Draußen ist bereits dunkel geworden. Im großen Sportsaal der West-Universität in Temeswar/Timişoara brennen die Lichter, und viel Lärm füllt den Raum. Es wird Basketball gespielt. Die Sportschuhe knirschen auf dem Fußboden, Bälle schlagen gegen die Wand und einige geraten auch in den Korb. Der Saal ist in zwei eingeteilt. Auf beiden Seiten wird Basketball – einfach zum Vergnügen – gespielt. Genau in der Mitte scheinen zwei Männer aus einem anderen Film zu sein. Sie finden zwei Haken, an denen sie ein 15 Meter langes Seil befestigen. Kaum sind sie mit dem Aufbau fertig, schon hüpft einer der beiden Männer spielerisch auf die nur zwei Zentimeter breite Linie. Er balanciert. Und dreht sich wieder um. Nun beginnt er, mit Keulen zu jonglieren. Für ihn scheint es, als sei das Band so breit wie eine Straße. Links und rechts fliegen Basketbälle herum. Niemand scheint von dieser außergewöhnlichen Tätigkeit im Sportsaal der West-Universität besonders beeindruckt zu sein. An die Präsenz der ausgefallenen Sportler George Lungu (25) und Flaviu Cernescu (30) haben sich die anderen schon längst gewöhnt. Die zwei üben das Slacklining in Temeswar aus und kommen zwei Mal pro Woche hierher, um auch im Winter das Gleichgewichthalten zu üben.
Das Gleichgewichthalten ist für eine Handvoll junger Leute in Temeswar zu einer Herausforderung geworden. Slacken, Slacklinen oder einfach Slacklining heißt die neue Trendsportart, die einige ausgefallene Sportler auf den Straßen von Temeswar, in den Parks oder über dem Bega-Kanal betreiben. Die Sportart ähnelt dem Seiltanzen, doch hier balanciert man auf einem Schlauchband oder Gurtband, das zwischen zwei Befestigungspunkten gespannt ist. Dieses Band nennt man Slackline, auf gut Deutsch: schlaffe Leine. Doch mit einer „schlaf(f)enden Leine“ hat es wirklich nichts zu tun. Denn die Sportler balancieren auf einem elastischen, flachen Nylonband, das zwischen zwei Punkten so fest gespannt wird, dass man darauf gehen kann. Slacklining funktioniert auf Lowlines, in geringer Höhe über dem Boden, auf Highlines, in großen Höhen, über Wasser oder über lange Strecken. Je nach der Art der Slackline können die Kosten für das Band samt Zubehör zwischen knapp 70 und mehr als 200 Euro liegen.
Im Winter kann man die Temeswarer Slacker nur selten auf der Straße sehen – doch im vergangenen Sommer hat sie fast jeder Temeswarer mindestens einmal auf der Straße angetroffen.
Sorgfältig wird Schritt nach Schritt auf das dünne Seil getreten, bis man von einer Seite zur anderen vorankommt. Zwischen zwei Bäumen im Botanischen Park, von einem Ufer zum anderen über dem Bega-Kanal oder von einem Fenster zum anderen im Innenhof der sanierungsbedürftigen U-Kaserne spannten die „Freaks“ ihre Slackline aus und balancierten darauf. „Nein, in der U-Kaserne waren nicht wir, Sie verwechseln uns“, sagt George Lungu lächelnd, denn das Gebäude ist ein Privateigentum. Man gerät bald außer Atem, wenn man sie in einer beindruckenden Höhe von einigen Metern balancieren sieht – denn die „einfache“ Herausforderung bloß über das Seil zu gehen, ist für die Extrem-Sportler nicht mehr so interessant. Doch gerade als Extremsportler sieht sich der 25-jährige George Lungu gar nicht. Er kann sich aber, obwohl er es nicht selber sagt, als Initiator der Gruppe „Slackline Temeswar“ bezeichnen.
