Wenn heute Abend der Vorhang aufgeht, wird auf der großen Bühne des Nationaltheaters Temeswar Eugéne Ionescos „Die Nashörner“ gespielt, eine Produktion bei der Helmut Stürmer für das Bühnenbild zeichnet. Helmut Stürmer ist ein in vielen Ländern bekannter Name, vor allem ist er heute in Deutschland und vorwiegend in Opernproduktionen impliziert. Die Temeswarer kennen ihn für seine Mitarbeit an Produktionen des Deutschen Staatstheaters Temeswar, an die man sich heute gerne erinnert wie „Niederungen“, „Die Fuchsiade“, „Biedermann und die Brandstifter“, „Frühlings Erwachen“ oder „Die unglaubliche und traurige Geschichte von der einfältigen Eréndira und ihrer herzlosen Großmutter“; letztere steht auch heute auf dem Spielplan. Der gebürtige Temeswarer hat in Bukarest studiert und lebt seit 1977 in Deutschland. Im Laufe der Jahre hat er sowohl an Theater- als auch an Filmproduktionen mitgewirkt. Dafür hat er mit Regisseuren wie Silviu Purcărete, Liviu Ciulei, Dan Piţa und Mircea Veroiu, mit Radu Gabrea und Alexandru Tatos zusammengearbeitet oder mit David Esrig und Roberto Ciulli. Wie die Arbeit an den „Nashörnern“ war, einer Großproduktion, an der sich auch andere bekannte Namen beteiligen wie der Regisseur Tompa Gabor oder der Komponist Vasile Şirli, sowie seine Zukunftspläne verriet Helmut Stürmer in einem Interview mit der BZ-Redakteurin Ştefana Ciortea-Neamţiu.
Die neueste Premiere am Nationaltheater Temeswar wird als eine Großproduktion im Hinblick auf das Kulturhauptstadtjahr 2021 dargestellt. Was spricht dafür, aus Ihrer Sicht?
Dafür spricht, dass diese Parabel von Ionesco fast unheimlich aktuell ist. Das erste Mal, als ich das Stück gelesen und gesehen habe, war in den 60er Jahren und wir haben damals in voller kommunistischer Diktatur immer dieses Stück als eine Parabel auf die Gesellschaft der kommunistischen Zeit gesehen. Die Parabel ist sowohl gültig für die damalige Zeit als auch für den Nationalsozialismus, sie ist für beides gültig, das ist die große Qualität dieses Stücks, das heute, in den Zeiten, in denen Europa leider teilweise nach rechts driftet und auch gleichzeitig unsere Gesellschaft in Gefahr ist: die Gleichschaltung des sozialen Lebens immer weiter voranschreitet, dass wie alles gleich denken, alle das Gleiche nicht tun dürfen und alle die gleichen Konzeptionen über Politik haben. Deswegen ist dieses Stück unheimlich aktuell.
Sie haben schon einmal mit Tompa Gabor „Die Nashörner“ inszeniert. Das war am Radu-Stanca-Theater in Hermannstadt. Worin unterscheidet sich das Bühnenbild, wofür Sie zeichnen, von dem damaligen?
Erstens sind ganz andere räumliche Voraussetzungen. Das Radu-Stanca-Theater hat eine relativ kleine Bühne, mit einem direkten Kontakt zum Publikum, aber auch mit eingeschränkten Möglichkeiten. Hier am Haus: Die Konzeption ist eigentlich gleichgeblieben, weil sie gut funktioniert hat, aber in den Dimensionen und in den Proportionen hat sich natürlich einiges geändert. Und natürlich ist jede neue Inszenierung immer eine neue Herausforderung. Sowohl die Werkstätten sind andere als auch die Beleuchtung und überhaupt der Raum. Das Bühnenbild ist total abhängig von den räumlichen Voraussetzungen, die muss man immer neu interpretieren, das war auch hier der Fall. Es ist eine andere Hohe, eine andere Breite, es sind andere Beziehungen der verschiedenen Elemente untereinander.
