Eurothalia 2016

Eine Welt voller Migranten

Szene aus „Afrika“, das im Rahmen des Europäischen Theaterfestivals „Eurothalia“ aufgeführt wurde
Foto: DSTT

Wie klein und überschaubar die Welt auf der Bühne doch werden kann. Im Theater gibt es keine unüberwindbaren geografischen Grenzen. Es reicht, wenn man auf einer Karte mit einem Laserpointer zeigt, wo Kasachstan liegt. Es reicht, wenn Oscar Van Rompay sich von Kopf bis Fuß schwarz anmalt und zum Beat afrikanischer Trommeln tanzt, um sich als Zuschauer nach Afrika zu versetzen. Und es reicht vollkommen aus, wenn sechs Frauen über Joschka Fischer, Mauerfall und die Beatles erzählen, um uns ansatzweise ein Bild vom geteilten Deutschland zu vermitteln. Denn Globalisierung war und ist eine Sache, die im Kopf anfängt. Themen wie „Migration“ schwirren im kollektiven Unterbewusstsein seit Jahrhunderten. Das Klischee stimmt: Geschichte wiederholt sich. Der Grund dafür mag vielleicht am selektiven Erinnerungsverhalten der Menschen liegen. Zu Unrecht empören sich „echte“ Europäer über eine Invasion von Flüchtlingen in ihr heiliges Europa. Denn die Europäer waren die ersten Invadierenden. Und man kann sich nichts vormachen: Wir leben weiterhin in einer postkolonialen Ära.


Darum weiß man auch nicht so recht, wie man „Afrika“ von Peter Verhelst deuten soll. Darf ein Weißer sich schwarz anmalen und einen Afrikaner nachäffen? Darf man als Zuschauer über den karikierten Akzent der Afrikaner lachen, wenn sie englisch sprechen? Für Schauspieler Oscar Van Rompay, der zwischen Belgien und Kenya pendelt, hat es nichts mit Rassismus zu tun. Schließlich lebt er seit Jahren dort, kennt den Alltag besser, als ein Europäer, der von Afrika als wilden Kontinent schwärmt, ohne je dort gewesen zu sein. Van Rompay und Verhelst spielen darum bewusst mit den Klischees. Die erste Hälfte des Stückes verbringt er damit, nackt auf der Bühne tribale Tänze nachzutanzen, während dazwischen, im Off, der Kontinent als geheimnisumwoben beschrieben wird. Doch erst einmal dort, entpuppt sich das romantische Bild des freien und wilden Afrikas als Trugschluss. In der zweiten Hälfte der Performance dekonstruiert dann der Belgier Oscar Van Rompay, den es irgendwann nach Kenia verschlug, das Verblümte : Krankheiten, Korruption, Bildungsmangel, Gewalt, Elend.

 

Natürlich regt man sich als Europäer auf. Schließlich hat man auch einen Vergleichspunkt. Doch wie geht man mit seiner Aufregung um? Eine sensible Frage. Stellt man sich auf die Bühne vor anderen Belgiern oder Europäern, um ein Land zu kritisieren, das auf der anderen Seite der Welt liegt? Die Gefahren sind Oscar Van Rompay durchaus bewusst. Er sieht aber in „Afrika“ nicht das Porträt seines Adoptivlandes Kenia, sondern vielmehr das Porträt seiner selbst. Schließlich bezieht er sich auch immer wieder auf sich selbst in dem Stück. Es scheint, dass sich Europäer schwer integrieren können. Doch sollten sie?

 

Das diesjährige Eurothalia-Festival griff zumindest in der ersten Hälfte mit Stücken wie „Afrika“ und „Bodenprobe Kasachstan“ diese schwierigen Fragen auf. Fragen, die in erster Linie besonders den Westen betreffen, also die Länder der Ersten Welt. Die Themen „Migration“ und „Integration“ werden auch in Stefan Kaegis Dokumentar-Performance „Bodenprobe Kasachstan“ behandelt. Es geht um das Schicksal der Russlanddeutschen aus Kasachstan, aber auch um das Schicksal eines Landes, das über die nötigen Ressourcen verfügt, eines der reichsten Länder zu sein. Doch vom eigenen Reichtum profitieren andere.

 

Fünf Zeitzeugen erzählen auf der Bühne ihre Geschichten in der Produktion von Rimini Protokoll. Es sind Geschichten, die Kontinente und Jahrhunderte umspannten. Fünf Menschen, deren Leben von den politischen Zerrüttungen des 20. Jahrhunderts geprägt wurden. Und im Mittelpunkt der Rohstoff, um den sich alles dreht: Erdöl. Für die Einen schwarzes Gold, für die Anderen die treibende Kraft ihrer Irrfahrt von Deutschland nach Asien, von Asien nach Deutschland und zurück. Entwirrt man erst die komplizierten Verstrickungen, erkennt man das Absurde unserer Zeit, nämlich, dass wir im Grunde alle Migranten sind, stets auf der Suche nach einer Heimat, und dass viel über unseren Köpfen entschieden wird, aus Gründen, so alt wie die Menschheit selbst: Macht- und Geldgier.

 

Das Europäische Theaterfestival „Eurothalia“ findet bis zum 14. Oktober statt. Details zum Programm auf www.eurothalia.ro.