Zugebissen: Kryonik – den Tod ausgetrickst?

Kennen Sie den Witz, wo jemand an die Himmelspforte klopft, Petrus das Tor öffnet und draußen steht einer, der sagt: „Guten Tag, ich bin der Hu“ – und weg ist er. Petrus schließt das Tor wieder, da klopft es ein zweites Mal. „Hallo, ich bin der Hu“ – und wieder löst er sich in Luft auf. Das geht so noch zwei-drei Mal, bis „der Hu“ endlich erklären kann: „Ich bin der Hubert Maier. Tut mir leid, aber ich bin gerade in einem Verkehrsunfall gestorben und wurde ein paarmal wiederbelebt.“ Der Witz fiel mir ein zum Thema Kryonik, dem Einfrieren der Körper frisch Verstorbener in der Hoffnung, sie Jahrhunderte später, wenn für ihre Todesursache ein Heilmittel gefunden wurde, wieder zum Leben zu erwecken (siehe hierzu ADZ vom 9. Mai: „Auferstehung aus dem Eis“). Abgesehen davon, dass es der Wissenschaft bis jetzt noch nicht gelungen ist, einen komplexen Organismus nach längerem Einfrieren  wieder funktionstüchtig zu machen, drängen sich dazu gleich mehrere beunruhigende Fragen in den Vordergrund. Und dies nicht nur juristische…

Etwa: Wer zahlt die Rente für den Wiederauferstandenen weiter? Wer kommt für seine Nachschulung auf? Ja – Nachschulung! Denn wenn man sich den technischen Fortschritt der letzten Jahrzehnte anschaut, dürfte man sich nach zwei-drei Jahrhunderten kaum noch zurechtfinden. Was passiert mit dem Erbe des auf unbestimmte Zeit vorübergehend Toten? Und was mit seinem Datensatz? Welche Last kommt auf die Nachkommen zu, wenn der Ur-Ur-Uropa und dann vielleicht auch noch die Ur-Urgroßeltern, usw. alle plötzlich wieder leben? Was, wenn das Auftauen nicht reibungslos klappt und der Wiederbelebte den Rest seines zweiten Lebens an irgendwelchen Schläuchen hängen muss? Oder der Dienstleister der Kryonik pleite geht? Oder die versprochenen 200 Jahre nicht ausreichen, um die Todesursache rückgängig zu machen? Wird der Körper, wenn das Geld futsch ist, aufgetaut und bestattet? Und wer zahlt dann dafür?

Nein, nicht die juristischen Fragen sind es, die mir die Haare zu Berge stehen lassen. Sondern diese: Was passiert mit der Seele? Sprich: Mit dem Etwas, das das Körperfahrzeug von der Geburt bis zum Tod betreibt und durch Stoffwechsel dafür sorgt, dass es nicht gleich wieder zerfällt, damit es Zeit hat, auf dieser Erde gewisse Erfahrungen zu machen. Sich weiterzuentwickeln, zum Beispiel. Die Frage wirft uns zurück auf den uralten Konflikt: Ist das Bewusstsein Produkt des Gehirns? – Oder benutzt es das Gehirn nur? Und falls letzteres der Fall ist: Wo geht es hin, solange der Körper nicht endgültig tot ist, aber auch noch nicht wieder lebt? Und: Will es, muss es, kommt es dann von dort, wo auch immer das sein mag, bereitwillig zurück?

Die Frage stellt sich freilich nur für jene, die an eine Welt jenseits der Materie glauben. Die dann aber auch keine Angst vor dem Tod haben müssten, denn auf sie wartet je nach Religion das ewige Leben - oder eine neue Runde auf dem Planeten: anderer Körper, anderes Schicksal, der Tod als Resetknopf dazwischen. Neue Chance? Neue Spielebene? Vielleicht auch nur Mechanismus für ausgleichende Gerechtigkeit im Laufe eines langen Zyklus an Reinkarnationen...

Angst vor dem Tod muss nur  haben, wer nicht an eine Seele glaubt. Denn würde man nur ein Fitzelchen dessen, was Religionen vermitteln, für möglich halten, müsste man sich doch fragen: Bleibt die Seele durch den zwischen Leben und Tod „angehaltenen“ Körper nicht daran gefesselt? Muss sie ausharren neben ihrer Noch-nicht-Leiche, bis sich deren Schicksal entscheidet - oder immer wieder zurückkehren zu ihrer Mumie, wie die Alten Ägypter glaubten? Die Schamanen eines hawaianischen Urvolks, die Kahuna, glaubten, dass der Mensch in Etappen stirbt: zuletzt ginge der „Geist“ der Knochen. Andere Völker verbrennen ihre Toten: Ist die Seele dann mit einem Ruck frei? 

Zu denken sollte einem geben, dass es kaum je ein Volk gab, das nicht an einen Fortbestand nach dem Tode glaubte. Atheismus scheint ein Phänomen der Moderne zu sein. Ein Phänomen der rein Technikgläubigen, die es für möglich halten, dass künstliche Intelligenz (KI) eines Tages das Leben ersetzen kann, sobald sie nur ausreichend entwickelt ist. Wobei  sich wiederum die Frage stellt: Ist KI, wenn sie den Menschen gut genug simuliert, dann tatsächlich „bewusst“? Oder: würden nichtkörperliche Bewusstseinsformen ein technisches Ersatzfahrzeug zum menschlichen Körper akzeptieren, sobald es ähnliche Möglichkeiten böte? Sprich: Würden Seelen in Computer inkarnieren?

Eine rumänische Ministerin wurde wegen ihres Ausspruchs zur Zeit der Pandemie – „stell dir vor, du schläfst ein und erwachst tot“ – ironisiert. Doch so dumm ist der Gedanke nicht. Bereits 1975 berichtete der Psychiater Raymond Moody in seinem Bestseller „Leben nach dem Tod“ von genau diesem Phänomen: Klinisch Tote, die sich nach ihrer Wiederbelebung an ihre Nahtod-Erfahrung erinnerten. Längst mehren sich die Hinweise auf ein den Tod überlebendes Bewusstsein. Einen wissenschaftlichen Beweis dafür will der Arzt und Informatiker Prof. Dr. Oliver Lazar in seiner EREAMS-Studie erbracht haben (lesenswertes Buch: „Jenseits von Materie. Bewegende Erfahrungen eines Wissenschaftlers mit der geistigen Welt und seine Jenseitsforschung“). 

Wer sich beim Gedanken an Kryonik jetzt noch immer nicht gruselt, mag sich fragen: Was gewinnt der Kunde solcher Dienstleistungen selbst im allerbesten Fall? Einen Aufschub – vielleicht sogar für ein paar Runden. Vor allem aber: eine Wiederauflage seiner Angst vor dem Tod!