Vom Coming-of-Age-Thriller bis zum Sturz Ceaușescus

Rumänien auf 34. Film Festival Cottbus des osteuropäischen Films stark präsent

In guter Laune vor der Stadthalle Cottbus: die aus Kronstadt stammende Schauspielerin Alexia Gales (21) mit dem Regisseur Tudor Petremarin (l.) und dem Kameramann und Produzenten Alexandru Dobre, deren Spielfilm „Hoții de Subiecte“ Weltpremiere feierte. Kinostart in allen Landesteilen wird 2025 sein. | Foto: Berndt Brussig

Die drei Buchstaben FFC, Abkürzung für Film Festival Cottbus, wirkten auch in diesem Jahr als Zugnummern für Filmemacher aus dem In- und Ausland sowie für filmbegeisterte Einheimische. 151 Filme aus 41 Ländern standen auf dem Programm, darunter fünf Produktionen aus dem Filmland Rumänien mit dem Debütfilm „High School Thieves“ („Hoții de Subiecte“) des Regisseurs Tudor Petremarin (37), der mit seinem Team die erfolgreiche Weltpremiere in Deutschland feierte. Die rumänisch-ungarische Filmemacherin Cristina Groșn fungierte mit drei weiteren Juroren in der prominent besetzten Internationalen Jury der Hauptsektion Spielfilm-Wettbewerb, die drei Hauptpreise aus den zwölf nominierten Wettbewerbsfilmen dieser Sektion auslobte.

„Osteuropa wird oft durch negative Schlagzeilen wahrgenommen, doch dieser Festivaljahrgang zeigt eindrucksvoll die Vielfalt und Tiefe, mit der Menschen vor Ort ihrer Realität begegnen“, so das Statement von Programmdirektor Bernd Buder zur 34. Edition des FFC. „Das Filmfestival Cottbus schafft dabei eine Plattform für offenen Austausch auf Augenhöhe, wo die oft unausgesprochenen ‚Elefanten im Raum‘ direkt benannt werden können – und das, ohne sich von ihnen erdrücken zu lassen.“

Auf dem Programm des 34. Film Festival Cottbus, das vom 5. bis 10. November lief, standen insgesamt rund 150 Spiel- und Kurzfilme sowie Dokumentationen aus 41 Ländern, die Aufführungen verteilt auf vier Spielstätten, darunter die Stadthalle Cottbus sowie das geschichtsträchtige Filmtheater Weltspiegel in eklektizistischem Stil, ältestes Kino Deutschlands, und die Kammerbühne. Abends erstrahlten die Spielstätten in Blau, illuminiert und angestrahlt von blauem Licht. Blaue Leuchtbänder führten vom FFC-Headquader, der Stadthalle, direkt zu den Kinos. Mit dieser hilfreichen blauen Linienführung im Blick konnte man schnellen Fußes die Spielstätten erreichen. Aufgeführt wurden die Filme, unterteilt nach Themenkreisen und Genres, in der jeweiligen Sektion der insgesamt zwölf Sektionen: Wettbewerb Spielfilm, Wettbewerb Kurzfilm, Wettbewerb Jugendfilm U 18 sowie Sektion Spectrum und weitere wie Heimat Domownja / Domizna und  Sektion KIDS.

Vielfalt der Themen und Genres„My late summer“, eine Co-Produktion mit Rumänien und weiteren vier Ländern, war der Eröffnungsfilm des FFC 2024 Cottbus, aufgeführt im Staatstheater Cottbus außerhalb des Spielfilmwettbewerbs. Dass diese multinationale Produktion in der Regie von Danis Tanovic (Bosnien) im Frühjahr 2025 ins Rennen um den begehrten Academy Award gehen wird, ist auch ein Indiz für den hohen Stellenwert des FFC in der internationalen Filmbranche als Karriere-Sprungbrett. Die Filmkomödie ist Drehbuchdebüt der kroatischen Schauspielerin Anja Matkovic, Mitglied der internationalen Jury, Hauptsektion Spielfilm-Wettbewerb. Die Verleihung des Academy Award, besser bekannt unter dem Spitznamen Oscar, an die Co-Produktion „My late summer“ in Los Angeles am 2. März 2025 dürfte keinesfalls in den Sternen stehen …

Mit dem Hauptpreis  des 34. FilmFestival Cottbus, dotiert mit 15.000 Euro, wurde die serbische Produktion „When the Phone Rang“ der Regisseurin Iva Radivojevic ausgezeichnet. Im Mittelpunkt des Polit-Dramas steht ein Mädchen, das an einem Freitag im Jahre 1992 den Telefonhörer abnimmt und erfährt, dass ihr Großvater tot ist. Vernebelt im Unterbewusstsein, doch mehr und mehr wird dem Mädchen die Vergangenheit klar. Das Telefon dient quasi als Zeitmaschine, führt Erinnerungen zurück zum Beginn des Jugoslawienkrieges 1992.

