Ein König richtete an einen Weltweisen die Frage: „Meister, sag mir: Was ist des Menschen Los?“ „Willst du es wissen“, gab der Weise zur Antwort, „so betrachte nur dein eigenes Leben, den Anfang, die Mitte und das Ende! Am Anfang deines Lebens warst du klein und hilflos. In der Mitte des Lebens umzaubert dich die Welt – wer weiß, vielleicht verführt sie noch dein Herz. Und am Ende zerfällst Du zu Staub. Das ist des Menschen Los!“ Recht hat der Weise. Aber wir Unweisen verlieren diese Wahrheit leicht aus den Augen zumal dann, wenn wir in der Mitte des Lebens angelangt sind und uns die Welt mit ihren Verheißungen von Freuden, Glück und Lebensgenuss umgaukelt. Dann sind wir in der gleichen Gefahr, wie sie uns der indische Dichter Sundar Singh so anschaulich beschreibt: „Ich lag einmal in einer wunderschönen Blumenwiese“, erzählt er, „und konnte mich an all der Pracht nicht satt schauen. Da kam ein Mann und rief mir zu, ich möchte doch weggehen, denn es sei schon mancher in diesen Blumen gestorben. ‚Wie‘, erwiderte ich, ‚sind sie denn giftig?‘ ‚Nein‘, antwortete der andere, ‚aber die Blumen sind so schön, dass die Leute ob all der Schönheit Essen und Trinken vergessen und nach und nach kraftlos einschlafen, um nicht mehr zu erwachen.“ Sundar Singh knüpft daran die Erkenntnis: Ist es nicht so mit den Gütern der Welt? Gewiss, sie sind nicht giftig. Aber viele vergessen über deren Pracht den Hunger und Durst ihrer Seele!
Um die Güter der Welt wird gerannt, geschachert, gestritten, gekämpft und oft auch gemordet. Wir verwenden so viel Zeit und Sorgfalt, um den Leib mit Essen und Trinken zu sättigen. Die Marktplätze sind voll von Menschen, oft ist großes Gedränge, doch in den Kirchen, wo Hunger und Durst der unsterblichen Seele gestillt werden kann, da gibt es freie Sitzplätze nach Belieben und überhaupt keine Drängelei. Das ist nicht nur heute so, das war auch in früheren Zeiten nicht anders. Schon die hl. Theresia ruft empört aus: „O elende Welt, wie blendest du die Augen derer, die in dir leben, so dass sie die Schätze gar nicht sehen, mit denen sie sich für alle Ewigkeit bereichern könnten.“ Wir alle sind in Gefahr, auf der gefährlichen Blumenwiese der Welt in einen hypnotischen Schlaf zu versinken, aus dem wir bis ans Ende unseres Lebens nicht mehr erwachen. Der Ruf Christi sollte uns rechtzeitig wecken: „Wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen verliert, der wird es retten!“ Es ist der Weckruf zu unserem Heil.
Merken wir uns eines: Ein Weg ist keinesfalls bloß deshalb der richtige, weil ihn viele gehen. Schauen wir unser Leben nicht als eine bloße Lustfahrt auf dem Strom des Lebens an und versinken wir nicht auf der Blumenwiese der Welt in einen gottfernen Schlaf aus dem uns nur die Gerichtsposaunen Gottes wecken können. Oder soll uns Gott vorher durch eine Katastrophe vom Schlafe erwecken, wie er es mit dem Statthalter Cäsarius von Bithynien getan hat? Am 11. Oktober 368 morgens vernichtete ein furchtbares Erdbeben binnen weniger Minuten die lebensfreudige Stadt Nizäa. Der Statthalter Cäsarius hatte seit Jahren den Empfang der Taufe hinausgeschoben. Es ließ sich eben leichter heidnisch leben als christlich. Nun lag auch er unter den Trümmern begraben und sah keine Rettung. Blitzartig erkannte er die Hinfälligkeit alles Irdischen und die Wahrheit: Es lässt sich zwar schwerer christlich leben, aber umso leichter christlich zu sterben. Nach bangen Stunden wurde der von Angst geschüttelte Statthalter aus den Trümmern lebend geborgen. Sogleich verkündete er den Entschluss: „Leb ‘wohl, eitle Welt! Ich suche mir ein anderes Haus, das nicht einstürzt in Ewigkeit. Ich suche ein Leben, das durch kein Erdbeben vernichtet werden kann.“ Er ließ sich sofort taufen und lebte auf dieser Welt, als wäre er aus einer anderen Welt.