Die Gebäude einer Stadt sagen vieles über die Geschichte des Ortes und der darin lebenden Gemeinschaft aus. Für die Bürger, die täglich an den verschiedenen Bauwerken vorbeispazieren oder -fahren, sind diese zum selbstverständlichen Teil des Stadtbildes geworden; sie gehören zum Alltag. Doch wenn wir uns die Zeit nehmen und die Gebäude näher betrachten, erkennen wir auch die Geschichte, die sie zu erzählen wissen: eine Geschichte der Stadt und ihrer Entwicklung, die Geschichte unserer Vorfahren, Großeltern und Eltern, und schließlich unsere eigene Geschichte, unseren Werdegang.
Die Geschichte der Stadt anhand ihrer Bauwerke zu identifizieren, das ist spannend und bei einem Rundgang mit einem gut informierten Reiseführer leicht zu bewerkstelligen, wenn denn dazu das nötige Interesse besteht. Ein solcher Stadtführer ist Michael Szellner, der Vorsitzende des Deutschen Forums in Arad, Schulleiter a.D. des Adam-Müller-Guttenbrunn-Lyzeums in Neuarad und ehemaliger Stadtrat seitens der deutschen Gemeinschaft. In diesem zuletzt erwähnten Amt musste er in den Jahren nach der Wende für mehrere Besucherdelegationen aus dem deutschsprachigen Raum Stadtführungen organisieren – anfangs nur als Dolmetscher für die Stadtarchitekten, später auch als selbstständiger Reiseführer.
„Ich wollte den Spaziergang vor dem Arader Rathaus beginnen, weil es auch mit unserem Endziel zusammen fällt, nämlich, das Rathaus und der Rathausplatz bilden das heutige wirkliche Zentrum der Stadt. Ich wollte auch zu diesem Platz kommen, weil es das Erkennungsmerkmal des Arader Stadtbildes ist, das Stadtbild heute prägt als eine Fusion, und das Ergebnis einer Evolution sowohl in der Architektur, im Baustil, wie auch als Zeichen der Multikulturalität ist, die es hier in der Stadt immer schon gegeben hat“, sagt Michael Szellner. Von hier aus führt die Reise weiter zum Römerplatz, der früher „Zum Roten Ochsen“ hieß. „Das ist der Startpunkt, von welchem aus die heutige Stadt Arad entstanden ist, und es gibt hier immer noch gewisse Aspekte und auch Gebäude aus der Zeit der Anfänge zu sehen, etwa um das Jahr 1.700“, betont der Arader Forumsvorsitzende.
Vom Arader Rathausplatz bis zum Römerplatz können wir entweder entlang der Hauptstraße zwei Haltestellen mit der Straßenbahn fahren, oder an den Straßen entlang der Marosch spazieren. Weil wir aber auf dem Rückweg beide Strecken zu Fuß zurücklegen werden, steigen wir in die grüne Imperio-Straßenbahn ein, eines der modernen Nahverkehrsmittel, die in Arad hergestellt werden.
Der Römerplatz – Zum Roten Ochsen
„Wir stehen nun am Römerplatz. Allerdings ist dieser Platz im Bewusstsein der Bevölkerung mit einem ganz anderen Namen bekannt, und zwar `Zum Roten Ochsen´, weil wir hier auf der Terrasse des ehemaligen Gast- und Wirtshauses ´Zum Roten Ochsen´ stehen. Allerdings muss gesagt werden: das Gebäude, das heute grün angestrichen ist und neoklassizistische Elemente zeigt, stammt von etwa aus dem Jahr 1910, denn es ist eigentlich um das Jahr 1885 abgebrannt. Es wurde aufgestockt und neu errichtet. Das war aber schon das zweite Haus des ehemaligen Gasthofes, das erste ist jenseits der Straßenbahnlinie das weiße Haus, das früher ´Zum Roten Ochsen´ hieß“, erklärt Szellner. Die Stadtverwaltung hat den Besitzer enteignet und die Firma des Roten Ochsen ist einfach in das neue Haus gegenüber umgezogen. „Und weil es seit sehr langer Zeit dieses Wirtshaus gegeben hat, heißt der Platz eben so“, fügt der Stadtführer hinzu.
Der Römerplatz oder der Platz Zum Roten Ochsen ist das Ur-Zentrum der Stadt Arad, wie wir sie heute kennen. Das weiße Gebäude wurde um 1700 übernommen, ausgebaut und nach einem Brand neu errichtet, und zwar von der österreichischen Kriegsmacht, die 1699 nördlich der Marosch die Osmanen endgültig verjagt hat (der „Friede von Karlowitz“/Sremski Karlovci). Erwähnenswert ist, dass das weiße Haus, das bis in den 1970-er Jahre als Dispatchersitz für die Straßenbahngesellschaft genutzt wurde, eigentlich diese Funktion übernommen hat, denn das war die Postkutschenstation, die gleich im Jahr 1700 von den Habsburgern eingerichtet wurde. Und in der Tat sind von hier aus, von der Plattform vor dem Wirtshaus ´Zum Roten Ochsen´, die Postkutschen Richtung Budapest und weiter gegen Wien abgefahren und eben hier sind sie angekommen. „Das heißt, wir befinden uns im Ur-Knotenpunkt und im Ur-Zentrum der Stadt Arad. Später ist das Stadtzentrum entlang der Hauptstraße immer wieder verschoben worden“, sagt Michael Szellner.
Vom Reiseführer erfahren wir anhand des Stadtbildes und der Bauwerke die wichtigsten Momente der Ortschaftsgeschichte. Den Stadtrundgang durch Arad setzen wir auf der kommenden BZ-Seite „Dies- und jenseits der Marosch“ in zwei Wochen fort. Wenn Sie aber inzwischen an den Gebäuden vorbeigehen, nehmen Sie sich die Zeit und schauen Sie etwas genauer hin: Sie sind auch Teil Ihrer eigenen Lebensgeschichte.