Mit dem Hauptpreis des Wettbewerbs Kurzfilm wurde der georgische Film „Burning sun“ von Nutsa Tsikaridze ausgezeichnet. Die georgische Produktion „führt uns zurück zur Unschuld und Verletzlichkeit der Kindheit“, so die Kurzfilm-Jury in ihrer Begründung, und weiter: Der Film „kommuniziert nicht auf einer rationalen, sondern auf einer sinnlichen und emotionalen Ebene“.

Der Spezialpreis für die beste Regie ging an Pavlo Ostrikov, Regisseur der ukrainisch-belgischen  Co-Produktion „U R UNIVERSE“. In der Begründung der Jury heißt es: „Mit dem Ein-Mann-Stück über den vermutlich letzten Menschen der Welt schafft Ostrikov ein überzeugendes und vielschichtiges Universum, das uns daran erinnert, wie wichtig menschliche Beziehungen in den dunkelsten Zeiten sind.“

Debütfilm: „Hoții de Subiecte“ von Tudor Petremarin

Im repräsentativen Kinosaal in der Stadthalle, FFC-Headquader, sowie in der Kammerbühne hatte der Debütfilm „Hoții de Subiecte“ / „High School Thieves“ des Regisseurs Tudor Petremarin (37) seine Weltpremiere, bedacht mit herzlichem Applaus des Publikums. Der Direktor des Rumänischen Kulturinstituts in Berlin (RKI), Cristian Niculescu, beglückwünschte im Anschluss an die Aufführung den Regisseur und das Team für deren Leistung. In nur 20 Drehtagen hat die Film-Crew diesen Spielfilm (120 Min.) auf die Beine gestellt. Das Produkt ist ein gelungener Mix aus Komödie und Drama im Genre des Coming-Of-Age-Thriller mit Augenzwinkern im Stile eines Heist-Movie: Die internetaffinen Gymniasten (überzeugend gespielt von Karina Jianu, Alexia Gales, Stefan Iancu, Ana Toda, Dragoș Prundeanu), sind zwar Diebe der Prüfungsfragen. Zugleich sind sie Sympathieträger im Film, der insbesondere die Generation Z (zwischen 1995 – 2010 geborene Menschen) anspricht. In der Diskussion der Filmemacher mit dem Publikum im Anschluss an die Weltpremiere betonten die Teammitglieder, dass gerade bei den Dreharbeiten eine fröhliche, lockere Atmosphäre herrschte. Diese Fröhlichkeit und Lockerheit spürte man irgendwie auch als Zuschauer. Im nächsten Jahr, voraussichtlich im Mai, soll diese Drama-Komödie-Mixtur, erster Spielfilm des Regisseurs Tudor Petremarin, seinen Kinostart in etwa 100 Kinos Rumänien haben, in Bukarest, Siebenbürgen, im Banat, in allen Landesteilen. Eingedenk des Bekanntheitsgrades des Regisseurs in TV-Shows und TV-Serien, zudem seiner Teilnahme mit „Rondul de Dimineața“, sein letzter an der Filmuniversität Bukarest entstandener Kurzfilm, an mehreren internationalen Festivals, etwa in Vancouver und New York City, darf man an einen erfolgreichen Kinostart in Rumänien glauben.

