Es waren bescheidene Anfänge, damals, 1996, als in einem verlassenen Dorf eine Handvoll Jazzenthusiasten ein Festival aus der Taufe hoben. Im Hof einer Pension namens „La Răscruce“ traten die ersten Künstler auf. Es waren vorwiegend lokale und nationale Musiker, die damals der Einladung folgten und nach Wolfsberg/Gărâna reisten. Das einst vorwiegend von Deutschen bewohnte Dorf verwandelte sich allmählich in einen Ferienort für Temeswarer. Sie ersetzten die alte Bevölkerung ohne aber gänzlich dorthin zu ziehen, sondern nur am Wochenende oder im Urlaub.
Heute ist Wolfsberg und das jährlich dort stattfindende Jazz-Festival (inzwischen fand die 19. Auflage statt) eine Ausnahmeerscheinung. Das Dorf gehört zu den gepflegtesten Dörfern im Banat, steht aber das ganze Jahr über fast leer. Unten, im Tal, auf der sogenannten Wolfswiese, wurde eine Bühne eingerichtet, die auch nur zweimal im Jahr genutzt wird. Wolfsberg hat heute nur noch wenig mit dem alten deutschen Dorf zu tun. Es ist zu einem Mekka für Jazzliebhaber aus ganz Rumänien geworden, für Abenteurer, die gerne einige Tage im Zelt schlafen möchten und für Yuppies, die sich in Wolfsberg ein Ferienhaus gekauft haben, um dem Alltagsstress einer Großstadt zu entfliehen.
Es ist ein idyllischer Ferienort, der mehr zu Temeswar/Timişoara als zu Reschitza/Reşiţa gehört. Selbst der Veranstalter des Gărâna Jazz Festivals ist Temeswarer. Marius Giura ist seit Jahren das Gesicht des Festivals. Wenn etwas schief läuft, wird er zur Rechenschaft gezogen. Vor drei Jahren warf ihm der damals frisch gewählte Bürgermeister von Temeswar vor, er würde lokale Gelder anzapfen, um ein Festival in einem anderen Verwaltungskreis zu organisieren. „80 Prozent der Einwohner von Wolfsberg und Umgebung sind Temeswarer“, hatte Giura damals in einem Interview gesagt. Der Skandal an sich war für Giura irrelevant, weil die Vorwürfe nicht stimmten. Zu dem Zeitpunkt, als sich Nicolae Robu über die Finanzierung des Festivals aufregte, hatte Giura seit neun Jahren kein Geld mehr von der Stadtverwaltung Temeswars erhalten. Doch der entfachte Streit diente als Vorwand, um ein zweites Jazzfestival zu organisieren, eins, das in Temeswar stattfinden sollte. Seit drei Jahren findet nun JazzTM statt.
Mit dem traditionsreichen Gărâna Jazz Festival kann man es nicht vergleichen. Schließlich sind über die Jahre einige der größten Jazzmusiker der Welt auf der Wolfswiese aufgetreten: Eberhard Weber, Mike Stern, Jan Garbarek, Charles Lloyd, Jean-Luc Ponty, Stanley Jordan, John Abercrombie, Miroslav Vitous, Zakir Hussain, Magnus Ostrom, Bugge Wesseltoft, Lars Danielsson, Avishay Cohen und Nils Petter Molvaer.
Tausende nehmen es jedes Jahr mit den niedrigen Temperaturen und dem Regenwetter auf, um anspruchsvollen Jazz zu hören, den man sonst live nirgends in Rumänien hören kann, zumindest nicht in den Konstellationen und in der Menge. Und niedrige Temperaturen und Regen sind feste Bestandteile der Wolfsbergerfahrung. Obwohl mitten im Sommer, sind die Abende und Nächte auf der Wolfswiese sehr kalt. Die Zuschauer stehen oder sitzen dann meist mit dicken Winterjacken oder mit Decken vor der Bühne und einem Regenschirm in der Hand oder einem Regenponcho über der dicken Jacke. Hat man Glück und erwischt man eines jener regenfreie Jahre, dann muss man sich auf noch kältere Temperaturen einstellen. Man muss also auch als Zuschauer für Kunst leiden.
