Manche Berufe werden im unteren Hermannstadt/Sibiu längst nicht mehr ausgeübt, geschweige denn in der Oberstadt mit ihren viel breiteren und kürzeren Straßen. Fassbinder beispielsweise, weswegen die auf Rumänisch „Dogarilor“ heißende Gasse nunmehr allein eine Epoche andeutet, von der heute kaum geraunt würde, hätte sie all den alten Handwerkszweigen keine Bedeutung zu verdanken. Auch Wagner („Rotari“), Lederer („Pielari“) oder Weber („Pânzari“) finden sich in Hermannstadt nur noch auf der Straßenkarte, die der verrauchten Vergangenheit ihre Ehre erweist. Abgesang auf eine früher einmal stolze Geschichte ist das aber nicht, denn seit einigen Jahren kommt die Story endlich sichtbar wieder ins Laufen, wenn auch nicht nach der strikten Zuordnung gemäß historisch verpflichteten Stadtplans. Schneider, Bäcker, Konditoren, Köche und Architekten haben in der Unterstadt Einzelbetriebe aufgemacht. Und mit Töpfern beschäftigt sich auf der „Strada Olarilor“ zwar niemand, doch dafür unterhält Autodidaktin Cristina Morariu als Mieterin eines kleinen Parterres der Elisabethgasse/Str. 9 Mai ihr Keramik-Atelier. „Es sieht einfach aus, wenn man Töpfern als ein Fernsehzuschauer über die Schulter blickt“, erklärt sie, „aber das Zentrieren der lehmigen Masse auf der Töpferscheibe ist zunächst eine große Herausforderung“. Im Atelier von Cristina Morariu stehen drei US-amerikanische Töpferscheiben der Marke „Brent“, auch für Workshops. Über zu wenig Kundschaft beschwert sie sich nicht, für das Begleichen von Miete, Rechnungen und Gebühren reichen ihre Einkünfte aus. Klar jedoch freut Cristina Morariu, mit der Klaus Philippi sprach, über zusätzliches Interesse an ihrer Arbeit. „Ich hatte Glück, meinen Brennofen wenige Monate vor dem Brexit aus England kaufen zu können, also kurz bevor auf einmal alles viel teurer wurde.“
Davon, dass die Temperatur zum Aushärten von Lehm bei etwa 900 Grad Celsius beginnt und je nach Material bis zu 1300 Grad Celsius erreicht, sind bestimmt auch Laien nicht überrascht. Wie aber kann man beim Einkaufen von Keramik mit bloßem Auge feststellen, ob es sich um Erdenware, Steingut oder Porzellan handelt?
Alles, was ich heute über Lehm weiß, habe ich während der Covid-Pandemie von Künstlern aus den USA und Großbritannien gelernt, und angefangen hat es tatsächlich mit den Aufstellen von Material-Kategorien in diesen drei Härtegraden auf Englisch. Eigentlich ist Steingut nichts anderes als das, was wir als Fliesen kennen. Schaut man sich eine Tasse von mir und eine entzweigebrochene Fliesen-Platte an der Bruchstelle an, ist die Ähnlichkeit nicht zu übersehen. Ich für meinen Teil arbeite nur mit Steingut. Erdenware ist nicht so mein Ding, weil porös, obwohl sie natürlich mit Glasur überzogen werden und danach gebraucht werden kann. Aber es gibt den sehr einfachen Trick, Steingut von Erdenware zu unterscheiden, und er besteht darin, den äußeren Boden vom fertigen Gefäß ein bisschen genauer unter die Lupe zu nehmen: das Lackieren gelingt niemals hundertprozentig auf der gesamten Außenfläche, denn irgendwo muss das Gefäß beim Aushärten doch Kontakt zum Ofen haben, in dem es steht. Erdenware erkennt man außerdem an ihrer rötlichen Farbe. Steingut hat den Vorteil, dass es beim Brennen absolut dicht und wasserunlöslich wird, auch wenn ihm keine Glasur aufgemalt wird. Die Quarz-Anteile darin schmelzen und füllen die Poren aus. Unter der Bedingung, dass die Brenntemperatur 1200 Grad Celsius überschreitet.
