Über die Donauschwaben pfeifen die Spatzen von allen Dächern

Rundgang durch die Donaustadt Ulm

Fassadendetail des Rathauses mit der astronomischen Uhr | Fotos: Wikimedia Commons

Der höchste Kirchturm der Welt ist jener des Ulmer Münsters

Ulm ist heute Vorbild in der Stadtgestaltung und Stadterneuerung. Als Großstadt der kurzen Wege bietet Ulm eine gute Infrastruktur. Die deutsche Donaustadt ist aber auch von 5000-jähriger Geschichte umhüllt und gilt als Ausgangspunkt der Donauschifffahrt der Donauschwaben, die ab dem Ende des 17. bis zur zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in die damaligen Länder der ungarischen Stephanskrone ausgewandert sind. Auf einem Rundgang durch die Stadt wandeln wir auf ihren Spuren und denen ihrer Vor- und Nachfahren. 

Die Umgebung der in Baden-Württemberg an der Donau am südöstlichen Rand der Schwäbischen Alb gelegenen heutigen Universitätsstadt wurde bereits in der Steinzeit besiedelt. Dies beweisen 5000-jährige Fundstücke in der prähistorischen Sammlung im Ulmer Museum. 
Mitte des 8. Jahrhunderts errichteten die Franken eine  Königspfalz auf dem Weingarten und unter dem Namen „Hulma“ ist diese im Jahr 854 erstmals durch König Ludwig den Deutschen urkundlich belegt. Der Ortsname wird allerdings auf einen germanischen oder vorgermanischen Gewässernamen, welcher auf die Mündung des Blau-Flusses in die Donau hinweist, zurückgeführt. 

Das Ulmer Münster

Als Wahrzeichen der durch die Donau von Neu-Ulm getrennten Stadt gilt das Ulmer Münster: eine beeindruckende gotische fünfschiffige Basilika, die viele Rekorde innehält. Bei einer Höhe von knapp 162 Metern blickt der höchste Kirchturm der Welt stolz auf Ulm herab und greift sehnsüchtig nach dem Himmel. Auf einer Gesamtfläche von 6000 Quadratmetern wurde die zweitgrößte Kirche Deutschlands nach dem Kölner Dom und weltweit größte Kirche der evangelischen Christenheit als Pfarrkirche Mitte des 19. Jahrhunderts aus städtischen Mitteln sowie Spenden von weniger als 10.000 Bürgern gebaut und 1890 fertiggestellt. Nur Dank eines himmlischen Wunders blieb das Münster von den Bombenhagel 1944-45, die nahezu 70 Prozent der Ulmer Innenstadt in Schutt und Asche legten, unversehrt.

Von Ulmer Spatzen und Spätzle

Vom Münsterdach schaut … ein Sperling auf die Stadt. Dies ist kein gewöhnlicher dreister Sperling, sondern der Ulmer Spatz. Ursprünglich soll dies eine die alttestamentarische Taube, welche nach der Sintflut mit einem frischen Olivenzweig auf Noahs Arche zurückkehrte, darstellende kupferne und vergoldete Vogelstatue gewesen sein. Aus der Ferne kann man jedoch nicht sehen, dass es sich um eine Taube handeln soll. Auch der Ölzweig ist nur zu erkennen, wenn man den Turm des Münsters besteigt. Da der Vogel von unten winzig aussieht und eher einem Sperling ähnelt, wurde er spöttisch „Spatz“ genannt. Der originale Ulmer Spatz von 1858 wurde unter Baumeister Ferdinand Thrän aus Sandstein gefertigt und musste wegen Baufälligkeit vom Münsterdach entfernt werden. Heute wird er in einem Schaufenster im Münster aufbewahrt.

Die zweite Deutung des inoffiziellen Wappentiers der Ulmer führt auf eine Sage zurück (siehe Kasten).

Der Ulmer Spatz ist Namensgeber auch für: ein restauriertes Nostalgie-Fahrgastschiff, das Schiffsrundfahrten auf der Donau bei Ulm unternimmt, eine Marke für Produkte zur Herstellung von Brot- und Brötchenspezialitäten, den 1987 entdeckten Asteroiden 8345 „Ulmerspatz“. Wenn man von „Ulmer Spatzen“ spricht, geht es je nach Kontext um die Einwohner von Ulm, den Fußballverein „SSV Ulm 1846“ oder die Mitglieder des örtlichen Chors. „Ulmer Laugenspatzen“ sind ein beliebtes lokales Laugengebäck, welches aus einem Teig-Knoten mit angedeuteter Spatzen-Form besteht und sich gut zum Frühstück neben einem Kaffee eignet. 

