Ernst Jandl führte große Sprachexperimente mit Präzision durch. Wo andere die Sprache auf ein Podest stellten, wagte er Schnitte einzusetzen. Er riss ungeniert Vokale und Konsonanten raus, reduzierte ganze Wörter auf Geräusche. Wie sonst könnte man den Krieg beschreiben, außer durch laute, hektische Artikulationsdesaster. Es bedurfte keiner 30.000 Wörter. Jandl kam meist mit einem Wort aus. Wenn er den Bogen überspannte, kamen vielleicht zehn Wörter zusammen. Die Ergebnisse seiner lyrischen Experimente mussten immer von ihm selbst vorgetragen werden. Womit sich Schriftsteller oft schwer tun, wurde für den Wiener zur persönlichen Spielwiese. Andere stammeln ihre Texte in den Boden, Jandl brachte seine durch Eigeninterpretation zur Vollendung. Und das immer wieder meisterhaft. Selbst dann, wenn ein Jazzorchester ihn umzingelte.
Als seine Stimme am 9. Juni 2000 für immer verstummte, konnten die Gedichte des österreichischen Lautendichters über den Verlust nicht hinwegtrösten. Man muss sich verbissen gegen Äußerungen stellen, die seine Werke post mortem als „nur halb so gut“ deklarieren. Vermissen tut man ihn aber schon. Denn keiner konnte seine Gedichte besser vortragen. Das hat man auch bei der Eröffnung der „Ernst Jandl: On Stage“- Ausstellung in Temeswar/Timişoara gemerkt. Die Schauspielerin Dana Borteanu konnte dem unverkennbaren Stil Jandls nicht gerecht werden. Dafür stimmte der Grundton nicht.
1965 verwechselten britische Zuhörer in der Royal-Albert-Hall Ernst Jandls Stimme mit der von Adolf Hitler. Jandl trommelte gerne darauf los, um den bissigen Klang der Nationalsozialisten zu karikieren. Der Österreicher wusste wieso und auch das Publikum verstand es, die Anspielung zu würdigen, wenn sie auch manchmal für empörte Gegenstimmen sorgte.
Kontroversen löste auch „Die Ernst Jandl Show“ aus. Zum 10. Todestag des Dichters veranstalteten das Museum Wien und das Ludwig Bolzmann Institut in Zusammenarbeit mit der Österreichischen Nationalbibliothek eine Ausstellung zur Person Ernst Jandl. Seltene Filmaufnahmen rückten den Schriftsteller als Performancedichter in den Vordergrund. Es wurde von den Veranstaltern als der letzte große Auftritt eines Popstars gepriesen. Selbst der bekannte Entertainer Harald Schmidt machte für die „Ernst Jandl Show“ Werbung. Dabei spaltete besonders ein Gedicht Besucher und Presse. Mit der „Wiener Futoper“ schlich sich angeblich auch Pornographie in die Ausstellung ein. Die einen nahmen es mit Humor auf, die anderen lehnten es vehement ab. Ob das noch Kunst wäre, fragten sich manche Pressestimmen.
Bis nach Temeswar haben die kontroversen Streitgespräche nicht gereicht. Hier wurde Ernst Jandl melancholisch empfangen. Als ein Dichter für alle Altersgruppen wurde er beschrieben. Als ein Meister der postmodernen Dichtung.
Die mobile Ausstellung „Ernst Jandl: On Stage“ ist ein Resümee „Der Ernst Jandl Show“. Sie konnte bereits in Hermannstadt im Brukenthal-Museum besichtigt werden. Im Frühjahr konnten noch Berliner in den Genuss des Performancedichters kommen, ehe sie zur Reise nach Rumänien aufbrach. Möglich machte es das Literaturhaus Berlin, das deutsche Kulturzentrum Temeswar und das österreichische Kulturforum Bukarest. Durch das Literaturhaus Berlin kam auch die Hannah-Arendt-Ausstellung nach Temeswar.
„ Es ist unübersehbar, dass Temeswar derzeit vom Literaturhaus Berlin etwas okkupiert wird“, scherzte der Projektleiter des Literaturhauses Berlin, Dietrich Lutz. Thematisch würden die beiden Ausstellungen kaum zueinander passen, meinte Lutz. Schließlich habe er aber dann doch eine Verbindung gefunden. Das Gedicht „lichtung“ von Ernst Jandl, das auf den Einladungen gedruckt wurde, würde die Lücke zwischen Hannah Arendst politischem Gesamtwerk und Jandls Sprachexperimenten schon füllen. Lutz zitierte: „manche meinen/ lechts und rinks/kann man nicht velwechsern/werch ein illtum!“
Damit füllte Lutz nicht nur die Lücke zwischen den beiden Ausstellungen, die in Temeswar in der nächsten Zeitspanne zu sehen sind, sondern schaffte auch Bedenken aus der Welt, die im deutschsprachigen Raum vor einem Jahr kursierten. Wo Jandl als Dichter hingehört, muss jeder mit sich selbst vereinbaren. Muss aber dafür zumindest einmal „Ernst Jandl: On Stage“ sehen. Gelegenheit hat man noch bis am 18. Dezember dazu.