Seit wann töpferst du, und was war der Grund für den Entschluss dazu?
Im September erfüllen sich fünf Jahre seit meinem Einstieg in die Keramik-Branche und ein Jahr seit Eröffnung der Werkstatt hier. Als der Lockdown verhängt wurde, wollte ich etwas lernen, was mit Inneneinrichtung zu tun hat, die ich bald wieder vergaß, und entdeckte stattdessen den Lehm, der mich auf der Stelle gepackt hat.
Wie hast du das Mitmachen beim Hermannstädter Töpfermarkt bisher erlebt?
Dreimal schon habe ich teilgenommen und tatsächlich Erfolg feiern können. Beim ersten Mal hatte ich noch vor Markt-Schluss wirklich alles verkauft und überhaupt gar nicht daran gedacht, dass auch ich von den Veranstaltern angefragt werden würde, meine Erzeugnisse anzubieten. Die Premiere hat mich etwas unvorbereitet erwischt, es war zu wenig Ware von mir da. Im Jahr darauf wusste ich, dass es mir so nicht mehr passieren darf, und zeitgleich zum Töpfermarkt im September 2024 habe ich mein Atelier in der Unterstadt eröffnet.
Welchen Lehm kaufst du regelmäßig ein, und von wo kommen die Farben und Lacke auf deinen Gefäßen her?
Den Lehm beziehe ich aus Schäßburg, aber es ist ein aus Deutschland importierter. US-amerikanische Produkte sind die drei Töpferscheiben und der Brennofen, aber auch das kleine Werkzeug zum Verzieren, und die unverzichtbaren Lacke. Er blüht richtig, der US-amerikanische Markt für Keramik-Zubehör, weil es enorm viele Leute gibt, die hobbymäßig töpfern, auch wenn bei ihnen zuhause kein Ofen steht. Stattdessen haben sie Zugang zu ihren „community kilns“, wo alle ihre Objekte aushärten lassen können. Wichtig ist es, Lack und Lehm aufeinander abzustimmen. Würde ich mit meinen Lacken Lehm bemalen, der höchstens 1000 Grad Celsius verträgt, käme niemals die gewünschte Farbe heraus, die erst ab 1220 Grad Celsius zum Vorschein kommt. Der siebenbürgische Lehm schmilzt bei solchen Temperaturen dahin wie Eis und macht schließlich auch den Ofen kaputt.
Trotzdem greifen einheimische Töpfer besonders im Landeskreis Harghita zu ihm und machen etwa schöne Ofenkacheln daraus, die sich bewähren.
Stimmt, das Grün aus Korund ist berühmt, und es gibt Töpfer, die ihre Glasuren selber herstellen. Eine Welt für sich, man muss sich dafür nicht nur durch ganze Bibliotheken gelesen haben, sondern ist auch auf Märkte für Grundzutaten angewiesen. Zum eigenen Rezept kommt man erst durch Probieren, es ist sehr kompliziert und geht nicht ohne Materialverschwendung. Was ich kaufe, ist fertig gemischt und perfekt. Erfolg beim Töpfern hängt zu je einem Drittel von der gestalterischen und künstlerischen Arbeit, von der Qualität der Zutaten und von dem ab, was im Ofen geschieht, nur ist genau das nicht zu kontrollieren: wird erst einmal der Deckel vom Ofen geschlossen, weiß man erst beim Öffnen, was die 18 Stunden für das Erreichen der maximalen Brenntemperatur und das langsame Wieder-Abkühlen gebracht oder angerichtet haben. Gebrannt wird in zwei Etappen: für den Schrühbrand, der nicht die Höchsttemperatur bedeutet, kommen die Gegenstände noch ohne Glasur in den Ofen, und wenn sie ihre Feuchtigkeit zuvor nicht ausreichend abgegeben haben, reißen sie oder können explodieren. Wenn nur ein Sprung zu beklagen ist und nichts die Ofenwände verunreinigt hat, kann die japanische Kintsugi-Kunst helfen, den Riss zu flicken.
