„Wir würden uns wünschen, mehr Frauen in den neu gewählten Parlamenten zu sehen als in der letzten Legislatur“

Interview mit der Leiterin des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bukarest, Anna-Lena Koschig Hölzl

Anna-Lena Koschig Hölzl | Foto: Dirk Hornschuch

Anna-Lena Koschig Hölzl ist Leiterin des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bukarest. Die der SPD nahestehende Stiftung ist nach dem ersten demokratisch gewählten Präsidenten Deutschlands benannt und hat in fast jedem EU-Staat ein Büro. ADZ-Redakteur Dirk Hornschuch sprach mit Koschig Hölzl über die Schwerpunkte der Stiftung vor Ort, Nachwuchsförderung politischer Talente und die Fahrradtauglichkeit von Bukarests Straßen. 

Sie sind relativ neu in der Stiftung in Rumänien. Was hat Sie dazu bewogen, nach Bukarest zu kommen?

Ich bin mit meinem Mann und unserem Kind im Juni 2022 nach Bukarest gezogen. In der Zwischenzeit haben wir nochmal Nachwuchs bekommen, so dass ich einige Monate weg war. Seit letztem Herbst bin ich zurück auf der Stelle und die Zwillinge sind jetzt ein Jahr alt geworden. 

Herzlichen Glückwunsch! Was haben Sie davor gemacht?

Eigentlich bin ich Nahostwissenschaftlerin. Ich war während des Studiums viel in der Türkei und im Iran. Lange Zeit habe ich in der politischen Bildung gearbeitet und zuletzt das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in München geleitet. Ich bin dann durch das Rotationsverfahren innerhalb der Stiftung nach Rumänien gekommen und fand das sehr spannend. Mein Mann und ich waren vorher noch nicht in Südosteuropa und das hat uns gereizt. Es ist einerseits eine ganz neue Erfahrung für uns und andererseits finden wir viele bekannte Bezugspunkte – ich durch meinen Nahost-Hintergrund und mein Mann als Portugiese. Die romanische Welt ist uns sehr vertraut, auch sprachlich. Rumänisch würde ich gern noch besser sprechen können.

Wie gefällt Ihnen Bukarest?

Sehr gut. Es gibt sehr viele schöne Ecken zu entdecken. Das Nebeneinander von verschiedenen Baustilen macht die Stadt besonders. Das viele Grün ist auch toll, die Gartenlokale, die verschiedenen Welten hinter jeder Hauswand. Aus München kommend genießen wir hier auch die Nähe zu den Bergen und zum Meer sehr.

Das einzige, was hier wirklich anstrengend ist, ist der Straßenverkehr: Wir fahren Fahrrad. Ich bringe meinen Sohn mit dem Laufrad in den Kindergarten oder mit dem Fahrradanhänger. Ein paar mehr Mitstreiter auf der Straße würde ich mir da wünschen und bei den Autofahrern etwas mehr Verständnis für andere Verkehrsteilnehmer.

Das FES Büro wurde 1998 in Bukarest eröffnet. Können Sie kurz erklären, was die Prioritäten der Stiftung hier in Rumänien sind?

Wir arbeiten schwerpunktmäßig zu vier Themen. Eines davon ist Demokratie, worunter auch die Sicherung der Demokratie fällt, der Kampf gegen Rechtsextremismus und -populismus. 

Hier ist auch die Auseinandersetzung mit Antisemitismus zu nennen: Wir bieten Lehrerfortbildungen zum Thema Antisemitismus und Diskriminierung sowie zur Auseinandersetzung mit dem Holocaust an, weil es dieses Schulfach ja nun seit zwei Jahren gibt. Es gab beispielsweise eine Bildungsreise nach Berlin für Lehrkräfte, wo es darum ging, wie das Thema in Deutschland im Unterricht behandelt wird. 

