Das Stück „Pentru ca meriţi“ (dt. „Weil du es verdienst“) entlarvt die rumänische Gesellschaft als eine zutiefst chauvinistische, in der Frauen nicht nur um Gleichberechtigung kämpfen müssen, sondern im Kampf dafür, aufgrund von Entscheidungen, die Frauen gezwungen sind zu fällen, gnadenlos verurteilt werden. Es gibt nur ein Entweder-Oder für eine Frau, die beides haben möchte: Familie und Karriere. Will sie im Beruf erfolgreich sein, muss sie ihr persönliches Leben dafür opfern, besonders die Zeit für ein Kind. Wünscht sie sich eine Familie, dann wird sie prompt in die Schublade „Hausfrau“ gesteckt.
Das Dokumentarstück aus Bukarest, das vor Kurzem auch in Temeswar/Timişoara gespielt wurde, stellt diese Situation überspitzt dar und zwingt dem Publikum die männliche Sicht auf. Zuschauer bleiben am Ende mit einem bitteren Nachgeschmack zurück. Besonders das männliche Publikum fühlt sich überrumpelt, der aufgesetzte Spiegel entrüstet. Eben weil die Schauspieler Artikel, wissenschaftliche Arbeiten, Gesetzesentwürfe, literarische Werke zitieren – alles von Männern verfasst, die sich anmaßen, Entscheidungen, die in erster Linie Frauen betreffen, diesen aufzuzwingen.
Die Gretchenfrage hier bezieht sich in erster Linie auf die Frage: Ist Abtreibung moralisch verwerflich und sollte man es dann machen oder nicht? Das Stück nimmt die Antwort vorweg mit einem entschiedenen „Nein“. Wobei diese Meinung nicht die Macher des Stückes beziehen. Der Dokumentarstil erlaubt es ihnen, dieses Problem objektiv darzustellen, indem sie Beweise erbringen. Es wird keine wirkliche These aufgestellt, sie ergibt sich aus den zitierten Quellen, die hier als dramatischer Text fungieren.
Das Problem 2015, so wie es das Stück aufzeigt: Männer glauben, zu verstehen, was in einer Frau vorgeht und erheben den Anspruch, diese Entscheidung für sie zu treffen. Geht es nicht nach ihrem Willen, so wird die Frau, weil sie es wagt, einen eigenen Willen zu haben, verteufelt. Die weiblichen Schauspielerinnen repräsentieren individuelle Frauenschicksale. Sie erzählen davon, wie es denn ist, ein Kind zu kriegen und ein Kind zu haben. Sowohl das Schöne, als auch das weniger Schöne. Das Erlebnis, wenn das Kind auf die Welt kommt, aber auch die Wochen danach. Sie sprechen auch von der Verantwortung, die damit verbunden ist. Im Hintergrund werden immer wieder als Ergänzung Statistiken vorgestellt. Rumänien sei eines der führenden europäischen Länder, was die Abtreibungsrate betrifft. Hier aber unterstreicht „Pentru ca meriţi“, wie Statistiken und Zahlen von Männern aufgestellt und als Waffe verwendet werden, indem sie stets ihre Argumentierung unterstützen, wenn aber jemand versucht, ihre Ansichten zu widerlegen, sie diese als bloße „Statistiken“ abtun.
Auch die Frauen sind gegen eine Abtreibung, allerdings ist es aus ihrer Sicht eine individuelle Entscheidung. Doch das Individuelle kommt gegen das Kollektive nicht an. Rumänien als Männergesellschaft akzeptiert die Meinungen der Frauen zu diesem Thema nicht. Selbst ein Gesetz soll auf den Weg gebracht werden, um Abtreibungen künftig zu verbieten.
Das Stück „Pentru ca meriţi“ ist eine andere Form von Theater. Es hat nichts mit Fiktion zu tun, vordergründig steht die sozialpolitische Botschaft. Die Macher des Stücks haben sich dafür entschieden, das Publikum zu schockieren, indem sie schlicht zitieren. Wer diese Unterscheidung nicht macht, wird auf das Stück mit Empörung reagieren. Nein, nicht die Plattform für politisches Theater klagt Frauen als Mörderinnen an, weil sie sich für eine Abtreibung entscheiden. Es ist die rumänische Gesellschaft, die von Männern dominiert wird. Es geht hier um den Dialog, um ein Wachrütteln und eben um eine Aufforderung zu einer feministischen Gegenbewegung, die es mit dem patriarchalischen Rumänien des Jahres 2015 aufnehmen kann, will und soll.