Der deutsche Archäologe und Hochschullehrer Wolfram Schier wurde 1957 in Hohenbrunn bei München geboren. Er studierte Vor- und Frühgeschichte, Völkerkunde und Bodenkunde an den Universitäten in München, Saarbrücken und Oxford. 1985 promovierte er mit der Arbeit „Die vorgeschichtliche Besiedelung im südlichen Maindreieck“, die 1991 mit dem „Kurt Bittel“-Preis ausgezeichnet wurde. Seine Habilitation erfolgte 1996 in Heidelberg mit einer Arbeit über die „Vinča-Studien“. Schier unterrichtete an den Universitäten in Heidelberg, Bonn, Bamberg und Würzburg und ist seit 2006 Professor an der Freien Universität Berlin. Er ist auch Mitglied des Deutschen Archäologischen Instituts und des Fachkollegiums „Alte Kulturen“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Die Zusammenarbeit mit dem Museum des Banats Temeswar hinsichtlich der Siedlungsgrabungen in Uiwar dauerte zehn Jahre (1999-2009). Seine Verdienste in der Forschung über das Neo- und Äneolithikum in Rumänien wurden 2005 mit dem Orden „Meritul Cultural“ (Comandor) der Republik Rumänien, 2006 mit der Ehrendoktorwürde der West-Universität Temeswar und 2011 mit dem selben Titel der Universität „1. Dezember 1918“ in Karlsburg/Alba-Iulia gewürdigt. Vor kurzem hielt Schier einen Vortrag in Temeswar über die Tellsiedlung in Uiwar und wurde zum Ehrenmitglied des Museums des Banats ernannt. Über die Ausgrabungen in Uiwar und die Deutsche Forschungsgemeinschaft sprach die BZ-Redakteurin Iulia Sur mitProf.Dr.Dr.h.c. Wolfram Schier.
Welches sind die Schlussfolgerungen der Ausgrabungen, die Sie und Dr. Florin Draşovean vom Museum des Banats in Uiwar durchgeführt haben?
Es sind sehr viele Schlussfolgerungen, aber was ich herausstellen möchte, ist dass wir Dank einer sehr genauen Dokumentation der ganzen Befunde und der Zusammenarbeit mit den britischen Kollegen, die uns eine ganze Reihe zusätzlicher Datierungen und deren Aufbereitung ermöglicht haben, zu einem Generationen genauen Zeitablauf kommen konnten. Wir können uns jetzt vorstellen, wie lange es gedauert hat, dass zehn aufeinanderfolgende Phasen von Bebauungen in dieser Siedlung abgefolgt sind und wie lange die einzelnen Häuser gestanden haben. Es kommt heraus, dass die Häuser etwa 40-50 Jahre im Schnitt bewohnt waren und nicht, wie man in der Archäologie häufig gedacht hat, dass nach 20-25 Jahren ein Haus erneuert wird. Wir können jetzt sagen, dass es nicht die Häuser der Eltern sind, auf deren Reste man das eigene Haus neu errichtet hat, sondern die Häuser der Großeltern. Das ist schon ein neues Bild, das da entsteht. Wir wissen inzwischen auch, dass es von Anfang an eine Siedlung mit sehr ausgedehnten Befestigungsgräben war, dass man sich von Anfang an geschützt hat, zumindest symbolisch, vielleicht gegen Tiere oder irgendwelche Nachbarn, mit denen man in Streit gekommen ist. In späteren Phasen waren diese Bemühungen für die Befestigung deutlich stärker. Drei Mal kam es zu größeren Brandkatastrophen in dieser Siedlung, wobei nach jeder Brandkatastrophe wahrscheinlich das Befestigungssystem erneuert wurde. Das kann zwei Gründe haben: dass man einfach den Schutz nach einem solchen Brand verstärken wollte, vor allem, falls er durch Aggression von Außen verursacht war, und der zweite Grund könnte sein, dass man das Material, das man aus diesen Gräben entnommen hat, nicht verwendete, um einen Wall aufzuschütten, sondern, um Baulehm für die Häuser zu gewinnen.
Welches waren die wichtigsten Befunde? Sie erwähnten im Vortrag auch zwei Keramikamphoren.
Wir haben einige sehr wichtige Befunde, darunter vor allem diese verbrannten Häuser. Das Haus, das wir in den letzten drei Kampagnen (2007, 2008, 2009) ausgegraben haben, ist ein relativ komplexes Gebäude mit vier Räumen, einem Obergeschoss und mit einem sehr interessanten rituellen Ensemble aus zwei Amphoren. Sie standen direkt nebeneinander und verkörpern ganz unterschiedliche Stile – nämlich der Vinča- bzw. Szakálhát-Kultur. Das ist ein sehr, sehr wichtiger Befund, weil er zeigt, dass diese Keramik vielleicht die Identität ihrer Benutzer ausdrückt. Es gibt in einem und dem selben Haus offenbar Leute, die zur gleichen Zeit ganz verschiedene keramische Stile verwendet haben.
Welche Erklärung gibt es denn dafür?
Es könnte sein, dass es ein Ehepaar war und ein Partner aus einer größeren Entfernung kam, wo man bereits diese Vinča-Keramik benutzte. Er oder sie hat vielleicht als Ausdruck seiner Identität ein solches Gefäß mitgebracht – ein symbolisches Gefäß, wie es diese Amphore mit ihrem gesichtsförmigem Deckel darstellt. Das wäre eine mögliche Erklärung.