Themen zum Sturz von Ceaușescu

Themen im Zusammenhang mit dem Sturz des Ceaușescu-Regimes spielen bei rumänischen Filmemachern nach wie vor eine wichtige Rolle, so auch auf dem diesjährigen FFC Cottbus: Die dort aufgeführte Tragikomödie „The new year that never came“ / „Anul nou care n-a fost“ des Regisseurs Bogdan Mureșanu handelt von den Sorgen und Aktionen eines Fernsehregisseurs wenige Tage vor der Weihnachtszeit 1989. Er will eine Show für den Silvesterabend unbedingt noch retten, indem er eine  urplötzlich nach dem Westen ausgereiste Hauptdarstellerin ersetzen möchte. Es ist der 20. Dezember, die Zeit drängt. Die Wahl fällt auf die Theaterschauspielerin Florina. Doch Florina ist „not amused“ bei dem Gedanken, mit einer Hommage dem Ceaușescu-Regime in der Silvesterabendshow, die im ganzen Land zu sehen ist, zu huldigen. Die Beschwörungen des Regisseurs, die Rolle doch zu übernehmen, fruchten bei Florina nicht. Und umgehend wird sie in ihrem Bekanntenkreis, Künstler mit vorwiegend liberaler Ideologie, zur Paria. „Anul nou care n-a fost“ (138 Min.), erster Spielfilm von Bogdan Mureșanu, hatte bereits seine Premiere bei den Filmfestspielen von Venedig im September, wo er mit mehreren Preisen ausgezeichnet wurde, so mit dem Fipresci-Preis, der von der Internationalen Filmförderation vergeben wird. Zwei rumänische Kurzfilme waren Teil des Programms in der Sektion Kurzfilm: Der Kurzfilm mit dem witzigen Titel „@TIK TOK COWBOY“ (16 Min.) von Anastaseu [tefan: An einem Tag des Covid-Lockdowns macht sich der junge Roma-Influencer Zoro auf seinem Pferd auf den Weg in die Stadt, um sein neugeborenes Kind und seine Frau abzuholen. Eine Reise mit jeder Menge Skurrilitäten nimmt seinen Lauf …   Gezeigt wurde dieser schräge Plot im Kino Weltspiegel. Die Handlung des 19-minütigen Kurzfilms „Between the edges of  the day“ / Între marginile zilei“ in der Regie von Andreea Lăcătuș wirft ein Schlaglicht auf von Kindern wahrgenommene Unehrlichkeiten und Besserwisserei von Erwachsenen. Dass dieser Film bereits  auf dem Sarajevo Film Festival und auf dem  Transilvania International Film Festival TIFF gezeigt wurde, spricht für die Relevanz dieses Themas.

Filme zur Würdigung des 35. Jahrestages zum Mauerfall

Wichtiger Teil des Programms des 34. FFC war nicht zuletzt eine Würdigung der friedlichen Revolution mit dem Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989, der den Sturz kommunistischer Regime massiv einleitete. Anlässlich des welthistorischen Ereignisses vor 35 Jahren lud die Festivalleitung zu Aufführungen der Sektion Heimat Domnowjna / Domizna ein, wo historische Dokumentarfilme, gedreht um die Wendezeit, wiederaufgeführt und mit dem Publikum diskutiert wurden.Die eigentlichen Feierlichkeiten zum Fall der Berliner Mauer vor 35 Jahren fanden im Herzen Berlins am 9.  November mit einem Riesen-Event statt: Mit einer vier Kilometer langen Plakatausstellung mit 5000 Plakaten entlang einem Teilstück der ehemaligen Mauer, von Berlin-Mitte bis Kreuzberg. An dieser Open-Air-Galerie mit Motiven zu Demokratie und Freiheit beteiligten sich auch rumänische Schüler. Höhepunkt der Feierlichkeiten war ein Riesenfeuerwerk am Brandenburg Tor. Rund 700 Musikerinnen und Musiker, verteilt auf fünf Bühnen, spielten zeitgleich legendäre Hymnen, darunter „Heroeos“ von David Bowie.

Ausblick auf das FFC 2025

Startete das erste Film Festival Cottbus im Jahre 1991 mit einer Handvoll Filme, hat es sich  längst als Hotspot etabliert. Zugleich ist es der Ost-West-Koproduktionsmarkt connecting cottbus (coco), wo Filmemacher mit Financiers und Profis von Filmförderprogrammen gemeinsam die Weichen für internationale Co-Produktionen stellen. Der Regisseur Tudor Petremarin beabsichtigt, auf dem coco des 35. FFC sein neues Projekt „40 Jahre alte Teenager“ aus der Taufe zu heben. Sein Statement zum FFC 2024: „Schon nach ein paar Tagen seit meiner Teilnahme konnte ich sagen, dass das ein herausragendes Festival ist, alles gut organisiert und geplant sowie eine gute Filmauswahl. Und die Stadt Cottbus selbst hat eine angenehme Ausstrahlungskraft und erscheint mir perfekt für kleine kulturelle Unternehmungen als Feriengast“.

Das 35. FFC findet vom 4. bis 9. November 2025 statt. Das nächste internationale Film-Event in Deutschland sind die  Internationalen Filmfestspiele Berlin, 13. bis 23. Februar 2025. Auf der Berlinale 2025 wird auch Tudor Petremarin  „Hotii de Subiecte“ präsentieren.