Hat eine Rangfolge der großen Korruptionsfälle Rumäniens einen Sinn? Der Fall des geschassten obersten Steuereintreibers, Sorin Blejnar (und der Abhörprotokolle seiner Gespräche mit Präsident Băsescu – der ihn jenseits des üblichen Dienstherr-Dienstknecht-Verhältnisses duzt); der Bankenausraubring um den Ex-Securitate-General des Auslandsgeheimdienstes SIE, Dragoş Diaconescu, dem hohe und höchste Bankenbeamte und der Chef der staatlichen Bankengarantiebehörde angehören; die hierarchisch organisierte Meute der Eisenbahn-Kleinkorrupten (vom Schaffner aufwärts), die es bei CFR auf einen Schaden von mindestens 20 Millionen Lei gebracht hat? Welches ist der gegenwärtig größte Korruptionsfall Rumäniens, nachdem sich der Fall der Schmuggel-Zöllner von 2011-12 für die Schengen-Nasen als diskret unterdrücktes Fürzchen entpuppt hat?
Oder geht es – wie in diesem Land nicht selten geschehen – um das Aufrollen neuer Korruptionsskandale, mit dem Zweck, einen vorgegangenen (ich nehme an: den des obersten Steuereintreibers Blejnar) schnell in die Vergessenheit abzudrängen?
Bei Humanitas ist in diesem Jahr ein lesenswertes Buch über die Korruption im Rumänien erschienen: Cristian Ghinea: „Eu votez DNA! – De ce să apărăm instituţiile anticorupţie“, das sein Autor über mehrere Folgen in „Dilema Veche“ unter dem Vorwand der Analyse der Korruption und der Antikorruptionsmechanismen in Rumänien bewirbt.
In Gesprächen mit den Hauptakteuren der Korruptionsbekämpfung und Leitern der einschlägigen Institutionen, in Essays und Dokumenten skizziert Ghinea einen Korruptionsspiegel Rumäniens. Er bringt auch viele mentalitätsverankerte Aspekte zur Sprache, etwa durch den nervösen Kollaps seiner kranken Großmutter, die, als sie mitkriegt, dass der Arzt das ihm von Familienmitgliedern diskret zugesteckte Trinkgeld verweigert, heftig schluchzend schlussfogert: „Weh, für mich gibt es keine Rettung mehr: der Arzt hat das Trinkgeld nicht angenommen, weil er mich verlorengegeben hat! Ich bin unheilbar, ich sterbe!“ Undenkbar, dass ein/d(ies)er Doktor kein Schmiergeld annimmt!
Oder die Sache mit dem „Recht“, mit dem das Volk das Trinkgeld meint. „Ich habe ihm sein Recht gegeben“, wird Kleinkorruption rechtfertigt. Ghinea: „Wir haben uns so sehr an die Korruption gewöhnt, dass wir sie als soziales Phänomen akzeptieren. Wir zähmen sie durch die Wortwahl, machen sie sozial akzeptabel.“ Schmiergeld = Recht. Umkehrschluss: Kein Schmiergeld = ?
Von da ist in höchste Politiker- und Staatslenkungskreise nur ein Schritt. Auch die dort Oben wollen ihr „Recht“ – oder nehmen es sich. Ghinea: „Mir scheint, wir sind ein Volk, das leidenschaftlich die Korruption hasst, aber viel Verständnis aufbringt für die Korrupten.“ Wie im Kindergedicht „Căţeluş cu păru´ creţ“. Ein sozialer Scheinbruch: Korruption als Spalter der Gesellschaft. Die Korruptionsbekämpfer sind die Korrumpiertesten. Daher „Korruption ohne Korrupte“, „Korruption = Fatalität“. Einzige Lösung zum sozialen Frieden: der Pakt mit den Korrupten - sie sollen von sich aus fordern, ins Gefängnis gesteckt zu werden!