Seit ungefähr zwei Jahren arbeiten wir außerdem sehr stark zur Repräsentation von Frauen in der Politik. Dieses Jahr ist ja ein Superwahljahr in Rumänien und wir würden uns sehr wünschen, mehr Frauen in den neu gewählten Parlamenten zu sehen als in der letzten Legislatur, egal ob in den Kommunen, auf nationaler oder europäischer Ebene. 

Können Sie das konkretisieren? 

Wir bieten zum Beispiel Workshops für Frauen an, um sich vorzubereiten, auszutauschen und vor allem noch mehr Frauen zu ermutigen, sich die Plätze zu nehmen, die ihnen zustehen. 

Was sind weitere Schwerpunkte der Stiftung?

Markenkern ist auch unsere Arbeit zum Bereich Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, Gewerkschaften, gerade weil wir uns als sozialdemokratische Stiftung verstehen. In diesem Bereich machen wir viel Forschung, erheben Zahlen und geben der Debatte Futter, um progressive Politikempfehlungen zu diskutieren. Das beste Beispiel ist unser Sozialmonitor, eine Web-site, auf der regelmäßig Infografiken zu unterschiedlichen sozialpolitischen Fragestellungen erscheinen. Journalisten und die Zivilgesellschaft können dann damit arbeiten, um Argumente für eine gerechtere Sozialpolitik zu untermauern.

Einmal im Jahr berechnen wir außerdem das Existenzminimum, welches für eine Einzelperson momentan bei 3807 Lei (rund 760 Euro, Anm. d. Red.) liegt. Diese Summe besagt, wie viel Geld man für ein auskömmliches Leben braucht und das ist eine sehr wichtige Bezugsgröße, um politische Maßnahmen zu diskutieren. 

Was für einen Anklang findet das? 

Viele Influencer und Journalisten teilen die Infografiken des Monitor Social und es ist wirklich eines unserer Herzstücke, das wir seit fast 10 Jahren pflegen. Man merkt, dass es einen sehr großen Bedarf an solchen Inhalten und Studien gibt.

Eine unserer aktuellen Veröffentlichungen beschäftigt sich mit der Deckelung von bestimmten Preisen, wie die für Energie oder Lebensmittel, um die Lebenshaltungskosten in einem erträglichen Rahmen zu halten. Die Inflation ist nach wie vor sehr hoch und an diesem Thema haben wir nochmal gesehen, dass die Teuerung die Leute wirklich umtreibt. 

Unter den Kommentaren zu den Erklärvideos der FES Bukarest auf YouTube finden sich immer wieder Kommentare, die bestimmte soziale Vorschläge als Wiedereinführung des Kommunismus brandmarken. Wie gehen Sie mit einem solchen Verhalten im Diskurs um? 

Sowas passiert immer wieder, aber wir bleiben dann natürlich sachlich. Wer sich unsere Inhalte genau ansieht, wird den Unterschied schnell erkennen. Wir propagieren keine „kommunistischen” Vorschläge, sondern bewegen uns entlang der Werte der Sozialen Demokratie. 

Sie hatten noch zwei weitere Themenbereiche erwähnt. Welche sind das? 

Da wäre unser dritter Schwerpunkt, der sozial-ökologische Wandel: Das ist in Rumänien ein recht herausforderndes Feld, Stichwort Fahrradfahren in der Stadt. 

Ein besonders spannendes Projekt liegt in diesem Jahr vor uns: Wir wollen untersuchen, welche Bereiche aus diesem Themenfeld die rumänische Gesellschaft inte-ressieren und wie sich noch mehr Mitstreiter für das Thema finden lassen. 

Unser viertes Standbein, welches natürlich eine besondere Gewichtung durch den Ukraine-Krieg bekommen hat, ist der Bereich Frieden und Sicherheit. Dort sehen wir unsere Hauptaufgabe vor allem darin, Gesprächskanäle zwischen Deutschland und Rumänien herzustellen.