Auflage 19
In diesem Jahr hat das Wetter den Veranstaltern keinen Streich gespielt. Erstmals seit zwei Jahren hatte es während den vier Tagen nicht geregnet. Für manche, die seit Jahren das Festival besuchen, eine Enttäuschung. Doch zumindest waren die Temperaturen angemessen niedrig, so wie es sich traditionell für das Festival schickt. Besonders Samstag Nacht wurde es gegen zwei Uhr morgens, als der Haupt-Act auf die Bühne stieg, winterlich kühl. Stanley Clarke und seine drei Begleitmusiker schafften es aber das Publikum anzuheizen. „Ich möchte mich vorstellen, mein Name ist Lou Armstrong“, scherzte Clarke und legte los. Das Ausnahmekonzert, das er gab, schaffte Bedenken aus der Welt: Clarke ist tatsächlich eine lebende Legende und eines Tages wird vermutlich irgend ein Nachfolger, den gleichen Scherz mit seinem Namen machen.
Die Energie, mit dem sein Quartett, um zwei Uhr morgens, die übermüdeten und durchgefrorenen Zuschauer aufweckte, brachte auch die Band „Snarky Puppy“ am Sonntag mit. Dagegen bot Renau Garcia Fons eher explorative und meditative Musik. Mit seinem Kontrabass entführte er durch verschiedene musikalische Weltkulturen. Auch Biréli Lagréne setzte weniger auf flotte, energische Musik. Um ein Uhr nachts war es für die erschöpften Zuschauer zu beruhigend.
Keine Überraschung für Temeswar- bzw. Jazz-Connaisseurs, dafür aber für den Rest, war der Auftritt des Sebastian Spanache Trios. Am Samstag Abend traten sie auf – sie war die einzige rumänische Band, die auf der Hauptbühne spielte.
Tagsüber fanden im Hof der Pension „La Răscruce“ sowie an verschiedenen Stellen in Wolfsberg und anderen Nachbardörfern Konzerte statt. Es traten Tibor Cari, DuMItRIO, Magic Drops, Sebastian Spanache und Tedor Pop auf.
Die diesjährigen Major Acts waren: Enzo Favata Quartett, Nighthawks, Tigran Hamasyan Trio, Gonzalo Rubalcaba, Arifa, Adam Baldych und Pawel Kaczmarczyk, Ralph Towner und Wolfgang Muthspiel, Vlatko Stefanovski Trio, Renaud Garcia Fons, Sebastian Spanache Trio, Biréli Lagréne Gypsy Project, Stanley Clarke Quartett, Stuck, Doran, Studer, Tacuma – Hendrix Project, Snarky Puppy und das Stefano Battaglia Trio. Insgesamt 14 Gruppen traten während des viertägigen Festivals auf. Darum kostet auch eine Karte für die gesamte Festivaldauer 300 Lei. 80 Lei kostet eine Tageskarte. In den letzten Jahren sind die Ticketpreise konstant gestiegen. Diejenigen, die sich eine Karte nicht leisten können oder nicht zahlen möchten, verbringen die Festivalzeit auf dem alten Friedhof, das auf einer Anhöhe liegt.
Kommerz, Kommerz
Viele weigern sich inzwischen, für eine Karte zu zahlen, weil sie Gărâna Jazz für viel zu konsumorientiert halten. Seit Jahren reihen sich hinter der Bühne und den improvisierten Sitzplätzen Stände, wo Fleischgerichte, Alkohol und Pfannkuchen verkauft werden. Alles zu einem Überpreis. Auch der Eintritt zu den Toiletten kostet. Marius Giura selbst verdient sich dabei keine goldene Nase. Die Konzertfläche gehört dem deutschen Unternehmen Kathrein, die einzelnen Stände werden von Privatpersonen geführt. Die Einnahmen aus den Tickets sowie aus den Sponsorengeldern gehen für die Gagen der Künstler drauf. Hinzu kommen Reise- und Unterkunftskosten. Es sei, so Giura, eine Arbeit, die ein ganzes Jahr beansprucht. Viele würden den Aufwand nicht erkennen.
Das Publikum hat sich auch gewandelt. Waren noch vor einigen Jahren viele junge Menschen, die im Zelt ihre Zeit während des Festivals verbrachten, waren dieses Jahr besonders viele Familien oder ältere Jazzliebhaber, die in Pensionen unterkommen. Das heißt, das Publikum ist älter geworden. Es ist mit dem Jazz Festival in Wolfsberg gewachsen und es ist diesem besonderen Festival im Herzen des Banater Berglandes treu geblieben.