Einstein-Haus und Brotmuseum

Inder Nähe des Münsters geht man am sogenannten Einstein-Haus, einer auf dem Platz des im Zweiten Weltkrieg von Luftangriffen zerstörten Geburtshauses von Albert Einstein gebauten Volksschule und dem Einstein-Denkmal vorbei. 

Unweit, in der Salzstadelgasse Nr. 10, befindet sich das Museum der Brotkultur, welches die kultur- und sozialhistorische Bedeutung des Brotes anhand einer Sammlung mit Exponaten aus 40 Ländern veranschaulicht. Themenschwerpunkte der Ausstellung sind: Technik der Brotherstellung, Hunger in der Welt sowie Kunst- und Kulturgeschichte des Brotes.

Nach diesem Besuch fühlen wir uns ein bisschen hungrig und wollen unbedingt die lokalen cremigen Käsespätzle zum Mittagessen probieren. Vollen Magens folgen wir weiter den Spuren der Donauschwaben in Richtung Donauschwäbisches Zentralmuseum.
Rathaus mit astronomischer Uhr

Der Weg führt gegenüber dem Münster an einem der schönsten Rathäuser vorbei. Das reich mit Wandmalerei verzierte Rathaus besteht ursprünglich aus drei verschiedenen Bauteilen und hat eine komplexe Baugeschichte, die mit dem sogenannten Neuen Kaufhaus im 14. Jahrhundert begann. Die ornamentale spätgotische Wandmalerei an den Fassaden, die in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts geschaffen wurde, stellt bi-blische und historische Szenen, Spruchweisheiten, sowie die menschlichen Tugenden und Laster dar. Die Ostseite ziert eine astronomische Uhr (1520) mit Stundenskala, Tierkreiszeichen, Sonnen- und Mondzeiger, ein Wunderwerk der Mechanik,  und die steinerne Huldigungskanzel.

In der Nähe des Rathauses befindet sich am Marktplatz Nr. 9 der Eingang ins Ulmer Museum.  1882 gegründet reicht die Sammlung des Museums vom ca. 40.000 Jahre alten Löwenmenschen, der ältesten Tier-Mensch-Figur der Welt, bis hin zur zeitgenössischen Kunst.

Die Münz und das Schiefe Haus

Die Tour führt weiter durch die Ulmer Altstadt abwärts ins Fischerviertel, einem malerischen, auch „Klein Venedig“ genannten Stadtteil mit an beiden Armen und sogar in der Mitte der Blau gelegenen, reizvollen Fachwerkhäusern. Die Ulmer Münz, wo seit dem  Mittelalter Münzen geprägt wurden, beherbergt ein träumerisches Café. Aus dieser Zeit stammt auch der Reim, der die Stellung der Stadt in der damaligen Welt untermauerte:  

„Venediger Macht,
Augsburger Pracht,
Nürnberger Witz,
Straßburger Geschütz,
und Ulmer Geld
regier’n die Welt.“ 


Wenn die Italiener mit ihrem Schiefen Turm von Pisa prahlen, dann können sich auch Deutsche mit ihrem Ulmer Schiefen Haus rühmen. Diese Kuriosität der Stadt wurde Mitte des 15. Jahrhunderts erbaut, mit einer Bootsgarage versehen und vor kurzem saniert. Nun wird darin ein Hotel betrieben, das seine Gäste mit reizenden roten Geranien an den Fenstern erwartet. Über die Wilhelmshöhe führt der Weg zum Apotheker-, Duft- und Tastengarten für Blinde, einer weiteren Besonderheit von Ulm.

