Das Dilemma der auf rumänischen Bauernhöfen gezüchteten Schweine bleibt die Frage, ob es ein Leben nach Weihnachten gibt. Gewöhnlich treffen diese Schweine ihren Schöpfer zum Heiligen Ignatius. Nachdem das Schwein am 20. Dezember geschlachtet und tranchiert wurde, werden die am Schlachtverfahren beteiligten Personen von dem Schweine- und Hauseigentümer mit frischem, gebratenem Fleisch verköstigt. Dieses Mahl nennt man den Leichenschmaus des Schweines. Vielleicht hat man sich für diesen Begriff entschieden, um in gewisser Weise nicht nur die Arbeiter, sondern auch das bis zu dem Tag noch quiekende Wesen zu ehren.
In einem über drei Wochen in die Länge gezogenen Prozess, geprägt von Wahlen, Berichten der rumänischen Sicherheitsdienste, Eingriffen und Beschlüssen des Verfassungsgerichts usw. wurde die rumänische Demokratie wie ein Schwein geopfert. Die Schlachter saßen Ende des Jahres dann mit zufriedenem Grinsen im Gesicht am Tisch und stießen auf ihre gute Arbeit an, denn es war kein Leichtes gewesen, sich den Platz am Tisch zu sichern.
Über das ganze Jahr hinweg mussten sie links und rechts mit Geld um sich herumwerfen, um sich eine Einladung sichern zu können. Fast hätte es nicht geklappt. Fast hätte ein anderer das Schlachtmesser in die Hand gedrückt bekommen. Letztendlich konnte der von fremden Mächten geförderte Kontrahent vom Schlachtprozess und Leichenschmaus ferngehalten werden. Dafür musste man ein kompliziertes Ränkespiel in Bewegung setzen, fasten, sich mit Gegnern verbünden, Geschehenes ungeschehen machen. Doch am Ende ist alles so geworden, wie es werden musste. Das Schwein war geschlachtet, man saß am Tisch, ein Stamperl Schnaps in der Hand, den Geruch von gebratenem Fleisch in der Nase und war zufrieden, dass man sich diesen Platz auch für die nächsten vier Jahre sichern konnte.
Wie bei jedem Fest ist anfangs alles gut. Doch nach dem alles aufgetischt ist, beginnt man, auf die Tischnachbarn zu schauen um zu sehen, ob sie sich nicht vielleicht zu viel auf den Teller gepackt haben, ob ihre Bratenstücke nicht größer und saftiger sind und man beginnt, sich zu fragen, ob die es überhaupt verdienen, am Tisch mit dabei zu sein. Man lässt die eine oder andere Stichelei fallen. Man erinnert sich, dass man nicht unbedingt Freund mit den Anwesenden ist. Außerdem hat man die Gewissheit, dass man das Schlachtmesser nicht mehr aus der Hand geben muss.
Man beginnt über das gerade geschlachtete Schwein zu reden, Pläne für die Zucht der zukünftigen Schweine zu schmieden, sich die Anwesenheitsliste für die nächsten Jahre zu überlegen. Mit vollem Bauch und leicht angetrunken wird man immer selbstsicherer und die Selbstzweifel, die vor dem Schlachten noch da waren, geraten in Vergessenheit. Die einen stehen gekränkt auf und verlassen das Festgelage, die anderen trinken eine zur Schau gestellte Bruderschaft. Man bestimmt die Rollen in der Zucht des für das nächste Jahr anzuschaffenden Schweins, man beginnt nachzurechnen, was dieses kosten darf, man verteilt die Plätze am Tisch für das nächste Jahr. Mit vollen Bäuchen geht man dann in die Dorfmitte und verkündet besorgt, dass man zwar erfolgreich in diesem Jahr ein stattliches Schwein schlachten konnte, dass aber, um ein Schwein großzuziehen, der Einsatz des gesamten Dorfes notwendig ist. Dass jeder seinen Obolus zu leisten hat, dass Fastenzeiten der Selbstaufopferung anstehen. Man verspricht sogar, mit gutem Beispiel voranzugehen und selber den Gurt, der unter dem prallen Bauch kaum noch zu erkennen ist, enger zu schnüren. Aber nichts sollte einem gelungenen Fest im nächsten Jahr im Wege stehen.
Zufrieden zieht man sich zurück. Inzwischen haben die Helfer schon die verschiedenen Würste gemacht. Der Kühlschrank und die Kammern sind voll. Das neue Jahr und das nächste Schwein kann kommen.