Was kann mit beschädigter Keramik noch versucht werden, um sie nicht durch neue ersetzen zu müssen? Dinge können immer auch herunterfallen.
Ist nur der Henkel einer Tasse oder von einem Becher abgebrochen, kann ich probieren, ihn wieder anzukleben. Oder ich schleife an der Bruchstelle so lange, bis man sie nicht mehr erkennt, und dann lässt sich das Gefäß weiter verwenden. Ist es dafür ganz gebrochen, hält es nach dem Flicken nicht mehr dicht, dann taugt es nur noch zur Dekoration. Meinen Kunden sage ich immer, dass sie die Gefäße bedenkenlos in der Spülmaschine waschen können, solange alles ganz oben hineingelegt wird. Stecken die Gefäße irgendwo unten in der Spülmaschine, weiß man nicht, was für Schläge durch anderes sie da vielleicht abbekommen.
Welche Berufstätigkeit hast du zuliebe des Töpferns an den Nagel gehängt?
Gearbeitet habe ich zunächst für Kapitalgesellschaften, für einige Kraftfahrzeug-Unternehmen und eine Zeitlang auch im Sekretariat der Deutschen Abteilung am Radu-Stanca-Theater Hermannstadt, bevor ich einen Kosmetik-Salon für Frauen hatte und letztlich hier bei der Keramik gelandet bin. Während der Covid-Pandemie habe ich eindeutig den Wunsch nach etwas anderem gespürt.
Wie kommt es, dass du für dein Atelier als „Cristina Balerina“ wirbst?
Der Name mag lustig sein, aber ich mag das Tanzen ungemein und habe spät, im Alter von etwas mehr als 30 Jahren, an Ballett-Kursen teilgenommen. Natürlich haben mich dann meine Freundinnen als Ballerina geneckt und mir diesen Kosenamen verpasst. Mir war es auf jeden Fall wichtig, und hier im hinten an der Wand im Atelier hängen sie auch, meine Ballettschuhe. Weil es echte sind, in denen ich getanzt habe.
Hier bei dir in der Unterstadt schauen sicher auch Touristen vorbei. Wovon sind sie begeistert?
Meist sind es Leute, die zum allerersten Mal nach Hermannstadt kommen, und davon beeindruckt, dass es solche Werkstätten wie bei ihnen zuhause auch an diesem Ort gibt. Über die Stadt selber kommen wir dabei nicht zu sprechen, sondern viel eher darüber, dass sie vorfinden, was sie gar nicht erwartet hatten. Die Haltung der Menschen Rumäniens finden sie sehr positiv. Interessant finde ich zu beobachten, dass Touristen von außerhalb Rumäniens etwas mit dem Lehm anfangen können, sie schauen mir bei der Arbeit zu, fragen nach, kennen sich etwas aus, und man merkt ihnen an, dass sie entweder in der Kindheit, Schule oder bei anderer Gelegenheit Kontakt zur Materie gehabt haben müssen. Ich fände es sehr schön, dass sich das auch in Rumänien Bahn bricht. Irgendwo hat es doch auch etwas Entspannendes und Therapeutisches, das Spielen mit Lehm.
Als Schulkind habe ich das Fach Handarbeit sehr gemocht. Es war sehr breitgefächert, mit Häkeln, Zubereiten von Hausschokolade und so weiter. Nur der Lehm war nicht darunter, weil die Arbeit damit auch richtig schwer ist. Das Saubermachen danach ist schon sehr aufwendig, ich möchte mir keine Lehrerin vorstellen, die das alleine tun muss. Obwohl die Kinder unbedingt mithelfen sollten beim Aufräumen. Hinter etwas Fertigem steckt viel unbeachtete Arbeit.