Gibt es aber auch, Jahre später, jetzt eine andere Vision auch beim Regisseur und auch bei Ihnen?
Eine grundsätzlich andere Vision ist es nicht, es ist eine Weiterentwicklung, die notwendigerweise immer aus den Aktualitäten, aus den Begebenheiten, aus den Personalitäten der Schauspieler kommt, es ist immer eine Neuerfindung eines Rades (lacht).
Sie sprechen von der Psychologie des Raums, wenn es um das Bühnenbild geht. Definieren sie bitte die Psychologie des Raums für das Bühnenbild für „Die Nashörner“ entwickeln.
Da muss ich eigentlich weit ausholen: Es ist ein Unterschied, ob man ein Bühnenbild für die Tiefe des Raumes baut und für jede Distanz zum Publikum. Wenn man eine Wand hinter einem Schauspieler stellt, in einem Meter Distanz oder bei zehn Metern, ist der Eindruck des Geschehens sofort ein anderer. Es ist schwer zu erklären, aber es ist eine psychologische Raumwirkung. In diesem Falle geht mein Raum in die Höhe und in die Breite, er ist wie eine große Projektionsfläche einer Stadt, eines öffentlichen Raumes und dieser Raum verändert sich durch minimale Änderungen, aber auch, und das kommt diesmal neu dazu, das sind Bilder, die über Video eingespielt werden. Ich möchte nicht alles preisgeben, aber gegen Ende des Stücks verändert sich diese Fassade und spielt richtig mit, über elastische Fenster praktisch, in denen mysteriöse Dinge passieren, aber wie gesagt, ich möchte nicht alles verraten (lacht). Diese Fassade wird einmal lebendig. Es ist ein bisschen wie eine kleine Horrorszene.
Sie haben bis vor einigen Jahren auch ganz viel mit dem Deutschen Staatstheater Temeswar zusammengearbeitet. Ich denke da an „Biedermann und die Brandstifter“, an „Eréndira“, an „Niederungen“… Kam seitens des DSTT noch ein Angebot?
Nein, es geht auch gar nicht. Leider. Ich mache mir ganz große Sorgen um dieses Theater, das seit zwei Jahren ohne Intendanz steht, ohne namhafte finanzielle Unterstützung, ohne richtig neue Produktionen. Das Theater vegetiert vor sich hin, mit den alten Produktionen und es gibt kaum neue Produktionen. Das ist alles zu verdanken der sozusagen illegalen Absetzung von Lucian Vărşăndan, unter dem das Theater, das in der rumänischen Kulturszene bis dahin keine große Rolle gespielt hat, zu einem der prominenten Theater geworden ist, mit vielen Preisen. Das alles ist mit einem Schlag verschwunden und ich mache mir ganz große Sorgen um die Zukunft des Deutsche Theaters in Temeswar. Von neuen Produktionen und von Nachfragen nach meiner Mitarbeit kann gar nicht die Rede sein ohne Intendanten, ohne eine Theaterführung. Ich wünsche mir sehr, dass diese jetzt schon so langanhaltende Krise vielleicht einmal durch die Rückkehr von Lucian Vărşăndan zu Ende geht, das wäre die allerschönste Lösung, aber ich kann nur hoffen, dass etwas passiert, etwas Positives. Ansonsten wird es versenken.
Haben Sie weitere Projekte außer „Die Nashörner“ von Eugéne Ionesco in Temeswar in Hinsicht Kulturhauptstadtjahr 2021?
Nein. Meine Hauptaktivitäten sind im deutschen Kulturraum, ich mache sehr viel Oper in letzter Zeit, in Bonn. Im nächsten Herbst auch an der Staatsoper in Bukarest. Für die nächste Spielzeit gibt es am hiesigen Haus, am Rumänischen Nationaltheater, eine Produktion, aber da will ich noch nicht vorgreifen, weil es noch keine spruchreifen Projekte sind.