Rumänien ist ja ein sehr konstruktiver Partner und bedauer-licherweise deswegen auch oft nicht so sichtbar. Immerhin ist es das sechstgrößte Land in der EU. Politisch stabil und insgesamt auf einem guten Kurs. Aus unserer Sicht ein wichtiger und guter Partner auf europäischer und bilateraler Ebene. Wir merken aber, dass nun mehr Interesse am Land besteht, auch, weil der Krieg ausgebrochen ist. Und dadurch sind bestimmte Gesprächskanäle auch leichter herzustellen. 

Das heißt, die Stiftung ist auch auf dem diplomatischen Parkett unterwegs?

Ja, zumindest innerhalb der Bereitstellung von bestimmten Gesprächsformaten, wo zum Beispiel Vertreter der Außenministerien mit ThinkTanks zusammenkommen. 

Was steht in diesem Jahr neben dem Projekt zum sozial-ökologischen Wandel bei der FES Bukarest an?

Es wird eine sehr große Veranstaltung zu unserem dreißigjährigen Jubiläum geben und im Herbst stellen wir die neue Ausgabe unserer Jugendstudie vor, einem sehr großangelegten Forschungsprojekt. Hier geht es um Wünsche und Vorstellungen junger Menschen in Rumänien zu Politik und Gesellschaft. Das ist eine empirische Untersuchung, die mehrere FES-Büros in der Region durchführen. Das wird auf jeden Fall sehr spannend!

Stichwort Jugend! Die Stiftung bietet auch ein Förderprogramm für Menschen zwischen 20 bis 40 Jahren in Rumänien an, neben dem Studienstipendienprogramm in Deutschland. Können Sie einen kurzen Abriss über die Aktivitäten und Ziele dieses Stipendiums geben?

Das ist ein Programm, das es seit 2009 für politische Nachwuchskräfte oder Personen, die sich zivilgesellschaftlich engagieren wollen, gibt, und gliedert sich in vier Blockseminare, bei denen wir Trainings zu wirtschafts- und sozialpolitischen Themen, aber auch Kommunikations-Coachings anbieten.

Der große Mehrwert des Programms sind vor allem die Alumni, mit denen wir über die Jahre oft in Kontakt bleiben. Viele unserer früheren Jahrgänge sind mittler-weile in der Politik oder Administration als Bürgermeister, Staatssekretäre oder wissenschaftliche Mitarbeiter. Ziel ist es, engagierte Menschen, die sich mit den Werten der Sozialen Demokratie identifizieren, aus verschiedenen Gesellschaftsschichten und Regionen des Landes, möglichst auch viele Frauen zu Beginn ihrer politischen Karriere zu fördern und zu unterstützen. 

Ich würde mir wünschen, dass sich mehr junge Leute politisch engagieren oder zumindest von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen, denn davon lebt die Demokratie. Auch wenn die Frustration über bestimmte Vorgänge oder Personen groß ist: Man sollte nicht alle in einen Topf werfen. Mein Eindruck ist, dass es durchaus motivierte und engagierte Politikerinnen und Politiker in diesem Land gibt und die brauchen auch Unterstützung. Vor allem in der Auseinandersetzung mit den Rechtspopulisten.

Was kann Deutschland Ihrer Meinung nach von Rumänien lernen?

Improvisieren und Dinge und auch mal leichter nehmen. Die EU und die Demokratie wirklich wertzuschätzen. Das macht mir in Deutschland wirklich Sorgen, wie leichtfertig wir bisweilen mit unserer Demokratie umgehen. 

Wie lässt sich der allgemeine Rechtsruck in Rumänien, in Deutschland, in Europa aufhalten?

Die demokratische Mehrheit darf nicht leise bleiben! Eigene Positionen auch nach außen vertreten. Etwas mehr Wohlwollen gegenüber dem demokratischen System wäre eine wichtige Grundlage. Darüber hinaus müssen die demokratischen politischen Parteien ihre Positionen selbstbewusster vertreten und auf keinen Fall Positionen der rechten Seite kopieren, um so vermeintlich Wählerstimmen zurückzugewinnen.

Vielen Dank für das Gespräch!