Wenn rumänische Eltern bei ihrem minderjährigen Sohn oder der minderjährigen Tochter ein Kondom finden, ist es meist ein Skandal. Dass Jugendliche bereits Geschlechtsverkehr haben könnten, möchten viele oft still schweigend ignorieren. Sexuelle Aufklärung wird in den meisten Schulen kaum bis gar nicht behandelt. Stattdessen tabuisiert die rumänische Gesellschaft das Thema und lehnt eine offene Diskussion meist ab. Es ist eines der Hauptursachen, weshalb der Humanes Immundefizienz-Virus (HIV) weiterhin grassiert. Zwar ist die Zahl der angesteckten Opfer in West-Rumänien relativ durchschaubar, jedoch wächst diese auch im Vergleich zu den Vorjahren.
Einige hundert Menschen aus den Kreisen Temesch, Carasch-Severin, Arad und Hunedoara müssen mit dem Virus leben. Experten gehen davon aus, dass die Zahl deutlich höher liegt. Viele wissen entweder nicht, dass sie HIV positiv sind oder ziehen es vor das Problem zu ignorieren. Bis zum Immundefizienzsyndrom AIDS können gut sieben bis zehn Jahre verstreichen. Viele gehen oft zu spät zum Arzt, nachdem sich die Symptome verschlimmern und die Krankheit nicht mehr ignoriert werden kann. Zwar können Behandlungen den Fortschritt selbst in späten Stadien bremsen und das Leben der Patienten verlängern, jedoch treten dann meist auch Komplikationen ein. Darum raten Ärzte und Vereine, die sich für die Bekämpfung von AIDS einsetzen, dass man sich der Krankheit stellt und zwar je eher desto besser.
Das klingt leichter gesagt als getan, meint die Psychologin Dana Biriş und spricht aus Erfahrung. Seit zwei Jahren berät sie Menschen die HIV positiv sind. Ein Großteil ihrer Patienten sind jungen Erwachsene zwischen 23 und 24 Jahre. Sie steckten sich mit dem Virus im Säuglingsalter an, aufgrund der desaströsen Bedingungen in den rumänischen Krankenhäusern kurz vor der Wende. Eine ganze Generation muss aufgrund der Verantwortungslosigkeit von Ärzten und mangelnder Hygienemaßnahmen mit dem HIV Virus leben. Die jungen Erwachsenen kennen ein Leben ohne den gefährlichen Virus nicht. „Viele von ihnen haben die Behandlung irgendwann satt und wollen aufgeben“, erklärt Biriş. „Ich muss ihnen dann wieder Mut machen und sie davon überzeugen, dass sie ohne die Behandlung sterben werden.“
Mit HIV kann man leben, versichert die Psychologin allen ihren Patienten. Besonders für diejenigen, die erst kürzlich mit dem Virus diagnostiziert wurden, bricht eine Welt zusammen. „Die meisten spüren dann zuerst die Notwendigkeit, sich an ein enges Familienmitglied oder Freunde zu wenden“, meint sie. „Ich rate ihnen in der Regel davon ab, weil nahestehende Personen in diesen Situationen generell viele Fragen stellen. Fragen, auf die das Opfer meist noch keine Antworten hat.“ Zuerst müssten HIV-Infizierte mit sich selbst ins Reine kommen und die Lage akzeptieren, ehe man sich anderen Menschen öffnet. Bei vielen Patienten würde es gar nicht dazu kommen. „Wie viele Menschen kennen Sie persönlich, die HIV positiv sind?“ fragt Biriş meist rhetorisch, denn die meisten Menschen können keinen konkreten Beispiel aus ihrem Bekanntenkreis nennen.
Die meisten HIV-Infizierten ziehen es vor, ihre Krankheit für sich zu behalten, weil die Gesellschaft sie deswegen ausgrenzen würde. Besonders schwierig haben es Homosexuelle. Sie müssen oft sowohl die Krankheit als auch die sexuelle Orientierung vor Kollegen, Familie und sogar Freunden geheim halten. Die Psychologin veranstaltet seit einigen Wochen eine Hilfegruppe für HIV-infizierte Homosexuelle.
„Gesunde Menschen haben oft tausend Wünsche“, meint Biriş. „Kranke Menschen nur einen: Sie wollen ein normales Leben führen können.“ Die Psychologin schafft Ängste und Bedenken schnell aus der Welt: Man kann mit HIV ein langes und erfülltes Leben führen. „Es ist nicht anders als bei Diabetikern, die sich auch tagtäglich Insulin spritzen müssen“, erklärt sie. Die Kosten für die teuren Medikamente trägt die Krankenkasse: „Bisher hat jeder Patient seine Medikamente erhalten. Es gibt in dieser Hinsicht keine Probleme.“
Nicht nur junge Menschen suchen die Psychologin auf. Es gibt auch ältere Patienten über 50 oder 60 bei denen HIV festgestellt wird. „Die älteren Patienten gehen meistens für andere Beschwerden zum Arzt und müssen dann feststellen, dass sie HIV positiv sind.“ Anders verhält es sich bei jungen Menschen, die sich freiwillig testen lassen.
Aufklärungskampagnen werden regelmäßig durchgeführt, die jüngste fand in der ersten Dezemberwoche statt. Jedoch zeigen sie kaum Ergebnisse. In Rumänien bleibt HIV und AIDS ein Tabuthema genau wie Sex. Darüber redet man lieber hinter verschlossenen Türen und wenn es geht gar nicht.