Endstation „Haus der Göttlichen Barmherzigkeit“

Hospiz-Mitarbeiter ermöglichen Patienten einen würdevollen Eingang zur Ewigkeit

Im Hof können die Patienten ein paar ruhige Stunden im Grünen verbringen.

Psychologin Diana Pamfil-Ungureanu: „Ich bin einfach als Mensch da“.

Krankenschwester Eva Nagy hat mit einem Volontariat im Hospiz begonnen, bevor sie eine feste Arbeitsstelle bekam.

Die Franziskanerschwester Savia leitet das „Haus der Göttlichen Barmherzigkeit“. Fotos: Zoltàn Pázmány

Sie haben den Faden, der Leben und Tod miteinander verbindet, nur zu oft reißen sehen. Trotzdem gehen sie ihrem Beruf und ihrer Berufung jeden Tag mit Freude nach. Die Angestellten im Hospiz für Palliativ-Krankenpflege der Caritas Temeswar/Timişoara sind für die Menschen da, die sich am Ende ihres Lebens befinden. Sie ermöglichen ihnen ein ruhiges und würdevolles Sterben, indem sie ihnen bei Seite stehen, sie medizinisch und seelisch betreuen und sie mit einem schützenden Mantel umhüllen, damit ihre Angst vor dem Tod etwas abgeschwächt wird. Im Schnitt werden jährlich rund 250 Patienten ins Hospiz eingewiesen – für 80 bis 90 Prozent dieser Menschen stellt die Einrichtung in der Memorandului-Straße die Endstation ihres weltlichen Lebens dar.

Ein normaler Puls hat eine Frequenz von 60 bis 80 Herzschlägen pro Minute, bei physischer Belastung darf er teilweise weit über 100 ansteigen. In den letzten Augenblicken unseres Lebens schlägt das Herz nur noch schwach, die Atmung fällt einem schwer und die Gehirnaktivität schrumpft. Ganz langsam nimmt die allgemeine Aufmerksamkeit ab: Zuerst schwindet das Augenlicht, dann der Gehörsinn. Schließlich hört das Herz auf zu schlagen. Zehn bis fünfzehn Minuten, nachdem der Herzschlag ausgesetzt hat, tritt der irreversible Tod des Hirngewebes ein. Das Gehirn ist das erste Organ, das stirbt. Der medizinische Begriff für diesen Prozess nennt sich „Exitus letalis“. Viel einfacher gesagt: Tod.

Vertreter aller Konfessionen

Ein stiller Gast ist der Tod im Hospiz für Palliativkrankenpflege „Haus der Göttlichen Barmherzigkeit“ in Temeswar. Er stört nicht und wird hier auch nicht gefürchtet, auch wenn er fast täglich vorbeischaut. Zehn Plätze stehen den stationären Patienten in der medizinischen Einrichtung zur Verfügung – betreut werden sie von einem Team, gebildet aus Ärzten, Krankenschwestern, Krankenpflegern und Psychologen. Die Einrichtung der Caritas Temeswar wird von der Franziskanerschwester Savia geleitet, die vor 20 Jahren aus der Slowakei ins Banat kam. Den Patienten wird außer der medizinischen Pflege auch spirituelle Hilfe angeboten. „Das ist unsere Mission. Aber wir laden auch Vertreter anderer Konfessionen ein und wünschen uns, dass die Patienten die spirituelle Unterstützung von Beauftragten ihrer Religion bekommen“, sagt Schwester Savia. „Bevor die Kranken ins Hospiz eingewiesen werden, nehmen wir Kontakt zu ihrer Familie auf und fragen, wen sie sich als spirituellen Begleiter wünschen. Sie müssen diese Unterstützung nicht von mir oder von uns, den Franziskanerschwestern, bekommen. Sie sollen die Hilfe bekommen, die sie von zu Hause kennen“, erklärt sie.

Im Haus der Göttlichen Barmherzigkeit ist der Tod kein Tabuthema. Fast alle Patienten, die ins Hospiz eingeliefert werden, sind sterbenskrank. Sie bleiben nicht lange in der Einrichtung. Damit ihnen der Übergang zum ewigen Leben nicht ganz so schwer fällt, stehen ihnen die Hospiz-Mitarbeiter zur Seite.

Von Herz zu Herz

Die meisten Kranken sind um die 60 Jahre alt und leiden an Krebs. Ab und zu werden aber auch junge Leute eingewiesen. Für sie kommt das Ende zu früh. „Wir haben Patienten zwischen 18 und 98 Jahren. Es ist verdammt schwer, wenn ein so ganz junger Mensch, der vielleicht nicht einmal dazu kam, richtig im Leben zu stehen, auf einmal am Ende ist.  Die Verzweiflung ist tiefer und die Antworten sind in solchen Fällen schwerer zu finden. Die Wut und die Hilflosigkeit auf der Seite der Helfer ist größer und die Gespräche mit den Familien sind schmerzlicher“, gibt die Psychologin Diana Pamfil-Ungureanu offen zu. „ Für mich ist aber der Tod kein Ende, sondern nur das Ende unserer biologischen Verpackung, die wir Körper nennen. Wir haben aber eine unsterbliche Seele“, fügt sie hinzu.