Donauschwäbisches Zentralmuseum

Unser Rundgang endet an der Mündung der Blau in die Donau, dort, wo die Siedlungsreise für die Donauschwaben drei Jahrhunderte früher begann. Ob aus Biberach an der Riß, Ravensburg, Wiblingen, Bad Schussenried oder aus anderen Orten in Oberschwaben stammend, begann die Flussreise entlang der Donau zu den neuen Siedlungsorten der in der Geschichte als Ungarndeutschen, Jugoslawiendeutschen, Banater und Sathmarer Schwaben bekannten deutschen Siedler oder Donauschwaben aus Ulm. Des Weiteren befanden sich südlich der Donau in unmittelbarer Nähe der Herdbrücke am  Schiffbauerplatz mehrere Schiffswerften, in welchen die sogenannten „Ulmer Schachteln“ für die hier einsetzende Donauschifffahrt gebaut wurden.  

Die Stiftung Donau-schwäbisches Zentralmuseum in Ulm hat seit 1998 die Aufgabe, die kulturelle Tradition und das Kulturgut der Donauschwaben zu bewahren, indem sie Geschichte, Kultur und Landschaft umfassend dokumentiert, Kulturgut sammelt und präsentiert sowie der landes- und volkskundlichen Forschung über die donauschwäbischen Herkunftsgebiete zugänglich macht. Sie soll zugleich das Wissen über die südöstlichen Nachbarn verbreiten und vertiefen, um einen Beitrag zur Verständigung in Europa zu leisten. Zu diesem Zweck betreibt die Stiftung das Museum im Reduitgebäude der Oberen Donaubastion der Bundesfestung in Ulm. Das Museum erzählt auf 1500 Quadratmetern die Geschichte der Donauschwaben und das Leben dieser Volksgruppe in der Vielvölkerregion Südosteuropa mittels der Dauerausstellungen „Donauschwaben. Aufbruch und Begegnung“ und „Donau. Flussgeschichten“. Hier finden regelmäßig Vorlesungen, Workshops und andere Veranstaltungen statt.

Am Donauschwabenufer wurde 2018, zum 300. Jubiläum der Ansiedlung der Sathmarer Schwaben, eine Gedenktafel eingeweiht. Der darauf gravierte Leitspruch „Es liegt an uns allen, Brücken zueinander zu bauen“deutet wahrscheinlich auf den Heimattag der Banater Schwaben hin, der alle zwei Jahre in Ulm veranstaltet wird. Darüber hinaus regt er den Beobachter zum Nachdenken an und hallt nachhaltig im Sinn wider. 


Sage vom Ulmer Spatz

Anno dazumal vor vielen Jahren
Ist den Ulmern Folgendes widerfahren:
Zu allerlei Bauten in der Stadt
Man Rüst- und Bauholz nötig hat‘,
Doch wollt es den Leuten nicht gelingen
Die Balken durchs Tor hereinzubringen,
Und doch war reiflich die Sach‘ überlegt
Das Holz in die Quer‘ auf den Wagen gelegt;
Das Tor war zu eng, die Balken zu lang,
Dem Stadtbaumeister ward angst und bang.
Viel gab es hin und her zu sprechen:
Und ungeheures Kopfzerbrechen,
Ja, selbst der hohe Magistrat
Wusste für diesen Fall nicht Rat,
Er mochte in alle Bücher sehen,
Der Casus war nirgends vorgesehen,
Der Bürgermeister selbst sogar
Hier ausnahmsweise ratlos war.
Ihm, der doch alles am besten weiß,
Machte die Sache entsetzlich heiß.
Und stündlich wuchs die Verlegenheit,
Da – begab sich eine Begebenheit
Von den Klügsten einer ein Spätzlein schauet,
Das oben am Turm sein Nestlein bauet,
Und einen Halm, der sich in die Quer‘
Gelegt hat vor sein Nestchen her,
Mit dem Schnäblein – und das war nicht dumm
An der Spitze wendet zum Nest herum,
„Das könnte man“, ruft der Mann mit Lachen,
„Mit dem Balken am Tore ja auch so machen!“.
Man probiert‘s und es ging. – Den guten Gedanken
Hatten die Ulmer dem Spätzlein zu danken:
Sie stünden wohl heute noch an dem Tor
Mit dem balkenbeladenen Wagen davor,
Oder hätten, ohne des Spätzleins Wissen,
Gar den Turm auf den Abbruch verkaufen müssen.
Zum Danke dem Spatzen ist heut noch zu schauen
Hoch am Münster sein Bild in Stein gehauen:
Auch seitdem beim echten Ulmerkind
Die Lieblingsspeise „Spätzle“ sind.
                                                      Carl Hertzog, 1842