Der Vorsteher aus Ägypten

Alim Sawfan ist das religiöse Oberhaupt der islamischen Gemeinschaft Temeswar

Beten in der eingerichteten Moschee in Temeswar: Im Islam müssen die Praktizierenden stets mit dem Gesicht Richtung Mekka sitzen und beten. Von Temeswar aus liegt Mekka südöstlich.
Foto: Zoltán Pázmány

Temeswar gilt als Vorzeigestadt der Aufklärung. Schon immer lebten in der Stadt verschiedene Kulturen zusammen, ohne dass Konflikte entstanden. Die geschichtlichen Minderheiten der Region, wie etwa die Banater Schwaben, werden heute von jüngeren Minderheiten ergänzt, wie etwa einer islamischen Gemeinde. Viele Menschen aus den arabischen Ländern kamen nach Temeswar, um zu studieren. Inzwischen gibt es auch Flüchtlinge, die aufgrund der politischen und wirtschaftlichen Lage in ihren Ländern, nach Europa einwandern. In den letzten Monaten wurden aus den arabischen Ländern, Flüchtlinge in Temeswar aufgenommen. Selten bleiben sie hier und zwar aus finanziellen Gründen. Doch deutlich besser, ergeht es ihnen woanders in Europa kaum.             

Denn es bangen die Menschen in westlichen Industrieländern um ihre Werte und ihre Sicherheit. Der neue Übeltäter sei der Islam, die zweitgrößte Weltreligion mit 1,6 Milliarden Anhängern. Nur das Christentum hat mehr, rund 2,2 Milliarden weltweit. Obwohl der Islam so verbreitet ist, bleibt er für viele westliche Länder unerforscht. Nur das, was aufhält, kennen die meisten Menschen, und was heutzutage aufhält ist das Schlechte: Terroranschläge, die einzelne radikale Gruppen im Namen des Islams verüben, wobei der eigentliche Kontext kein religiöser, sondern ein politischer ist.

Doch wenn Menschen sich in die Luft jagen und dabei mehrere Unschuldige mit sich in den Tod reißen, verdrängt der emotionale schnell den rationalen Diskurs. Es wird mit dem Finger gezeigt, Schuldige gesucht und auf Aggression mit Aggression geantwortet. Das Leid dieser Misere tragen nicht nur die Familien und Angehörigen der Opfer, sondern auch die muslimischen Gemeinschaften, die dadurch selbst zur Zielscheibe werden.

In Deutschland gingen in Dresden Menschen auf die Straße, um gegen die Islamisierung des Abendlandes zu demonstrieren. Als die Pegida-Bewegung an Fahrtwind gewann, versuchten sich die Anführer von dem islamfeindlichen Image zu distanzieren. Plötzlich ging es um Ausdruck des verlorenen Vertrauens in die Regierung und die Politik. Von dem ursprünglichen fremdenfeindlichen Bild, das Pegida propagierte, konnte sich die Bewegung aber nicht mehr lösen.

Statistiken zeigen, dass heute fast 5 Millionen Menschen aller islamischen Glaubensrichtungen in Deutschland leben. Genau wie im Christentum gibt es auch im Islam unterschiedliche Glaubensrichtungen und Strömungen. Die islamische Welt teilt sich in zwei große Richtungen: Es gibt die sunnitischen und die schiitischen Muslime. Innerhalb dieser gibt es weitere Unterteilungen. Mehr als die Hälfte der Muslimen in Deutschland sind Sunniten. Was die türkische Gemeinschaft des Landes betrifft, so gehören viele der alevitischen Glaubensrichtung an. Aleviten ist eine eigeständige Religion, die vom schiitischen Islam vorwiegend beeinflusst wird.

 

Islamische Gemeinde in Temeswar

In Rumänien leben deutlich weniger Muslime. Landesweit bekennen sich gemäß der Volkszählung von 2011 etwa 65.000 Menschen zum Islam. Die Zahlen sind zurückgegangen: 2002 waren es noch etwas mehr als 67.000 Menschen. In Temeswar/Timi{oara lebt eine der größten Gemeinschaften. Man schätzt die Zahl auf fast 4.000, wobei auch viele ausländische Studenten aus den arabischen Ländern dazugezählt werden müssen. Sie stammen aus den verschiedensten Ländern: Syrien, Iran, Irak, Ägypten u.a. Manche leben seit Jahrzehnten in Rumänien. Für sie ist Temeswar inzwischen ihre zweite Heimat.

Anders als in westlichen Ländern wird in Rumänien kein Trubel darum gemacht, dass es eine arabische Gemeinschaft gibt. Sie leben integriert und friedlich, arbeiten in den verschiedensten Bereichen und können ungestört ihren Glauben praktizieren. Es gibt in Temeswar, schon seit einigen Jahren, eine eingerichtete Moschee und eine arabische Schule, wo die Kinder zweisprachig unterrichtet werden.

Die Gemeinschaft hat auch einen Imam, ein geistiges Oberhaupt, das für die Gemeinschaft verantwortet und Priester, Ratgeber und Beistand zugleich ist. Der aus Ägypten gebürtige Alim Sawfan ist das Oberhaupt der muslimischen Gemeinde aus Temeswar.   

In den Medien tritt er selten auf. Die tragischen Vorfälle in Paris machten auch die lokale Presse auf den Imam und seine Gemeinschaft aufmerksam. Es war, so wie auf der ganzen Welt, ein Anreißpunkt für Medien, das Thema „Islamisierung“ aufzugreifen. In den meisten Fällen wurde die Religion und die Menschen, die sie praktizieren angegriffen. Statt einen Dialog zu führen und für Toleranz zu werben, wurde der Konflikt nur weiter geschürt. Die lokale Temeswarer Presse zeigte sich verständnisvoller.

Es wird allgemein nicht differenziert betrachtet, findet Alim Sawfan. „Die radikalen Terrorgruppen haben nichts mit dem Islam und den Lehrschriften aus dem Koran zu tun“, so Sawfan. „Es wird nirgends in der heiligen Schrift zur Gewalt angestiftet. Dort, wo der Hass nicht geschürt und nicht gezielt ein Konflikt gesucht wird, gibt es auch keine Auseinandersetzungen.“

Temeswar sei ein Beweis dafür, dass es auch anders gehen kann, wenn nicht ständig die Frage gestellt wird: Kann ich einem Muslimen trauen? Letztendlich kann man mehr als eine Milliarde Menschen, so der Imam, nicht für die Taten einiger Hundert verantwortlich machen.