Die Psychologin Diana Pamfil-Ungureanu hat Stunden, Tage und Wochen damit verbracht, den Sterbenden zur Seite zu stehen, sich ihre Wünsche anzuhören, sie in ihren letzten Lebensmomenten zu ermutigen oder einfach nur liebe- und verständnisvoll ihre Hand zu halten. In der Palliativmedizin hänge die Therapie von dem Zustand und den Wünschen des leidenden Menschen ab, erklärt die Psychologin. Fragen, die immer wieder seitens der Patienten gestellt werden, sind „Warum ich?“ und „Wieso hat mich Gott bestraft?“ Auf solche Fragen fehlt meist die richtige Antwort. Da müsse man den Mut haben, einfach zu sagen: „Ich weiß es nicht“, glaubt Diana Pamfil-Ungureanu.  „Ich weiß es nicht, aber ich bin da. Ich bin einfach als Mensch da. Diese direkte Beziehung, von Herz zu Herz, von Mensch zu Mensch hat mich noch nie im Stich gelassen. Meine langjährige Erfahrung sagt mir, dass ein zutiefst körperlich, psychisch und spirituell leidender Mensch oftmals die Anwesenheit eines Leidensgenossen sucht und nicht unbedingt einen großen Wissenschaftler“, sagt die Psychologin.

Ein Wechselbad an Gefühlen

Für den Leidenden da zu sein gehört zum Beruf eines Palliativpflegers einfach dazu. Manche Patienten sehen ihren Tod kommen und akzeptieren diesen Gedanken, andere hingegen wollen nichts davon wissen. Die meisten nähern sich Gott in diesen Augenblicken, doch es gibt auch einige wenige, die es nicht tun und mit einer seelischen Unruhe das Diesseits verlassen. Schwester Savia, die das Hospiz leitet, hat nur zu oft die Angst der Menschen vor dem Unbekannten, vor dem Tod mitbekommen. Dass sich eine Mehrheit der Menschen vor dem Tod fürchtet, liege an der falschen Erziehung, die man von zu Hause aus bekommt, glaubt die Franziskanerschwester. Um in einer Einrichtung wie das Hospiz arbeiten zu können, müsse man den Tod als Teil des Lebens betrachten.  „Du musst in erster Linie an deinen eigenen Übergang in die Ewigkeit denken. Ich tue das jeden Monat. Wir haben einen Tag der geistlichen Erneuerung, an dem wir an unseren eigenen Tod denken. Wir versuchen, uns langsam darauf vorzubereiten. Das ist eine große Hilfe. Das kann eigentlich jeder machen, denn der Tod kommt ganz bestimmt. Eine Vorbereitung darauf ist daher unbedingt notwendig“, sagt Schwester Savia. Den Tod als natürlichen Prozess ansehen zu können, ist oftmals gar nicht leicht. Wenn eine junge Mutter den Weg in die Ewigkeit einschlagen muss und dabei zwei kleine Kinder zurücklässt, hat man auch als Hospiz-Angestellter mit einem Wechselbad an Gefühlen zu kämpfen.

An Orten wie dem Hospiz überlappen sich Medizin und Glaube, Wissenschaft und Spiritualität. Wie die Psychologin Pamfil-Ungureanu zu sagen pflegt: „Ein guter Arzt muss auch ein bisschen Theologe sein können“. Sie selbst steht nicht nur den Patienten zur Seite, sondern auch den Angehörigen, die eine geliebte Person verlieren, und ab und zu auch den Mitarbeitern, die auf ihre Unterstützung angewiesen sind, um in schwierigeren Momenten nicht zusammenzubrechen. „Wenn ich anderen über meine Arbeit erzähle, wird sie überhaupt nicht als eine leichte Arbeit betrachtet. Aber mit der Zeit, wenn du hier tätig bist, kannst du vieles verstehen. Ich habe versucht, den Leuten zu erklären, wie wichtig es ist, dass wir unser Leben schätzen. Meine beiden Eltern sind Raucher. Und es ist sehr schwer, sie zu überzeugen, damit aufzuhören. Ich habe es meinem Vater gesagt: Wenn du an nur einem Tag hierher kommen würdest, um zu sehen, wie es im Hospiz zugeht, würdest du deine Meinung ändern und mit dem Rauchen aufhören. Diesen Kampf verliere ich aber immer wieder“, beteuert die Krankenschwester Eva Nagy.

Man muss das Leben schätzen – rät Hospiz-Mitarbeiterin Eva Nagy – egal, wie kurz oder wie lang unsere Reise ist. Die junge Krankenschwester hat es durch die Natur ihrer Arbeit frühzeitig gelernt. Alle Beschäftigten im „Haus der Göttlichen Barmherzigkeit“  wissen es. Deswegen herrscht hier nicht den ganzen Tag über Trübsinn, sondern man lächelt ab und zu. Und dieses Lächeln verbirgt meist eine ganz einfache Nachricht: „Du brauchst keine Angst zu haben, denn  du bist nicht allein“.