In unserer vergangenen Dorfgemeinschaft war das Leihen gebräuchlich. Benötigte man eine Kleinigkeit und diese war nicht im Hause, ging man zu den Nachbarn und lieh sie von ihnen. Es war Ehrenpflicht, das Geliehene wieder zurückzugeben. Wer gegen dieses ungeschriebene Gebot verstieß und das Geliehene nicht zurückgab, stieß in Zukunft auf verschlossene Türen. Dieses bereitwillige gegenseitige Leihen und Ausleihen stärkte die Gemeinschaft. Auch heute sind viele Menschen auf das Leihen angewiesen. Will jemand ein Haus bauen, ein Auto kaufen oder sich einen teuren Apparat anschaffen, hat aber das nötige Geld nicht dazu, so geht er zur Bank und macht eine Anleihe. Es wird ein Vertrag abgeschlossen, in dem sich der Geldleiher dem Geldverleiher gegenüber verpflichtet, das geliehene Geld in Raten zurückzuzahlen. Hält er diese Verpflichtung nicht ein, pfändet ihn die Bank bis auf den letzten Heller.
Eigentlich ist alles, was wir auf Erden besitzen, eine Leihgabe auf Zeit: Unser Haus, unser Geld, unser Vermögen, unsere Familie, unsere Gesundheit und unser Leben. Der Verleiher ist Gott. Er hat auf eine unbestimmte Zeit uns alle Güter, die wir besitzen, geliehen. Jede Leihgabe muss zurückgegeben werden. Kein Mensch kann sich dieser Pflicht widersetzen. Fordert Gott von uns diese Leihgabe des Lebens zurück, schickt Er uns den Tod als Vollstrecker. Wir müssen alles Geliehene verlassen bis auf das Sterbehemd und den Sarg. Das ist die Wahrheit, die wir tagtäglich erleben. Ob der Mensch reich oder arm, Herr oder Knecht ist, alles, was er besessen hat, erweist sich als Leihgabe, die er zurückgeben muss.
Wir mögen uns noch so viel regen und bewegen, wir mögen, wie der korrupte Verwalter im Evangelium, auf krummen Wegen Waren oder gar Reichtümer ergattern, all dies trägt den Stempel des Geliehenen, das zurückgegeben werden muss. Keine Versicherungsgesellschaft dieser Erde kann das verhindern. Wer aber das von Gott Geliehene leichtsinnig und verantwortungslos verschleudert hat und es nicht so zurückgeben kann, wie er es empfangen hat, dem wird es ergehen wie dem Mann aus dem Evangelium. Er war ohne Hochzeitskleid in den Festsaal eingedrungen. Vom Herrn der Hochzeit musste er deshalb sein Urteil vernehmen: „Bindet ihm Hände und Füße und werft ihn hinaus in die äußerste Finsternis!“ Dem Leihgeber Gott kann kein Schuldner entfliehen.
Sind wir wirklich nur Leihende? Werden wir nie ein Eigentum besitzen, das für immer uns gehört? Doch, es gibt ein solches Eigentum, das keine Leihgabe, sondern ein Geschenk ist. Ein Geschenk wird immer Eigentum bleiben. Da aber alle Güter dieser vergänglichen Erde nur Leihgaben sind, kann das Geschenk kein irdisches Gut sein. Es besteht in der Teilnahme am ewigen Reiche Gottes in Gottes neuer Welt. Dazu sagt der Apostel Paulus im 1. Korintherbrief (15,50): „Fleisch und Blut können das Reich Gottes nicht erben; Das Vergängliche erbt nicht das Unvergängliche!“ Auf uns wartet von Gott ein Geschenk, so groß, so beglückend, dass wir es uns auch mit der kühnsten Phantasie nicht vorstellen können. Das bekräftigt der Apostel Paulus: „Wir verkünden, was kein Auge gesehen, kein Ohr gehört hat, was keinem Menschen in den Sinn gekommen ist: Das Große, das Gott denen bereitet hat, die Ihn lieben!“ (1Kor 2,9)
Dieses unfassbare Geschenk fällt uns nicht in den Schoß. Wir müssen uns dessen würdig erweisen. Das tun wir durch unseren Glauben an Gott. Im Hebräerbrief (11,6) heißt es: „Ohne Glauben ist es unmöglich Gott zu gefallen; denn wer zu Gott kommen will, muss glauben, dass Er ist und dass Er denen, die Ihn suchen, ihnen Lohn geben wird.“ Diesen Glauben bezeugen wir durch unser auf Gott ausgerichtetes Leben. Das mag uns manchmal schwer fallen, aber es zahlt sich aus. Würde man uns anbieten, einen Tag lang ein opferreiches Leben zu führen und danach tausend Jahre hindurch in Glück und Freude leben zu dürfen, würden wir uns nicht begeistert für diesen einen Opfertag entscheiden? Die Verheißung Gottes ist unendlich größer: Für schnell vergehende Jahrzehnte auf Erden will Er uns die Teilnahme an seinem ewigen Reich als Geschenk geben.Wir wollen die Leihgaben Gottes dankend annehmen, sie sinnvoll gebrauchen und „auf die selige Erfüllung unserer Hoffnung warten: auf das Erscheinen der Herrlichkeit unseres großen Gottes und Retters Jesus Christus!“ (Titusbrief 2,13)