Eine billige doch hundertprozentig intensive Freizeitaktivität
Alles begann für ihn als eine Notwendigkeit, eine billige Freizeitaktivität zu betreiben. „Diese sollte unbedingt an der freien Luft stattfinden und dabei wenig Geld kosten“, sagte er sich. Der Master-Student für Wirtschaftswissenschaften kannte diese Sportart von anderen Leuten und als erfahrener Bergsteiger nahm er ein Kletterseil und einen Gurt, suchte zwei Bäume im Pădurice-Park am Temeswarer Stadtrand, spannte das Seil und versuchte, darüber zu gehen. „Das war gar nicht leicht. Ich schaffte erstens nur einige Schritte. Doch das Wichtigste war, dass ich noch am selben Tag lernte, auf dem Seil mein Gleichgewicht zu halten“, sagt George Lungu. Kurz darauf lernte er Flaviu Cernescu kennen. Der 30-jährige IT-Ingenieur aus Bokschan/Bocşa ist bereits eine bekannte Figur in der Stadt an der Bega, wenn es um ausgefallene Tricks auf dem Einrad oder ums Jonglieren geht. „Flaviu konnte bereits auf dem Seil gehen, als wir anderen am Anfang nur darauf stehen konnten“, erzählt George Lungu. So begannen sie sich täglich zu treffen und gemeinsam zu trainieren. Zuerst in den Parks, dann über der Bega und an Wochenenden außerhalb der Stadt. Wenn die Slackliner-Gruppe am Anfang knapp sieben Mitglieder zählte, so sind es mittlerweile ungefähr fünfzehn (Männer und Frauen zwischen 16 und 30 Jahre alt), die diese Sportart regelmäßig ausüben.
„Pure Herausforderung – das Beste ist, wenn man über die gesamte Linie gegangen ist“, sagt George Lungu. Denn eben darin besteht auch die besondere Herausforderung des Slacklining: Die Line gibt nämlich unter dem Gewicht des Balancierenden nach, sodass dieser seine Bewegungen ständig ausgleichen muss. George Lungu sagt, dass ein komplettes Zubehör für Hightline etwa 800 Euro kostet.
Moderner Seiltanz mit Akrobatik
Slacken scheint für viele eine Art moderner Seiltanz mit Akrobatik zu sein, so wie man es aus dem Zirkus kennt. „Doch Slacken hat damit nur noch wenig gemeinsam“, meinen die Temeswarer Slackline-Experten. Slacken bedeutet für viele ein zusätzliches Balancetraining für verschiedene andere Sportarten wie Klettern, Snowboarding und Schilaufen oder wie für Flaviu Cernescu, für das Fahren auf dem Einrad.
Ausprobieren kann es jeder: Laut den Experten George Lungu und Flaviu Cernescu genügen wenige Stunden Übung, um auf der Slackline zumindest sicher stehen zu können. Mit einer stützender Hand kann man darauf auch die ersten Schritte durchführen. Den Blick darf man nicht auf die wackelnde Slackline unter sich richten, sondern auf eine feste Position vor sich halten. Eine gerade Oberkörperhaltung und die Hände zum Ausbalancieren benutzen, dabei soll man die Füße wie beim Gehen auf dem Boden voreinander und nicht zu sehr nach außen drehen. „Slacklining ist eine Kombination aus körperliche Kraft und Ausdauer. Doch was einen guten Slackliner ausmacht, ist der Wille, weiter zu üben, auch wenn es am Anfang schwierig und vielleicht unmöglich scheint“, sagt Slackliner Flaviu Cernescu abschließend, nimmt die Keulen in die Hand und schwingt sich auf die Slackline. Er muss von der Zeit, die ihm fürs Üben im Sportsaal der Westuni zur Verfügung steht, maximal profitieren. Damit er im Sommer, wenn die Sonne scheint, das Seil wieder zwischen zwei Bäumen spannen und ohne herunterzufallen Kunststücke vorführen kann – zum Genuss der Passanten, die den Sportlern immer gerne zuschauen.