„Was ist denn los? Ist bei Ihnen die Post denn schon ganz eingefroren? Man wird ganz besorgt, wenn doch so lange nichts kommt“, so beginnt die Postkarte, die L. Kneisel am 13. November 1914 ihrem „wohlg. Herrn Franz Illy, vom Infanterieregiment 61, Stabsabteilung“ als Feldpost zuschickt, mit einer edlen Rembrandt-Gravüre auf der Vorderseite. Franz Illy ist ein Name, der den Kaffeetrinkern wohlbekannt ist: Der in Temeswar geborene Franz, der in Triest zu Ruhm gekommen und Francesco geworden ist.
L. Kneisel ist Lotte Kneisel, Emansgasse 5. Lotte in Temeswar, sozusagen, wie aus weiteren Postkarten hervorgeht, so aus dieser: „Viele herzliche Grüße an meinen lieben Freund. Ihre schlimme Lotte“. Diesmal ist das Datum unleserlich, aber die Postkarte zeigt ein Schäferstündchen, für die damalige Gesellschaft vielleicht etwas dreist, aber für Franz, der immer noch mit dem Temeswarer Regiment unterwegs war, wohl eine lustige Neckerei.
Spuren von Franz Illy, dem Erfinder der Espressomaschine, sind in Temeswar heute noch zu finden. Benjamin Neurohr ist heute im Besitz dieser Postkarten, die uns einige Stationen im Leben Illys nachvollziehen lassen: von Temeswar, Tirolergasse 6 (heute Ciprian Porumbescu, allerdings ist die Nummerierung umgekehrt), dann nach Wien und in den Krieg.
Auch die Geschichte dieser Postkarten ist eine sehr romantische: Sie waren in der Schachtel eines von der Großmutter geerbten Brettspiels: „Ich habe die Ferien mit meinen Brüdern bei den Großeltern väterlicherseits verbracht. Dort gab es auch ein älteres Brettspiel, das ‚Gänsespiel‘. Es ist ein sehr populäres Spiel gewesen, mit Würfel und Gänsefiguren. In dieser Schachtel befanden sich auch andere Figuren außer den Gänsen, Ausschnitte, die meine Großmutter als Kind gemacht hat. Sie hatte als Mädchen mit Puppen gespielt, hatte aber wahrscheinlich wenige Spielsachen, so dass es Ausschnitte aus Zeitungen, Werbung und auch aus Postkarten gab, auch einige Postkarten, die noch ganz waren, habe ich gefunden“, erzählt Benjamin Neurohr.
Damals war er ungefähr zehn Jahre alt und neugierig: „Die Postkarten waren auf Deutsch oder Ungarisch geschrieben, typisch für Temeswar Anfang des 20. Jahrhunderts, es waren einige ältere dabei in gotischer Handschrift. Sie stammen von verschiedenen Personen, vermutlich waren es alle Temeswarer. Sie waren immer an dieselbe Person gerichtet: Franz oder Ferry Illy. Da habe ich meine Großmutter gefragt, wer diese Person sei, woher sie die Postkarten habe. Sie hat mir dann erzählt, dass sie als Kind mit ihren Eltern bei einer Familie in Miete gewohnt hat und deren Sohn war Franz Illy. Seine Eltern haben ihr die Postkarten zum Spielen gegeben. Sie war damals so acht Jahre alt. Vermutlich hatte Franz seine Eltern besucht und die Postkarten hier gelassen. Meine Großmutter hat mir erzählt, dass der Sohn dieser Vermieter Geschäftsmann geworden und nach Triest gegangen sei“.
Dass er sich im Besitz dieser Erinnerungen an Francesco Illy befand, leuchtete Benjamin Neurohr erst Jahrzehnte später ein: „Ich war mit meiner Frau bei einem Kaffee. Auf den Tassen stand: Illy. Ich hatte zuvor noch einen Zeitungsartikel über ihn gelesen. Dann ist mir erst das Licht aufgegangen, dass der Francesco Illy aus der Zeitung ‚mein‘ Franz oder Ferry Illy aus der Kindheit ist, von den alten Postkarten“.
Die alte Adresse Tirolergasse 6 und die ehemaligen Besitzer bergen noch mehr Bedeutungen für Benjamin Neurohrs Familiengeschichte. Dort hatte seine Großmutter als kleines Mädchen gewohnt, aber die Geschichte geht weiter: „Franz Illys Eltern hatten eine Tischlerei im Gebäude, in dem sie die Wohnungen vermieteten. Meine Großmutter hat mir erzählt, wie sie meinen Großvater kennengelernt hat: Er war Lehrling in der Tischlerei“.
Die Postkarten sind nicht zum Verkaufen, aber Benjamin Neurohr würde sie gerne zur Verfügung stellen, wenn Historiker die Geschichte rekonstituieren wollten oder wenn eine Ausstellung organisiert werden würde.