ghica-Palast ihren monografischen Bildband „Domeniul lui Ion Ghica de la Ghergani“, erschienen im Verlag Istoria Artei in der Reihe „Historische Familien“, vorstellt und anschließend durch das Anwesen führt.
1844 erbte Ion Ghica den Komplex, der zwei alte Herrenhäuser , eine Kapelle und einen Park auf den ehemaligen Ländereien der Familie Văcărescu, seinen Vorfahren väterlicherseits, umfasste.
Renoviert wurden die Gebäude in zwei Etappen zwischen 1869 und 1888, erstmals durch den Architekten Dimitrie Berindey nach Skizzen und Ideen Ion Ghicas, anschließend durch George Mandrea. Das ältere Bauwerk wurde in einen Gesindetrakt transformiert und mit dem Haupthaus verbunden. Fortan galt die Residenz als „Maison de plaisance“ der Epoche, geprägt vom „intellektuellen und künstlerischen Profil des Ehepaares Ghica“, so Beldiman. Die Innenausstattung war von den häufigen Reisen Ion Ghicas nach Italien – Rom, Florenz, Neapel – beeinflusst: Marmorböden und Fliesen aus glasierter Keramik. Im Musiksaal hing das berühmte Gemälde „Die Zigeunerin von Ghergani“ von Nicolae Grigorescu, lebensecht und verführerisch. An den Konzertabenden, von Alexandrina Ghica organisiert, war auch George Enescu häufig zugegen. Stunden konnte man in der Bibliothek beim Schmökern der wertvollen Büchersammlung verbringen. Die deutsche Armee hat sie leider verbrannt, nur ein Teil der Werke wurde gerettet und der Rumänischen Akademie gespendet.
In der Kapelle, die sich durch minimalistische Ikonografie auszeichnet, herrschen einfache geometrische Motive vor. Den Garten zieren Buchsbaum und Flieder, Wein, Obst-und Nussbäume. Es gab ein Glashaus mit Palmen, Feigen und Zitronen und einen Nutzgarten für Gemüse, wo sogar Spargel gezogen wurde.
Nach dem Tode Ion Ghicas 1897 bewohnten seine Nachfahren den Palast bis zur Verstaatlichung. Beim Erdbeben 1940 war das Herrenhaus dramatisch in Mitleidenschaft gezogen worden, der erste Stock stürzte ein und wurde nie wieder aufgebaut. Die Kommunisten nutzten den Palast schließlich von 1950 bis 1989 als Krankenhaus. Obwohl seit 1955 als denkmalgeschütztes Kulturerbe eingetragen, wurde der historischen Bedeutung des Bauwerks keinerlei Rechnung getragen. Mehrere bauliche Veränderungen des Innenraums und Installationen wurden während der Nutzung als Spital vorgenommen. Nachdem 1990 das Dach teilweise gestohlen worden war, beschleunigte der Regen den Verfall des Gebäudes.
Erst nach der Rückerstattung des Komplexes 2004 an die Familie Ghica begannen die Arbeiten zur Rettung des Anwesens auf Basis eines Projektes von Architekt [erban Sturdza und dem Architekturbüro Prodid. Die Kapelle wurde konsolidiert, einige Bilder restauriert. Das Herrenhaus soll laut Beldiman in ein Konferenzzentrum verwandelt werden, ist jedoch derzeit noch Baustelle. Weil die Familie Ghica nicht über ausreichende Finanzmittel verfügt, sind weitere Instandsetzungsarbeiten mit EU-Fonds angedacht. Für Touristen ist der Komplex derzeit nicht zugänglich. Interessierte können jedoch im Anschluss an die Buchvorstellung durch Beldiman an einer Führung teilnehmen.