Und die Tonmaske, die hier entdeckt wurde?
Die Tonmaske, die wir 2001 gefunden haben, können wir jetzt auch in einem größeren Kontext sehen. Wir wissen jetzt sehr genau, wann sie niedergelegt wurde, nämlich etwa 4740-4720 v.Chr. Außerdem wissen wir, dass es offensichtlich den Brauch gab, immer wenn man Häuser gründete, irgendein Ritual zu vollziehen. So hat man z.B. Rinder geschlachtet und die Knochen in die Fundamentgräben niedergelegt. In anderen Fällen wurden Köpfe von kleinen Tonfigurinen wahrscheinlich absichtlich abgebrochen und in diese Fundamentgräben gelegt. Und in einem der jüngsten Häuser, das wir überhaupt haben, wurde eben diese Maske niedergelegt. Es ist kein Einzelfall, dass man Rituale bei der Gründung eines Hauses vollzogen hat, aber es ist das einzige Beispiel in Uiwar und im Neolithikum Rumäniens, wo wir so einen Maskenfund haben.
Welches sind die arhäologischen Potentiale, die Sie im Banat sehen? Wo oder in welche Richtung sollte weitergeforscht werden?
Das ist eine sehr schwierige Frage. Ich denke, im Moment liegt das Problem, hier wie auch in anderen Ländern, vor allem bei den Infrastrukturmaßnahmen, also z. B. beim Autobahnbau, wodurch natürlich sehr viele archäologische Stätten gefährdet sind und dann untersucht werden müssen. Ein anderer ist der Forschungsaspekt, da kann ich natürlich mehr von der Jungsteinzeit sprechen, aber ich denke, das gilt auch für jüngere Epochen: Das Banat ist immer ein Kontaktraum, wo Einflüsse aus verschiedenen Richtungen kommen - aus dem Marosch-Tal aus Siebenbürgen heraus, aber auch aus dem Süden von der Unteren Donau, vom Eisernen Tor her herauf und natürlich auch Theißabwärts von Norden. In historischer Zeit wissen wir, dass das Banat auch ein multiethnisches Gebiet ist. Wir dürfen natürlich nicht unterschiedliche Keramik mit unterschiedlichen ethnischen Gruppen gleichsetzen. Auf jeden Fall lassen sich anhand ihrer Sachkultur Gruppen unterscheiden, die vielleicht unterschiedliche Dialekte gesprochen haben und aus verschiedenen Ecken kamen. Man kann sagen, dass das Banat auch im 5. Jahrtausend ein Gebiet ist, wo Gruppen aus verschiedenen Ecken zusammenkommen und offenbar auch gut zusammengelebt haben. Ich finde interessant, dass man das hier so über lange Zeit verfolgen kann. Ich denke, dass wäre auch ein Ansatzpunkt für weitere Forschungen.
Welches ist Ihre Aufgabe bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft? Nach welchen Kriterien finanziert die Deutsche Forschungsgemeinschaft Ausgrabungen im Ausland?
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft ist eine Institution, die Geld verwaltet und vergibt, das von den Ländern und auch vom Bund kommt, also keine Landeseinrichtung und auch keine reine Bundeseinrichtung in Deutschland. Das Prinzip der Mittelvergabe ist ein reines Wettbewerbsprinzip nach Qualität. Ich bin seit mehreren Jahren Mitglied eines Fachkollegiums, wo die Alte Geschichte, die archäologischen Fächer, aber auch die Klassische Philologie vertreten sind. Wenn aus solchen Fächern Anträge gestellt werden, dann werden zunächst einmal unabhängige Gutachter beauftragt und dann kommt der Antrag mit zwei Gutachten in das Fachkollegium. Wir treffen uns dreimal im Jahr und beraten dann. Unsere Aufgabe ist eigentlich eine Art Qualitätssicherung, d.h. nicht nur die Anträge müssen gut sein, sondern auch die Gutachten müssen objektiv und fair sein. Oft haben wir mehr Anträge mit positiven Gutachten als Geld vorhanden ist. Dann muss das Fachkollegium eine Reihenfolge diskutieren und bewerten, welches Projekt noch ein bisschen innovativer und wichtiger für die Forschung als andere ist. Das sind manchmal sehr schwierige Entscheidungen. Prinzipiell gibt es keine Quote und kein Kriterium, dass eine Grabung im Ausland mehr oder weniger Chancen hat - sie muss mit den Forschungsprojekten in Deutschland konkurrieren. Das entscheidende Kriterium ist eigentlich immer die wissenschaftliche Qualität und Originalität und auch oft die Frage: Sind das neue Ansätze, sind das Projekte, die vielleicht nur in einem bestimmten Zeitraum möglich sind? Gerade bei Forschungen im Ausland spielt das auch eine Rolle. Wir haben ja gesehen, dass sich in den letzten Jahren die Bedingungen in der archäologischen Forschung geändert haben, z.B. kann kein Mensch heute noch in Syrien graben. Kooperationen mit Rumänien sind glücklicherweise immer gut gelaufen und da bestehen auch weiterhin sehr gute Aussichten. Es gibt inzwischen weitere Forschungsprojekte, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft in Rumänien finanziert werden, z.B. in Corneşti – wo die größte Befestigungsanlage Europas aus der Bronzezeit erforscht wird - ein sehr interessantes Projekt.