Vergessene Orte in Hermannstadt

Jugendliche befreiten den jüdischen Friedhof von Unkraut

Der 86-jährige Dr. Aurel Vainer (l.) stammt aus der Moldau und war drei Legislaturperioden Mitglied des rumänischen Parlaments.
Foto: Michael Mundt

Hermannstadt - „Was das Deutsche Forum gemacht hat, war eine Aktivität, die aus weisen und menschlichen Gründen angegangen wurde. Dieses Verständnis sollte der Normalzustand in der Europäischen Union sein. Ich hoffe und glaube, dass die neue, westlich ausgebildete Generation nach diesen Idealen leben wird“, sagte Otto Deutsch zum Abschluss des Projekts „Vergessene Orte in Hermannstadt“.


Otto Deutsch ist der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Hermannstadt/Sibiu und zusammen mit der Föderation der Jüdischen Gemeinden in Rumänien (FCER) hat das Demokratische Forum der Deutschen in Rumänien (DFDR) in der vergangenen Woche einen interethnischen Arbeitseinsatz geleistet: Rumänische Jugendliche haben auf Initiative des Deutschen Forums den alten jüdischen Friedhof in der Elisabeth-Vorstadt/Cartierul Lazaret gepflegt. Otto Deutsch betonte darüber hinaus, „dass diese Aktion nicht nur das Putzen eines Friedhofes zum Gegenstand hatte - das war vielleicht der Ausgangspunkt - die Hauptsache war, dass die Minderheiten sich kennengelernt und mit-einander Zeit verbracht haben und sich respektieren.“


Noch vor dem Arbeitsstart gab der aus Bukarest angereiste FCER-Präsident Dr. Aurel Vainer den Jugendlichen einen Einblick in die jüdische Geschichte: vom Bund, den Gott mit Abraham schloss bis zur Gründung des Staates Israel und dem Ausverkauf der rumänischen Juden. Die jüdische Minderheit in Rumänien, der heute nur noch rund 4000 Menschen angehören, bildete einst das wirtschaftliche Rückgrat der Moldau. Im Ersten Weltkrieg kämpften rund 30.000 Juden in der rumänischen Armee, obwohl die allermeisten von ihnen nicht die rumänische Staatsbürgerschaft besaßen. Durch den Anschluss Bessarabiens, der Bukowina sowie der ehemals ungarischen Gebiete lebten in der Zwischenkriegszeit bis zu 800.000 Juden in Großrumänien – eine Zahl die nie wieder erreicht werden sollte. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte Rumänien mit rund 390.000 Juden neben der Sowjetunion die größte jüdische Gemeinde in Europa. Ihrer unkontrollierten Ausreise setzte das kommunistische Regime schnell ein Ende, denn die neuen Machthaber hatten das wirtschaftliche Potenzial der Juden erkannt und tauschten wenig später die ersten Juden gegen eine Schiffsladung mit Bohrgerät für die Erdgasindustrie.


Im Anschluss an den Vortrag von Aurel Vainer führte Otto Deutsch die Jugendlichen durch die Synagoge in der Salzgasse/Str. Constituţiei, die 1909 eröffnet wurde und mit Ausnahme der nachträglichen Elektrifizierung noch genauso aussieht wie am Tag der Einweihung. Doch Gebete finden in der Synagoge bereits seit zehn Jahren nicht mehr statt, da für sie  ein Quorum (Minjan) von zehn erwachsenen männlichen Personen erforderlich ist und die Hermannstädter Gemeinde nur noch 48 Seelen zählt. Abgehalten werden die Gebete im kleinen Gemeindehaus im Garten der Synagoge. Dort stehen einige Tische, auf denen Kippot liegen und in der Ecke der Toraschrein. Eine große jüdische Gemeinde hatte Hermannstadt nie, erklärt Deutsch. 1909 lebten rund 600 Juden in der Stadt, bis zum Zweiten Weltkrieg wuchs die Gemeinde auf rund 1700 Personen. Unmittelbar nach dem Krieg kehrten 2000 Juden in die Stadt zurück, viele davon aus sowjetischen Lagern. Dann setzte die Alija nach Israel ein, andere zogen nach Deutschland, Frankreich, Amerika oder Australien, so wie Sohn und Tochter der Familie Deutsch.


Auch der alte Friedhof, den die Jugendlichen an zwei Tagen von Unkraut befreiten, ist schon seit 113 Jahren nicht mehr in Benutzung. „Dieser Friedhof wurde 1905 geschlossen und es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass die sächsischen Behörden es den Juden nicht erlaubten, sich in der Stadt niederzulassen und die Gräber daher außerhalb anlegen mussten, und nun die nachfolgenden Generationen gekommen sind und sich zusammen mit dem Deutschen Forum dem Friedhof angenommen haben, sagte Otto Deutsch – halb im Spaß, halb im Ernst – während der abschließenden Pressekonferenz mit Dr. Paul-Jürgen Porr und Ovidiu Gan]. „Unsere Möglichkeiten, diesen Friedhof instand zu halten sind begrenzt. Was wir getan haben, haben wir am städtischen Friedhof getan, wo das Erscheinungsbild der Gräber entsprechend ist.“ Nach der Einschätzung der Teilnehmer gefragt, sagte Oana Balaci, dass es ihr ein Vergnügen war, dieses Projekt zu organisieren. „Es ist ein außerordentlich schönes Gefühl, durch Arbeit, die auch noch Spaß gemacht hat, den Unterschied gemacht zu haben.“