Die schwankenden Stimmungen der Auswanderer bestimmen in diesem Kapitel mit der Überschrift „Die Völkerwanderung hebt an“ gleichermaßen Sorgen und Heiterkeit, unerwartete Zwänge und doch Vorfreude auf das unbekannte Land. Unerwartet kommt für manchen die Vorgabe, dass nur Verheiratete ins gelobte Land weiterreisen dürfen. So kam es in Regensburg zu schnellen Hochzeiten, was unser Volksschriftsteller augenzwinkernd beschrieben hat, nicht ohne den Hintergedanken, noch einmal die erstaunliche Buntheit der Auswanderer-Gruppen aufzuzeigen:
Eine Nassauerin und ein Bauernbube aus dem Schwarzwald, ein Luxemburger Leinenweber und ein Schwabenmädel vom Bodensee wären wohl niemals im Leben zusammengekommen, das war nur auf Befehl in Regensburg möglich. Und so wie diese mischten sich die anderen Paare; in dem Hochzeitszug bei der dreizehnfachen Kopulierung erklangen alle Mundarten und erglänzten alle Trachten aus dem Süden und Südwesten des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation. Ob sich die Paare alle verstanden haben? Das war nicht ganz sicher. Aber wahre Liebe überwindet jeden Dialekt. (AMG)
Weitere Überraschungen in Regensburg, und dies nicht allein für die Auswanderer: Das „Moidle“-Schiff, das heiratswillige Mädchen Richtung Banat beförderte, und die „ Riesenplätten“ der Kelheimer (bei A.M.-Guttenbrunn „Kehlheimer“) Schiffbaumeister, auf denen bis zu fünfhundert Menschen Platz fanden! Hier nur eine bruchstückhafte Beschreibung:
Um die Mittagsstunde war die erste Kehlheimer Riesenplätte in Bereitschaft zur Fahrt.
Das Floss trug eine Herrenhütte mit mehreren Zimmern, eine Flucht von Baracken (…), zwei Küchen und sonstige gedeckte Räume, einen Stall für fünf Schlachtochsen und einige Kühe,einen Hammelstall und einen Standplatz für Pferde, die die Auswanderer mitgenommen hatten. Die Fuhrwerke mussten auch hier zerlegt werden, um Raum zu schaffen für die Menschen. Fünfhundert Zahler mussten mit,wenn die Rechnung des Unternehmens stimmen sollte. Und auch an einem Gefängnis fehlte es nicht...(AMG)
Doch weiter ging's nach Wien, denn die Drehscheibe zur Auswanderung nach Ungarn war die Kaiserstadt. Da fühlt sich der Erzähler zu Hause, beschreibt die rasante Entwicklung der Hauptstadt des Habsburger-Reichs nach dem Sieg über die Türken 1683 am Kahlenberg voller Sympathie. Er erweist sich als großer Verehrer des Kaiserhauses, lässt die Hofgesellschaft vor allem im Kapitel „Fronleichnam in Alt-Wien“ in hellstem Glanz leuchten. Die etwas verschüchterten, in der Zuschauermenge eingekeilten Auswanderer erleben die große Prozession an der Spitze mit dem Kaiserhaus. Doch ihre Sorgen werden dadurch nicht gemildert. Dem Erzähler gelingt es im Kapitel „Die Schwaben in Wien“ die Vorgänge hinter den Kulissen der Macht in Bezug auf die Besiedlung des befreiten Banats wie selbstverständlich in das Romangeschehen einzufügen und mit dem anschwellenden Zustrom der Ansiedler und deren Existenzfragen zu verbinden.
Am Wiener Hof gab es unterschiedliche Auffassungen über die Besiedlung des Banats nach den siegreichen Schlachten des Marschalls Prinz Eugen gegen die Türken bei Peterwardein, Belgrad und Temeswar. Prinz Eugen sprach sich eher für deutsche Siedler aus, ganz im Sinne des für die Ansiedlung zuständigen Hofkammerrats von Stephany, der eigens eine „Ansiedlungskommission“ ins Leben gerufen hatte, um den Siedlern die Wege zu einem Neuanfang im unwirtlichen Banat zu erleichtern. Aus der Umgebung des Kaisers verlautete, dass die Werbung für das Banater Ansiedlungswerk u.a. auch in Spanien, Italien und Frankreich zu betreiben sei. Damit klingen über das Banat hinausreichende europäische Interessen der Habsburger an.
Diese für die Siedler verborgenen Hintergründe und ebenso der geniale Feldherr Eugen von Savoyen erscheinen nur am Rande des Banater Kolonisations-Geschehens, stellen dieses jedoch in größere historische Zusammenhänge.
Graf Mercy pflegt notwendigerweise die Kontakte zur Wiener Hofkammer, vor allem zu dem für das Banater Siedlungswerk so wichtigen Hofkammerrat von Stephany, der seine Zukunftspläne für das neu eroberte Land nach Kräften unterstützt. Prinz Eugen hatte inzwischen schon andere Schlachten zu schlagen, blieb aber Graf Mercy zugetan. Dessen Adoptivsohn Anton von Mercy – er kümmerte sich im Auftrag seines Vaters um die Schwäbische Türkei - wird während eines
Aufenthalts in Wien von Prinz Eugen in dessen berühmtem Palast und Park Belvedere empfangen. Auch dies ist ein Kunstgriff unseres Erzählers, um das Erscheinungsbild des ansonsten als Mythos so gut wie unsichtbaren Generalissimus zu skizzieren. Dies aus der Sicht des jungen Mercy, dem zunächst die eigenartige Sprache des Savoyers auffällt:
Mercy nannte seinen Namen. Ich weiß, Conte, ich weiß. Ambassadore von meine liebe Mercy! Wie geht ihm? Was gibt Neues im Banat?
Der kleine Mann mit dem lederbraunen Gesicht und der großen weißen Perücke machte auf den ersten Blick den Eindruck eines hässlichen Menschen. Seine Nase war ein wenig aufgestülpt, die Oberlippe zu kurz, so dass der Mund stets offen stand und die Zähne sichtbar blieben. Nichts empfahl ihn als sein blitzendes, geistvolles Auge. Sonst war er das lebendige Spottgedicht auf einen Prinzen und Krieger. Anton von Mercy machte sich unwillkürlich kleiner, als empfinde er es peinlich, den großen Helden an sich emporblicken zu lassen. (AMG)
Zum vorerst dominanten Erzählstrang des „Schwabenzugs“ mit seinen wichtigsten Stationen und einer Reihe von Episoden - darunter auch die schmerzhaften Erfahrungen der Familie Trauttmann auf dem Gutsbesitz eines ungarischen Land-Adeligen - gesellt sich als zweiter Handlungsschwerpunkt die frühe Ansiedlung im Banat und - am Rande - in der Schwäbischen Türkei.
Fortsetzung folgt